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Lesbische Weihnacht

11.12.2018 00:45
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Gert Brantenberg (norwegische Lehrerin)

Anne und Anne fahren zu Weihnachten nach Hause - Eine Weihnachtsgeschichte aus der Unwirklichkeit

Bald war Weihnachten. Es war schon eine ganze Weile bald Weihnachten, aber jetzt lag in der ganzen Stadt wunderbarer, feiner, milder Schneematsch. Die Autos rutschten durch die Gegend und hupten sich gegenseitig freundlich an, und überall hingen Tannenzweige mit niedlichen Weihnachtsmännlein und die Waren in den Läden strahlten Weihnachtsstimmung aus, sogar die Margarinepackungen; die Menschen stolperten schwer bepackt einher und grüßten alle, denen sie begegneten so dass alle in der kleine Stadt sich gegenseitig zu kennen schienen. Und wenn sie zu Hause Christbaumschmuck bastelten, dann bedachten sie alle anderen in der kleinen Stadt und unsere Lieben auf dem Meer mit warmen, milden Gedanken.
Anne und Anne saßen einander in einer der vielen kleinen, gemütlichen Konditoreien der Stadt gegenüber, tranken Kakao mit Sahne und aßen Pfefferkuchen. Anne und Anne waren schon seit vielen Jahren Busenfreundinnen. Die eine hatte ganz helle Haare, die andere dunkle und deshalb wurden sie Anne Hell und Anne Dunkel genannt. Sie hatten sich für den 23.Dezember in der Konditorei verabredet um ein bisschen zu plaudern – ja, und um sich eben zu treffen. Sie hatten auch Geschenke für einander, aber die lagen bis auf weiteres ganz heimlich in ihren Taschen.
Anne Hell und Anne Dunkel waren beide genau 28 Jahre. Sie hatten dieselbe Schulklasse besucht, und nun waren sie in die Kleinstadt gekommen um ihre Eltern zu besuchen, denn zu Weihnachten fahren alle nach Hause und sind lieb. Und Anne Hell und Anne Dunkel waren zwei richtig liebe Mädchen. Sonst wohnten sie in Oslo. Aber nun saßen sie mit ihren Paketen in der kleinen Konditorei und tranken Kakao mit Sahne und schauten sich in die Augen.
Die Leute in der kleinen Stadt fragten wohl kaum noch, ob Anne Hell und Anne Dunkel nicht bald heiraten wollten. Was machten sie eigentlich in der Hauptstadt? Anne und Anne blickten sich an und lachten, als ihnen das einfiel, und hier saßen sie, jede auf ihrer Seite des Tisches. Sie waren richtig schön wenn sie so hier saßen und sich gegenseitig in die Augen schauten.
Es ließ sich nicht so recht sagen, wie lange Anne Hell und Anne Dunkel schon zusammen waren. Eigentlich waren sie schon immer zusammen gewesen. Sie waren in dieselbe Klasse gegangen und als die eine die Stadt verlassen hatte, hatte auch die andere die Stadt verlassen. Solange sie in der kleinen Stadt gewohnt hatten, hatten sie nicht gewagt, miteinander zu sprechen. Nicht darüber. Sie schmusten manchmal ein bisschen, aber damals waren sie erst vierzehn. Sie hielten auch manchmal Händchen – eine Zeit lang machten sie das jeden Tag. Aber sie sprachen nie darüber, dass sie Händchen hielten. Später trauten sie sich nicht mehr, und sie waren mit Jungen zusammen. Jede ging mit ihrem Jungen ins Kino, aber sie saßen doch immer nebeneinander, und die Jungen saßen am Rand. Später wurde die Sache schon ernster, und sie waren mehr mit Jungen zusammen, und als sie achtzehn und fast erwachsen waren, sprachen sie kaum noch miteinander.
Aber später, als sie sich dann in Oslo wiedersahen, waren sie wieder zusammen. Und eines Abends hatte Anne Dunkel Anne Hell nach Hause gebracht, und es war sehr spät – und in dieser Nacht war etwas passiert, was keine jemals wieder vergessen würde.
Etwas so schönes hatten sie noch nie erlebt. Seit dieser Nacht bedeuteten sie einander viel mehr als vorher, und am Ende zog Anne Hell in Anne Dunkels Wohnung in Grorud.
