HiddenNickname
Meine feministische Karriere war vermutlich sehr klassisch: Seit ich denken kann, war Alice Schwarzer immer als „die Feministin“ präsent. Ich merkte früh, dass männliche Gleichaltrige mehr Freiheiten hatten und – es hatte mir niemand bewusst eingetrichtert – aber mir kam es immer vor, als wären sie klüger, stärker und erfolgreicher als ich und andere Mädchen / Frauen. Ich wäre als Kind gerne ein Junge gewesen – nicht, weil ich mich in meinem biologischen und nach außen sichtbaren Geschlecht unwohl fühlte, sondern weil ich mich nach der gleichen Freiheit sehnte. Als ich anfing, die EMMA zu lesen, wurde mir klar, dass ich auch in „meinem“ Geschlecht selbstbewusst, eigenständig und erfolgreich sein kann und mich nicht selber klein machen und gefällig sein muss. Als ich mich nicht mehr davor verschließen konnte, dass ich lesbisch bin (Achtung: das bedeutet für mich, mich selbst als Frau – ohne Sternchen – zu sehen und mich emotional und sexuell von Menschen mit Vagina und Brüsten abgezogen zu fühlen), begann ich, mich mit sexuellen und geschlechtlichen Identitäten auseinanderzusetzen. Die Gender-Vorlesungen in der Uni taten ihr Übriges und ganz unbemerkt war ich im Queerfeminismus gelandet. Ich begann mich mit den unterschiedlichen Ansichten des Feminismus auseinanderzusetzen und entdeckte zunehmend, dass ein Graben durch die feministische Szene geht, der nichts mit einer „Generationenfrage“ zu tun hat, wie ich „Konflikte“ zuvor immer abtat. Lange Zeit verortete ich mich genau zwischen den radikalen Feministinnen und den Queerfeminist*innen: Für mich war Alice Schwarzer immer eine Person, zu der ich aufblickte und der ich sehr dankbar für ihre Arbeit bin. Allerdings setzte ich mich kritisch mit manchen radikalfeministischen Positionen auseinander (zum Beispiel der Haltung zum Islam oder zur Sexarbeit). Auf der anderen Seite beschäftigte ich mich mit sehr vielen Begriffen des immer länger werdenden Buchstabensalats und der Sternchen (übrigens: Ich liebe Sprache und präzise Begriffe!). Und fragte mich, wieso nicht jeder Mensch sein könne, wie sie/er ist, ohne für jede Gruppe eigene Label zu kreieren, die irgendwann so weit ausdifferenziert werden, bis ohnehin jede Person ihr eigenes Label hat – womit diese grundsätzlich überflüssig werden würden. Die offene Debatte zwischen Judith Butler und Alice Schwarzer verfolgte ich zwar intensiv, aber nur mit einem müden Lächeln.
Erst durch die safer space-Debatte und dem neuen Begriff „TERF“ begann ich mich wieder sehr grundsätzlich mit beiden Positionen auseinanderzusetzen. Ich verstand die große Empörung, die die enge Definition von „Frau“ auslöste und war zunächst ebenfalls empört, dass Trans*personen aktiv ausgeschlossen wurden – zumal ich selber in der Vergangenheit Ausgrenzungserfahrungen machte und die Idee von sicheren Räumen sehr sinnvoll sehe. Ich versuchte jedoch die Gegenposition zu verstehen und tatsächlich: Ich verstehe nun. Radikale Feministinnen kämpfen gegen strukturelle Diskriminierung (ja, hauptsächlich gegen Menschen mit Vagina und Uterus) durch das Patriarchat. Das bedeutet, dass sie für eine Gesellschaft kämpfen, in der jeder Mensch, egal mit welchen äußeren Merkmalen er geboren wurde, gleiche Rechte und Chancen hat. So einfach. Wenn ich aus dieser Sicht auf die Welt schaue, brauche ich diese Labels nicht. Vielleicht würden wir dann sogar irgendwann in einer Welt leben, in der Vaginas und Penisse ungefähr so viel Bedeutung haben wie Hände und Füße – und ganz vielleicht bräuchte sich dann niemand mehr operativ verändern zu müssen, weil es ganz egal ist, wie jemand aussieht: Jede Person könnte sich genauso verhalten, wie sie es möchte und jeder Raum wäre ein safe space für alle. Das wäre mein Traum.
Wie seht Ihr das?