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Lovestories » Detail

Jedem Anfang seine Zeit

von milou


Jedem Anfang seine Zeit Ich liege im Bett und denke an dich. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Es sind erst wenige Minuten vergangen seit ich die Tür hinter dir geschlossen und das helle Scheinwerferlicht mit dir davonfahren sehen habe. Doch du liegst noch in der Luft. Alles riecht nach dir. Der Raum, mein T-Shirt, die Bettdecke, meine Hände, meine Haut… Als würdest du gleich wieder das Zimmer betreten, ohne richtig weg gewesen zu sein. Ich schmunzle, denn mir kommt der Gedanke an die “Zigarette danach” und ich setze mich im Bett auf. Mein Bauch schmerzt ein wenig. Allerdings nicht davon, was einige Augenblicke vorher mit uns geschehen war, sondern von der Aufregung, die ich immer noch habe, wenn ich mich besonders freue, dich wieder zu sehen. Deine Eltern waren zu früh gewesen. Es war das erste Mal, dass wir unsere Klamotten hektisch zusammensuchen mussten, das an Ort und Stelle liegen ließen, was wir eben noch in den Händen hielten, dass ich ohne Unterwäsche unter meiner Kleidung oder Socken zu tragen nach unten lief, um deinem Vater zu öffnen. Es muss so klar und deutlich erschienen sein. Mein zersaustes Haar, die geröteten Wagen, die nackten Füße und dazu war meine Jacke ein wenig zu weit geöffnet als dass man hätte denken können, ich würde wirklich etwas darunter tragen. Ich hatte ihm gar nicht in die Augen blicken können und mein Gemurmel hatte sich im Kreis verlaufen bis ich wieder nach drinnen gelaufen war, um dir zu helfen, deine Dinge einzusammeln.
Nun liege ich hier und wünsche mir, wir könnten jetzt nebeneinander liegen, uns halten, nebeneinander einschlafen. So unschuldig wie am Anfang. Jetzt denke ich an unseren Anfang zurück, wie jung und vorsichtig wir waren. Und scheu. Bis wir uns aneinander gewöhnt, uns gegenseitig gezähmt hatten. Heute denke ich, wir konnten es damals selbst nicht glauben. 15 Monate. Vor 15 Monaten. Der Tag, an dem wir beschlossen, zusammen zu sein. Davor kannten wir uns fast schon zwei Monate.

Es war ein gelangweilter Tag Ende August. Würde ich dich fragen, du würdest bestimmt wissen, welches Datum es war. Der Sommer war noch nicht vorbei, es war heiß draußen und ich wollte mich drücken, die riesige Rasenfläche hinter unserem Haus zu mähen. Meine Eltern waren verreist und nur mein großer Bruder war mit mir zu Hause. Die Langweile trieb mich an den PC zu einer Internetseite, die ich nur besuchte, wenn ich mir sicher war, nicht überrascht zu werden. Der Lesarion Chat öffnete sich und plötzlich passierte es. Wir trafen uns. Es hätte tausend andere Möglichkeiten gegeben, dich zu treffen. Es hätte genügend Eckpunkte in unserer beider Leben gegeben, die sich fast berührten, für die nur noch ein winziger Schritt in die Richtung der anderen getan hätte werden müssen, um sich auf eine andere Art über den Weg zu laufen. Aber ich traf dich genau auf diese eine Weise. Das erste Mal, dass wir miteinander schrieben, war nicht sehr intensiv, wir bemerkten lediglich, dass wir nicht weit voneinander wohnten und wohl beide die gleiche Art von Frisur hatten. Du musstest sehr bald gehen und eigentlich wäre kein Grund gewesen, uns im Chat wieder zu treffen, da es für uns beide ein rein seltener Zufall war, an genau diesem Tag, um genau diese Uhrzeit in den Chatraum zu gehen. Wir waren beide nur sporadische Chatter, doch trotzdem hatten wir uns getroffen. Dass es weiterging lag wohl daran, dass ich dir eine Mail schrieb, an deren Inhalt ich mich noch fast genau erinnern kann: “Memmingen - Mindelheim, das ist doch ein Katzensprung. Wäre schade, wenn wir nicht in Verbindung bleiben oder uns mal treffen würden.” Du antwortetest. Ich schrieb dir zurück. Und von dir kam wieder Antwort. Mit jeder Email, die zwischen uns wechselte, wuchs die Spannung auf die nächste, voller Aufregung saß ich vor dem PC und wartete darauf, dass der Smilie vom Emailcheck sich vor Freude gelb färben