Anne spürte später in der kleinen Konditorei unter dem Tisch eine Hand auf ihrem Knie. Sie lugte verstohlen zu Frau Hauge hinter dem Tresen hinüber, aber Frau Hauge arrangierte gerade Mandelpasteten und schien restlos in ihre Arbeit vertieft zu sein. Anne Dunkel legte unter dem Tische ihre Hand auf die andere Hand. Sie lächelten einander an.
„Hast du zu Hause schon was gesagt?“ fragte Anne Hell schließlich.
„Nein, ich hab solche Angst…“ sagte Anne Dunkel.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Fressen werden sie dich ja wohl nicht.“
„Nein, aber dieses Jahr sind auch meine Großeltern bei uns.“
„Zu uns kommt Tante Bergliot. Und dann sind noch Bente und Ragnar da und Klein-Ole…“
„Das wird schrecklich.“
„Du wirst mir fehlen.“
„Du wirst mir auch fehlen.“
„Eigentlich ist es eine Gemeinheit, dass wir nicht zusammen Weihnachten feiern können.“
Sie schwiegen ein Weichen und überlegten sich, wie gemein das alles war, und ihre Verbitterung vermischte sich mit der Weihnachtsstimmung, die überall in der Luft lag.
„Hast du keine Angst, es deinen Eltern zu sagen?“ fragte Anne Dunkel.
„Doch, sicher. Aber es muss ja sein.“
„Ja, es muss sein.“
Sie starrten einander an. Dann zogen sie die Geschenke aus der Tasche, überreichten sie sich gegenseitig und sagten wie aus einem Munde:“Fröhliche Weihnachten, Anne.“ Dann nahmen sie sich über den Tisch hinweg in den Arm, und fast wäre die eine Kakaotasse umgekippt, und Frau Hauge blickte von den Mandelpasteten auf und starrte die Tasse an. Ein Gedanke schlug in ihr ein wie ein Blitz: Jetzt wusste sie, warum Anne Hell und Anne nie geheiratet hatten. Die jungen Frauen aber hatten nur Augen für einander.
„Muuuutter!“ Anne Hell kam mit Schnee in den Haaren und auf den Schultern ins Haus gestürzt, sie hatte eine Getreidegarbe bei sich, die sollte auf die Veranda, damit Klein-Ole, der erst drei war, Piep-Piep sehen könnte. „Mutter, ich muss dir was erzählen!“ rief Anne. „Was denn, Ännchen?“ fragte die Mutter, schaute von ihrer Rührschüssel auf und wischte sich Mehl von der Nasenspitze. Anne ließ ihre Taschen auf die Küchenbank fallen, setzte sich auf einen Hocker und streckte die Beine aus.
„Mutter?“ sie blickte fragend und flehend zur Mutter hoch. Ihre blauen Augen begegneten den müden, lieben Augen der Mutter. „Ich hätte dir das schon längst sagen sollen.“
„Aber Liebes, dann rede doch endlich. Vor mir darfst du doch keine Geheimnisse haben, weißt du.“
„Ich bin lesbisch.“
Die Mutter ließ den Kuchenteig mit einem dumpfen Geräusch in die Schüssel fallen. Sie starrte ihre Tochter aus ihren milden, graublauen Augen an. Sie putzte sich den Teig von den Fingern und lief zu Annes Hocker hinüber. Sie nahm sie in den Arm und schmiegte ihre Wange an die ihrer Tochter.
„Nein, wirklich, mein Kind!“ Sie schluchzte fast. „Darauf warte ich doch schon eine Ewigkeit!“ Sie nahm das Gesicht ihrer Tochter in die Hände und strahlte sie an. „Ach, da freue ich mich aber!“ rief sie. „Bist du wirklich lesbisch? Ist das wirklich wahr? Jetzt sag bloß nicht, du hättest einen Witz gemacht. Es ist wirklich wahr, ja?
