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Forum » Literatur, Kunst & Philosophie » ThreadPARIS
31.07.2010 17:00
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Was in Paris zählt, ist das Negativ des Films, den man verknipst, die Kehrseite der Medaille. Was zwölf Millionen Einwohner denken, spielt keine Rolle, indes, wie in allen Demokratien, eine winzige Minderheit die Gesetze erläßt. Paris ist streng grausam, bitter. Jeder trägt das Lächeln eines Menschen, der mit Vergnügen seinem Nachbarn die Kehle durchschnitte, ihn aber, weil sich sein Traum nicht realisieren läßt, zum Abendessen einlädt. Die lieben Verstorbenen verschwinden, wie durch eine Falltür, ohne daß wir Zeit hätten, dessen überhaupt gewahr zu werden. Jeden Morgen lesen wir die Todesanzeigen und keinem weinen wir eine Träne nach. Man muß sich Paris ohne irgendwelche Erwartungen nähern. Da ich Balzac und Zola gelesen hatte, erschien Paris mir, als ich fünfzehn war, als ein Ort des Verbrechens - ein Irrtum, nicht minder schwer wiegend wie der Glaube an sein Lächeln, an seine Anmut. Allein die Zeit kann einem die Einbürgerungsurkunde verschaffen. Wenn man sich lange genug schlecht mit seinem Nachbarn vertragen hat, lebt man schließlich mit allen in gutem Einvernehmen. War es nicht der große weise Mann unserer Literatur, war es nicht der Victor Hugo der Misérables, der feststellte, daß unterhalb von Paris noch ein zweites Paris existiert ? In Paris gehen alle Schläge unter die Gürtellinie, satirische Lieder werden in Kellerräumen geboren, und um neue Filme zu sehen, muß man mehrere Treppen tief unter das Straßenpflaster hinabsteigen. Der Preis, der an eben diesem Abend einem Roman verliehen wird, oder, besser noch, die Kritik eines Theaterstücks, die Gelegenheit für einene günstigen Kredit, der Kurs einer Aktie bei der Eröffnung des Marktes, eine Pressekampagne, die aus dem Nichts entsteht, eine lächerliche Mode, die sich rasant ausbreitet, ein guter Ruf, der dem Ungeheuer 'Meinung' zum Opfer fällt - all das läuft zuerst durch die unterirdischen Telefonkabel, die sich die Stimme der Kanalisation borgen. Und der Polzei, die lauscht, entgeht kein einziges Wort. Paris ist ein latenter kleiner Bürgerkrieg. Explosionen dringen aus Kellerfenstern, der Ball wird beim Return gefangen, und der Spieler, der kurz davor steht zu punkten, wird zu Boden geworfen. Die schönsten Paläste sind aus dem härtesten Felsen erbaut, dem Stein des Sisyphus vielleicht, oder denen von Skylla und Charybdis. Paris ist eine Stadt der Rastlosigkeit, so wie London von Lethargie bestimmt wird. Eine Stadt des unsichtbaren Geschwätzes, primitiver Witze, des Beinstellens und savoir-faire, eine Stadt der Soufflés, die nicht warten können, sondern zusammenfallen, kaum daß man sie aus dem Ofen nimmt. . Paul Morand
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