würde, um mir mitzuteilen, dass du mir geschrieben hattest. Wir trafen uns im Chat. Manchmal für Stunden. Du hattest mich gefragt, dich auf ein Konzert Ende September in deiner Stadt zu begleiten. Nur zu gern willigte ein. Es war schon beschlossen, dass ich bei dir nächtigen sollte. Deswegen folgte der nächste Schritt, wir wollten uns schon vorher treffen, um zu sehen, ob wir uns denn überhaupt leiden konnten. Zufällig oder auch schicksalshafterweise war mein Optiker in der Stadt, in der du zwar nicht richtig wohntest, aber oft warst, und meine Brille war in dieser Zeit sehr anfällig, Schrauben zu verlieren. So hatte ich einen Grund, zu dir zu fahren. Unser erstes Treffen, es war Anfang September und immer noch sehr warm, platzte leider, da meine Mutter mit mir fuhr und ich ihr nicht sagen konnte, warum ich so gerne alleine gefahren wäre. Als ich mit ihr in einem Straßencafe saß, musste ich ständig um mich gucken, um nach dir Ausschau zu halten. Doch an diesem Tag sah ich dich nicht.
Das nächste Mal kam ich allein. Am neunten September. Es war Abend und es regnete. Wir hatten uns an dem Brunnen am Rathausplatz verabredet und ich war zu spät. Ohne Schirm, in schwarzer Cordjacke, meinem schönsten Polohemd und der besten Hose rannte ich durch die Straßen und raste erst einmal an dir vorbei. Du saßt seitlich unter einem Vordach, während ich auf den Brunnen mit dem Gedanken “Puh, sie ist noch später als ich.“ zuschoss. Jemand rief hinter mir meinen Namen. Ich erschrak, denn mir war nicht klar, dass du ihn kanntest und die Art wie du ihn aussprachst klang so fremd und gleichzeitig so wunderbar norddeutsch. Nun standen wir voreinander und ich konnte es nicht glauben. Nein, das konntest nicht du sein. So hatte ich dich nicht erwartet.
Damals warst du 14. Und ich 18.
Vor mir stand eine erwachsene Person, die gar nicht meiner Vorstellung von einer 14jährigen entsprach. Hätte ich dein Alter nicht von deinem Profil gewusst, hätte ich dich auf mein Alter geschätzt.
Du warst allein schon von deinem Aussehen so unkindlich. Du trugst nicht wie ich erwartet hatte typische Teenieklamotten, sondern du standest in einer grün-weißen Trainingsjacke, Jeans und Adidas Samba Schuhen vor mir im Regen. Und vor allem ungeschminkt. Zwar war ich sehr verwirrt, aber innerlich auch erleichtert, dass du genau das Gegenteil von dem warst, was ich erwartet hatte. Deswegen mochte ich dich schon vom ersten Moment an.
Und so verblüfft wie ich war schienst du auch zu sein, denn wir standen eine Weile stumm die Hände verlegen in den Hosentaschen voreinander bis du dich endlich trautest und vorschlugst, in eine Bar zu gehen.
Dort saßen wir uns im schummrigen Licht direkt gegenüber und meine kalten Füße waren dank Chucks und Pfützen nass und daher noch kälter. Stundenlang erzählten wir uns. Ich legte mein komplettes Leben vor dir auf den Tisch. Und du deines vor mir. Alles an dir war so aufregend, allein wie du sprachst, deine Familie, was du erlebt hattest. Du hieltest deine Tasse in der linken Hand. Ich war fasziniert von dir.
Bisher warst du wie ich mit ein paar Jungen zusammen gewesen, du erwähntest aber nicht, dass du mit deinem letzten Freund erst kürzlich vor unserem Treffen Schluss gemacht hattest. Du hattest zwischendurch eine Affäre mit deiner Physiotherapeutin, die doch ganze acht Jahre älter war als du. Sie hätte dich verführt, erklärtest du mir, und du ließest dir das auf deiner Suche nach Liebe gefallen. Ich hatte in deinem Alter einen Freund gehabt, mit dem ich nur zusammen gewesen war, weil er älter und die erste Person war, die ernsthaftes Interesse an mir zeigte. Als ich 17 war, nahm mir ein 15 jähriges Mädchen meine Unschuld. Und meinerseits verschwieg ich dir, dass ich wenige Wochen zuvor gegen meinen Willen mit einem Kerl in meinem Alter im Bett gelandet war, aber letztendlich nicht mit ihm geschlafen hatte. Wir beide wollten unsere kleinen Geheimnisse aus ein und dem selben Grund nicht von Anfang an zeigen. Ich wollte dir gefallen. Und du mir.