Anne schluckte und nickte eifrig. „Ja.“
„Ach, ich vergesse ja ganz, dass ich dir den Teig ins Gesicht schmiere.“ Die Mutter lachte. „Ich war eben so überrascht. Weißt du….“
Sie putzte sich mit Küchenpapier die Hände sauber, trat ans Küchenfenster und starrte verträumt die dicken Schneeflocken an, die draußen vom Himmel rieselten. „Weißt du, all die Jahre habe ich gedacht: Dieses Mädchen hat etwas ganz Besonderes – ja, fast etwas Wunderbares. Und ich habe gedacht: vielleicht gehört sie zu den Glücklichen, den ganz Glücklichen, die…. aber ich habe es nicht in Worten ausdrücken können. Im tiefsten Herzen habe ich immer darauf gehofft. Aber ich habe mich nicht getraut, es laut zu sagen. Verstehst du das, Anne – mein Kind?“
Anne nickte. In diesem Moment hörten sie einen Schlüssel in der Wohnungstür. Schwere Schritte. „Bist du`s, Bjarne?“ rief Anne Hells Mutter. „Ja, hallo, hallo und fröhliche Weihnachten!“ rief Annes Vater als Antwort. „Weißt du, was Ännchen mir gerade erzählt hat, Vater? Sie hat erzählt, dass sie lesbisch ist!“
Der Vater stand sofort in der Küche. Er trat vor Anne hin und streckte die Hand nach ihr aus. „Ja, das ist wirklich Papas Mädel“, sagte er und klopfte ihr auf die Schulter. Dann steckte er einen Finger in den Sandkuchenteig und ließ Anne kosten. Alle lachten. Und als die Mutter den Teig dann zum Gehen hingestellt hatte, setzten sie sich an den Esszimmertisch, um Christbaumschmuck zu basteln. Der Vater bastelte lange, bunte Ketten, die aus doppelten Frauenzeichen bestanden. „Wie findest du mein neues Design, Anne?“ fragte er stolz und hielt es ihr hin. „Wisst ihr was?“ fragte die Mutter eifrig. „Ich freue mich so schrecklich darüber, dass Tante Bergliot kommt. Sie wird ganz begeistert sein über die Nachricht.“
Der Vater erhob sich. „Ich rufe sie sofort an.“
„Nein, Bjarne, die Freude musst du Anne schon lassen. Schließlich ist sie doch die Lesbe.“
Bjarne zögerte noch kurz. „Kann ich nicht trotzdem anrufen und Anne dann den Hörer geben?“
„Na gut – du kannst dich eben nicht beherrschen.“ Die Mutter lachte und packte ein Marzipanschwein aus. Sie hörte, wie der Vater auf dem Flur sagte. „Ja, hallo? Ich habe eine große Überraschung für dich. Fröhliche Weihnachten, übrigens. Ja, du wirst es sicher gar nicht glauben wollen! Und es ist nicht zuletzt deinem guten Einfluss zu verdanken, Tante Bergliot! Soviel kann ich dir sagen, ohne das Geheimnis zu verraten. Und jetzt wird sie es dir selber sagen. Ja, bis morgen dann!“ Der Vater knallte für Tante Bergliot einen fetten Schmatz in den Hörer.
„Bist du`s Tante Bergliot? Ich hoffe, du bist jetzt nicht enttäuscht. Vater muss ja immer übertreiben. Aber weißt du, es ist nur, dass ich lesbisch bin.“
Die Eltern hörten, wie Anne erst nach einer langen Pause weiter sprach. Sie nickten sich zu und tauschten ein Lächeln. „Jetzt erzählt sie Anne, dass sie auch lesbisch ist“ flüsterten sie und nahmen sich in den Arm. Sie hatten seit Jahren kein so schönes Weihnachtsfest mehr erlebt.
Am nächsten Tag – dem Heiligen Abend – schwebten zwischen den Schneeflocken Glocken und Tannennadeln, und auf dem Platz vor der Kirche spielte die Kapelle der Heilsarmee. „Es läutet nun zum Heil`gen Christ!“ klang es so schön dumpf in die Nacht hinaus. Alle Menschen in der kleinen Stadt strömten aus der Kirche und begrüßten einander und riefen: „Fröhliche Weihnachten!“, und nun kam auch Anne Dunkel aus der Kirche. Arm in Arm mit ihrer alten Großmutter, die einen weiten braunen Pelzmantel und einen Muff trug. Die Kirchenglocken läuteten im Schneegestöber, und hinter allen Fenstern dufteten tausend Schweinebraten.