Irgendwann nahmst du mich mit zu dir. In deine eigene Wohnung. “Ich hab leider nur Bier”, sagtest du mir, als du die Wohnungstür aufschlossest.
Und ich trank Bier, aus einem Weizenglas und es war mir relativ egal, ob ich noch mit dem Auto nach Hause fahren musste. Die ganze Zeit über waren wir beide sehr bedacht, uns nicht allzu nah zu kommen, doch als wir deine Wohnung verließen und im dunklen Treppenhaus nach dem Lichtschalter suchten, trafen sich unsere Hände für einen winzigen Augenblick, in dem wir beide innerlich zusammenzuckten und innehielten. Wir verabschiedeten uns sehr befangen im Regen an meinem Auto.
Danach musste ich in einer Mail zugeben, dass ich mich nicht an dein Augenfarbe erinnern konnte, da ich mich nicht getraut hatte, dir zu tief in die Augen zu sehen. Du wusstest auf Anhieb, welche Farbe meine Augen hatten. Ich fragte dich, wie denn eigentlich dein richtiger Name sei, ich wusste zwar deinen Spitznamen, den aber auch nur von deinem Profil und deinen Mails, hatte mich aber das ganze Treffen über nicht getraut, dich beim Namen zu nennen, aus Angst, ich könnte ihn falsch aussprechen oder er würde aus meinem Mund nicht schön genug klingen. Und dein richtiger Name war noch so viel schöner als dein Spitzname.
Das nächste Mal, dass wir uns sahen, war, als du zum Zahnarzt musstest und ich mit meiner Mutter erneut wegen meiner Brille in deiner Stadt unterwegs war. Ich schickte sie zu Fielmann, um nach dir Ausschau zu halten und schwups, wenige Sekunden danach liefen wir uns wirklich über den Weg. Ich trug ein schwarzes Poloshirt, hatte meine Hose hochgekrempelt und meinen Hund an der Leine. Plötzlich tauchtest du aus der Menschenmenge auf, ich sah deine rote Trainingsjacke aufleuchten und ich wäre vor freudigem Schreck beinahe umgefallen. Ich hatte zwar gehofft, dich zu sehen, aber in dem Moment, in dem ich dich erblickte, rutschte mir mein aufgeregt klopfendes Herz in die Hose und ich schämte mich für meine zwar gebräunten aber vernarbten Pfadfinderbeine. Deine Zähne blitzten mir entgegen, als du mich anlächeltest und mir schwirrte der Gedanke durch den Kopf, dass dein Zahnarzt da wohl nichts zu beanstanden hatte. Ich blieb vor dir stehen und tätschelte verlegen den Kopf meines Hundes. Du sprachst mit mir, doch ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, was du sagtest, denn ich hatte mir fest vorgenommen, mir deine Augenfarbe zu merken. Blau. Ein umwerfendes helles Blau, ein wenig grau, aber wunderschön.
Bis ich mir deine Augen ganz genau eingeprägt hatte, trennten wir uns schon wieder und ich setzte mich ein paar Meter weiter an den Tisch eines Straßencafes. Du gingst in die andere Richtung davon, während ich still in mich hineinlächelte. Mein Herz klopfte immer noch, aber es war ein gutes Gefühl. So gut, dass ich dachte, wenn ich nun sterben würde, wäre das völlig in Ordnung. Doch der guten Dinge nicht genug, liefst du noch einmal an mir vorbei. Eine Pizzaschnitte kauend grinstest du mich noch einmal spitzbübisch an, deine Augen funkelten noch einmal so wunderschön und noch einmal bemerkte ich deine besondere Art, deine Füße beim Gehen aufzusetzen. Ich sah dir noch lange nach, du warst schon längst hinter einer Ecke verschwunden, aber meine Gedanken wollten dir nachhängen, bis meine Mutter mich aus denselbigen riss. Die Schraube an meiner Brille war geklebt worden und saß nun endgültig fest. Kein Grund mehr, in deine Stadt zu fahren.