Anne Dunkel und ihre Großmutter gingen langsam nach Hause. Anne Dunkel hatte es ihrer ganzen Familie auf einmal erzählt. Aber die Großmutter, die in der Ecke im Schaukelstuhl saß, hatte es zuerst nicht verstanden. Ob Anne Dunkel sich einen Esstisch zu Weihnachten wünschte? Das war ja ein seltsamer Wunsch! „Nein, l-e-s-b-i-s-c-h!“, rief der Vater. „Ach! Lesbisch“, sagte die Großmutter und schaukelte hin und her. „Zu meiner Zeit haben wir Lesbierin gesagt“, erzählte sie. Dann sollte Anne sich zu ihr setzen und ihr alles noch einmal erzählen. Sie wollte die ganze Geschichte hören, was es für ein Gefühl war, eine dreijährige kleine Lesbe zu sein und wie ihr erstes Mal mit Anne Hell gewesen war – „so rein sexuell, meine ich“ – sagte die Großmutter, ob sie sich gegenseitig befriedigt hätten, und wenn sie Probleme hätten mit Eifersucht und Dominanz, dann sollten sie ruhig zu ihr kommen, sie hätte schließlich große Erfahrung. „Sehr große, Anne.“ Alles wollte die Großmutter wissen, während sie für den Großvater eine Schlummerdecke häkelte.
Schließlich gähnte sie, legte sich die halbfertige Schlummerdecke über den Schoß und streichelte Annes Haare. „Weißt du was, Herzchen? Opa hat sich immer schon ein homosexuelles Enkelkind gewünscht.“
Anne spürte die liebevolle warme Hand auf ihrem Kopf. „Gott segne dich, du süße kleine Lesbe!“ Die Großmutter ließ ihren alten weißen Kopf nach hinten sinken und schlief mit friedlichem Lächeln ein.
Bei Anne Hell war inzwischen alles für die Weihnachtsfeier bereit. Als Bente und Ragnar und Klein-Ole an der Tür klingelten, war die Mutter sofort zur Stelle, um sie zu umarmen. „Wisst ihr was? Anne hat erzählt, dass sie lesbisch ist!“ Und Bente fiel ihrer großen Schwester um den Hals. „Ich gratuliiiiiere, Anne! Ich wünschte, das wäre mir passiert!“ Aber da stampfte jemand hinter ihr mit dem Fuß auf. „Nein, also echt!“ Ragnar fühlte sich hier nun doch mit Füßen getreten. „Aber, Ragnar! Du weißt doch, ohne dich hätte ich diesen kleinen Goldschatz doch niemals produzieren können“, sagte Bente und zeigte auf den kleinen Goldschatz, der mit einem Kochlöffel auf alles schlug, was er nur finden konnte, und dabei rief er: „Les-bisch, les-bisch!“
Die Familie setzte sich an den Weihnachtstisch, alle fassten sich an den Händen – das war in dieser Familie eben der Brauch – dann sagten sie: “Euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!“ und sangen „Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kinderlein“. – „Ja, apropos, geboren“, sagte die Mutter danach, „es ist ja ein altes Geheimnis, aufgezeichnet in den gnostischen Evangelien, dass die Jungfrau Maria eigentlich Lesbe war.“ Alle senkten für einen Moment stumm die Köpfe und überlegten sich, welch neuen, tiefen Perspektiven das Weihnachtsevangelium dadurch gewann. Es schien sich für sie mit neuer Herrlichkeit zu offenbaren.