Als ich nach Hause kam, war bereits eine Mail von dir eingetroffen, in der du mir sagtest, wie schön braun meine Beine wären. Ich konnte vor Freude ein Grinsen nicht unterdrücken und schrieb dir, dass ich deine Augenfarbe nun kannte und nicht mehr vergessen würde. Wir planten, uns noch einmal vor dem Konzert zu treffen. An einem Freitag, dem 16. September, hatte ich einen Basketballlehrgang. In deiner Stadt. Was für ein Zufall. Ich hatte eine Mitfahrgelegenheit und erzählte meiner Mutter, dass ich bei dir übernachten würde. Sie fragte nicht, wer du warst und ließ mich gehen. Für den Abend packte ich eine Flasche Rotwein und auch zwei Weingläser ein, da ich wusste, dass in deiner Wohnung keine sein würden. Und diesmal wollte ich nicht aus einem Weizenglas trinken. Den ganzen Abend über war ich aufgeregt, mir war heiß und ich konnte weder dem Spiel der deutschen Basketballnationalmannschaft noch den Regeländerungen für die neue Saison folgen. Meiner Schiedsrichterkollegin fiel die Röte in meinem Gesicht auf und besorgt fragte sie mich, ob es mir gut ginge. Ich nickte nur und grinste. Nach dem Lehrgang ließ ich mich am Bahnhof absetzen. Du holtest mich ab. Wir lächelten uns verlegen an. Ich wusste nicht, ob ich dich zur Begrüßung umarmen sollte und schließlich stammelte ich nur ein Hallo und wir gingen zu dir.
Im Hintergrund lief Musik. Später würdest du mir sagen, dass das die Musik sei, die du hörtest, um an mich zu denken. Wir saßen auf dem Sofa, tranken Rotwein. Es brannten Kerzen auf dem Tisch. Wir erzählten uns den ganzen Abend. Ich zeigte dir mein Tattoo und du strichst darüber, fragtest, ob es nicht weh getan habe. Eine Gänsehaut breitete sich von meinem Nacken über den ganzen Rücken aus und ich blickte dich an. Es trat eine kurze Stille ein, die aber keineswegs peinlich war. Etwas lag in der Luft und während wir uns so ansahen, sagtest du:” Eigentlich finde ich dich sehr viel mehr als nur nett…”. Ich verstand sofort, denn dieser Satz traf auf der Stelle wie in ein Hieb in die Magengegend. Die Überraschung, die Verwirrung, die Freude, aber auch die Unsicherheit, wie ich nun reagieren sollte und ob du es ernst meintest, und dein fragender Blick dazu brachten mich völlig aus der Fassung, sodass ich mit tausend durcheinander wirbelnden Gedanken in meinem Kopf Sätze begann, die ich nicht beenden konnte. Ob du dir sicher wärst? Warum gerade ich? Mich hatte zuvor noch niemand…?! Wie du das nach so kurzer Zeit schon sagen konntest…? Ich fand dich auch sehr viel mehr als nett, aber das begann ich erst in diesem Moment zu realisieren, in dem ich schon dabei war, deinen ganzen Mut, den du für deine Offenheit aufgebracht hattest, zu zerstören. Nach und nach rutschte dein Lächeln von seinem Platz bis es ganz verschwand und dein Gesicht so tieftraurig wurde, dass es mir an meinem wild klopfenden Herzen riss. Du entschuldigtest dich ein ums andere Mal, meintest, du hättest mich unwirsch überrannt und dann: ”Scheiße.. Ich hab´ alles kaputt gemacht. Ich kann´s verstehen, wenn du mich total bescheuert findest.” Innerlich schrie ich nach einer Notbremse, wünschte mich zwei Minuten zurück, um alles anders zu machen, doch ich war nicht in der Lage meine Gefühle mit mehr als gestammelten Sätzen, die nur beschwichtigend klagen, nach außen zu bringen. Mehr als einmal ging mir durch den Kopf, dass ICH verdammt noch mal alles kaputt gemacht hätte. Irgendwie schaffte ich es trotz meines brennenden Gesichts zu sagen, dass ich dich sehr, sehr gerne mochte. Doch du verstandest nicht. Wir bewegten uns im Kreis. Und