Der Vater schob mit einem Kratzen den Stuhl zurück und erhob sich. Er hielt wie jedes Jahr eine kleine Rede. Er gedachte derer, die nicht mehr unter ihnen weilten. Er hatte immer einen Kloß im Hals, wenn er auf dieses Thema zu sprechen kam. Es war so schade, dass die anderen nicht mehr bei ihnen waren. Die Eltern der Mutter, und jetzt auch seine eigene Mutter – noch vor einem Jahr war sie bei ihnen gewesen – und gerade in diesem Jahr sei dies besonders traurig, sagte er und alle schwiegen und waren von den Worten des Vaters genauso ergriffen, wie der Vater selber, denn nun sei Anna heim gekehrt mit der frohen Botschaft, dass sie lesbisch war. „Ja, Anne. Wie schade, dass die Oma das nicht mehr erlebt hat.“
Er griff mit zitternder Hand zu seinem Schnapsglas. „Wir wollen uns nicht in Erinnerungen verlieren“, brachte er heraus. „Nein, wir wollen in die Zukunft blicken. In diesem Jahr wollen wir ganz besonders auf dich anstoßen, auf meine älteste Tochter: Auf Anne! Auf das Lesbischsein! Auf die Zukunft!“
Alle erhoben sich und griffen zu ihren Gläsern und murmelten und nickten:“Prost Anne!“ – „Auf die Homosexualität, die in jedem Gesellschaftssystem wertvoll ist! Prost“ – „Auf eine lesbische Kultur!“ – „Nieder mit frauenfeindlicher Heteropropaganda!“ – „Lesbisch leben! Prost!“ – „Für dich – gegen den Heterostaat!“ – „Solidarität mit den Lesben in China und Albanien!“ – „Und wir gedenken voller Wärme unseren Lesben auf dem Meer!“ – Prost, Anne!“
Dann kam die Bescherung. Ragnar erhielt ein zu einem Trichter aufgerolltes Paket. Es war die Weihnachtsnummer einer Lesbenszeitschrift. Sofort setzte er sich in eine Ecke, las alle Artikel und brummte ab und zu: “Verdammt gut gesagt!“ – „Ja, zum Kranich!“ – „Habt ihr gewußt, dass Königin Christine Lesbe war?“
Ihrer Mutter schenkte Anne Gert Brantenbergs „Vom anderen Ufer“, ein Buch das erzählte, wie traurig das homosexuelle Leben in alten Zeiten gewesen war. Und die ganze Familie weinte ein bisschen über diese Ungerechtigkeit. Aber dann wanderten sie um den Weihnachtsbaum und sangen „Stille Nacht, lesbische Nacht“, und dann waren sie wieder froh.
Das Telefon klingelte. Erwartungsfroh lief Anne hin und schnappte sich den Hörer. „Ja, hallo“, hörte sie aus dem Hörer, „hier ist Annes Großvater. Kann ich mit Anne sprechen?“
„Ja, am Apparat.“
„Ach, fröhliche Weihnachten“, sagte der Großvater. „Ich habe gehört, dass du und Anne…ja, dass ihr zusammen seid. Weißt du was? Darauf warte ich seit fast achtzig Jahren!“ Anne hörte, dass sich der Großvater energisch die Nase putzte. „Ein schöneres Weihnachtsgeschenk…“, presste er heraus, „ein schöneres Weihnachtsgesch….“. Mehr konnte er nicht sagen, denn er brach vor Rührung in Tränen aus, und Anne Dunkels Mutter musste den Hörer nehmen und ihr eigentliches Begehr vorbringen. „Ja, das muss doch gefeiert werden, Anne“, sagte die Mutter der anderen Anne und lud allesamt zu Kaffee und Likör ein.
Deshalb strömten Anne Hell und ihre Eltern und Tante Bergliot und Bente und Ragnar und Klein-Ole mit seinem neuen Schlitten hinaus in die wunderschöne Winternacht. Es schneite jetzt nicht mehr. Ein leichter Wind wehte und durch die weißen Wolken lugten funkelnde Sterne und zwinkerten ihnen zu. „Homosexualität ist Liebe!“ rief Klein-Ole und warf aus lauter Freude Schnee in die Luft. Dann blieb Anne Hells Vater vor dem roten Eckhaus der Familie von Anne Dunkel stehen und alle Familienmitglieder fassten sich an den Händen und sangen für die andere Familie „Schön ist`s auf Erden, prächtig ist`s im Himmel“, und es klang wunderbar und im roten Haus wurden die Fenster geöffnet und alle riefen: “Fröhliche Weihnachten“ und in diesem Moment kam die Weihnachtsfrau auf einem Tretschlitten vorbei und brummte: „Sind hier denn auch brave Kinder?“ – „Ja, ich!“ rief Tante Bergliot, „ich bin das ganze Jahr lesbisch gewesen!“ Und darauf zog die Weihnachtsfrau ein Marzipanmodell des Osloer Frauenzentrums aus ihrem riesigen Sack. In diesem Moment schaltete Opa Dunkel im roten Haus den Plattenspieler ein und „Hallelujah“ aus Händels Messias erklang in der Weihnachtsnacht.
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs




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