dann versuchtest du, wieder an das Gespräch zuvor anzuknüpfen. “Ich mag dein Tattoo sehr. Ich würde es gerne haben…” Mein Mund war wie ausgetrocknet, als ich mich zu dir drehte und ich wusste, dass dies die letzte Chance war, alles noch einmal umzukehren. Und bevor ich realisierte, dass ich überhaupt sprach, hatte sich mein Mund zusammen mit meinem Herzen von mir losgelöst und selbstständig gemacht und wie von fern hörte ich mich mit heiserer Stimme sagen: ”Ja, dann nimm den Rest doch auch dazu.” Wie in Trance hatte ich deine Hand ergriffen und zog dich leicht zu mir. Das war nicht ich, die da handelte. Es war irgendetwas anderes in mir. Vielleicht war zum ersten Mal die Liebe, die tief in mir begraben aus ihrem Samenkorn gesprossen, aus der Tiefe empor gewachsen war und mit ihren Blüten mein ganzes Sein eingenommen hatte. Und zum ersten Mal trafen sich unsere Lippen, zwar nur für zwei kleine Momente, jedoch diese genügten, um mich in einem Brausebad erzittern zu lassen. Dich spürte ich auch leicht zittern und wir hielten uns, hielten uns, hielten uns an den Händen und sanken aufs Sofa.
Als ich im Bett neben dir lag, konnte ich mein Glück kaum glauben. Vorher hattest du noch angeboten, auf dem Gästebett zu schlafen, doch ich wollte mich nicht mehr von dir trennen. Wir lagen da, schauten uns an und unsere Hände tanzten miteinander und aufeinander, erkundeten scheu die Hand der anderen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir noch ein einziges Wort geredet hätten. Irgendwann drehtest du dich um und kurze Zeit später hörte ich dein gleichmäßiges Atmen, das mir verriet, dass du schliefst. Mein Bauch rebellierte und ließ mich mit schmerzenden Krämpfen nicht schlafen. Es war die ganze angestaute Aufregung, die mich die halbe Nacht wach hielt. Für mich war die Nacht endlos lang und da ich nicht den Mut hatte, dich zu wecken, bekamst du davon nicht viel mit. Vielleicht sahst du die Ringe unter meinen Augen, als du am nächsten Morgen deine strahlend blauen Augen aufschlugst. Morgens, wenn du deine Augen zum ersten Mal aufschlägst, sind sie so wunderbar blau, ganz frisch wie der Himmel am Morgen selbst. Allein deswegen ist es so wunderschön neben dir zu schlafen und darum bin ich auch so gerne vor dir wach und betrachte dich solange bis du dann vielleicht sogar davon aufwachst. Wir lächelten uns an, waren aber trotzdem sehr verhalten. Es schien, als sei der Zauber der letzten Nacht erloschen, ein Traum gewesen zu sein. Ich traute mich nicht, dich zu berühren oder dich auf den vorherigen Abend anzusprechen - aus Angst, es wäre nur der Wein schuld daran gewesen und du wolltest es gar nicht. Sehr vorsichtig und distanziert gingen wir miteinander um.
So verabschiedeten wir uns verklemmt ohne Umarmung, nur um in der nächsten Email das zu beteuern, was am Abend zuvor geschehen war, dass es uns ernst war und es uns leid tat, dass der Morgen so fremd gewesen sei.
Für das Konzert nahm ich mir vor, dich zur Begrüßung zu umarmen. Schon die ganze Woche überlegte ich mir, wie ich mich verhalten und was ich zu dir sagen würde. In meinen Vorstellungen war ich charmant, herzlich und gelassen, doch als mein Auto am 24. wirklich auf dem Parkplatz stand und ich dich wieder sah, kam alles ganz anders. Die Umarmung verschreckte ich mit meiner aufgeregten Zappelei und auch sonst brachte ich keine der geplanten romantischen Liebesgeständnisse über die Lippen. Du warst wohl von meiner Aufwühlung und meiner Überdrehtheit ein wenig verstört und bestimmt hattest du unser Wiedersehen auch anders geplant.
Stolz kamen wir ins Konzert ohne nach dem Ausweis gefragt zu werden. Lange stand ich neben dir, lernte ein paar deiner Freunde kennen und nach einer Ewigkeit suchte sich meine Hand durch die Menschenmenge zu deiner. Erst hielten sie sich scheu und schüchtern, unsere beiden Hände, doch irgendwann wurden sie sicher und hielten sich fest oder wanderten sogar an der anderen empor, um ihr von den Gefühlen zu erzählen, die in uns beiden tobten und wüteten. Wir ließen uns treiben in der Menge, in unseren Gefühlen und in unserem Glück. Schließlich stellte ich mich hinter dich, umschlang deine Hände und wollte mit dir tanzen.
Die Blicke der Menschen um uns, die verwirrt und neugierig guckten, nahm ich nur von fern wahr, so dicht war ich in einen Nebel von Verliebtheit gehüllt, der um uns herum waberte.
Als die Musiker eine Pause machten, zogst du mich nach draußen. Wir standen abseits, ich an eine Wand gelehnt, wir umarmten uns und hielten uns fest. Meine Hände erkundeten deinen Rücken und deine hintern Hosentaschen, mein Kopf sank zu dir herunter. So standen wir ewig und genossen den Moment. Doch unsere Lippen trafen sich an diesem Abend nicht.
Der nächste Morgen war verhalten wie der die Woche zuvor. Das Eis, das tags zuvor seine Zeit gebraucht hatte, zu schmelzen, war über Nacht wieder gewachsen und machte uns scheu. Wir trennten uns erneut voneinander ohne Kuss oder Umarmung.

Am ersten Oktober trafen wir uns im Regen am Bahnhof. Wir wollten zusammen nach Ulm fahren, was mangels Regenschirm eher eine schlechte Idee war. Regen erinnerte mich immer an dich, daran wie wir uns das erste Mal gesehen hatten und beide fröstelnd durch Nass und Pfützen gelaufen waren.
Einkaufslaune hatte keine von uns beiden und so wir liefen die Fußgängerzone auf und ab auf der Suche nach einem gemütlichen Cafe, das nicht vollkommen überfüllt war wie die anderen. Nachdem wir in einer Bar abgewiesen wurden, da sie erst in einer halben Stunde öffnen sollte, wurden wir endlich in einer Hintergasse fündig. Dort saßen wir lange bei Milchkaffee und erzählten uns von unserer Woche, aus unserem Leben, von allem Möglichen. Allerdings sprachen wir nicht über uns oder wie wir denn nun zu einander standen.
Als es schon Abend wurde, fuhren wir wieder in deine Stadt und weil wir uns noch nicht voneinander verabschieden wollten, beschlossen wir, in einem türkischen Restaurant Shisha zu rauchen. Wir saßen auf Kissen an einem niedrigen runden Tisch, auf dem eine große Wasserpfeife mit Limone-Pfefferminztabak vor sich hin rauchte, und außer uns waren im Lokal keine Gäste. Durch eine halb durchgezogene Wand, die Gaststube und Tresen voneinander trennte, waren wir vor den Blicken des Wirts geschützt, der nebenan türkisches Fernsehen sah. Du rutschtest näher zu mir und ich glaube, du legtest deinen Kopf auf meine Schulter. Deine Nähe tat mir gut nach der ganzen Aufregung des Tages. Du fragtest, was denn nun mit uns sei. Ich wusste, was du meintest, wollte aber nicht sofort darüber reden, aus Angst, vom Wirt belauscht zu werden. Du sprachst leise und ich fühlte schon wieder eine aufwühlende Erwartung in mir prickeln. Du fragtest, ob wir denn zusammen seien und warum unsere Morgen immer so verklemmt wären. Ich sagte, dass ich dich mehr als nur mögen würde und dass es mir leid täte, dass wir bei jedem Wiedersehen und an jedem Samstagmorgen von vorne beginnen müssten. Ich wusste nicht, ob du mich verstehen würdest, aber ich versuchte dir zu erklären, dass ich mir so unsicher wäre, da ich nicht glauben konnte, dass du mich wirklich mochtest, dass du wirklich wolltest, dass ich dich berührte. Dass ich mich nicht traute, da ich fürchtete, etwas zu tun, was du eigentlich nicht wolltest. Doch du antwortetest auf meine Zweifel, dass ich keine Angst haben bräuchte.
Es war der Abend, an dem wir beschlossen, zusammen zu sein. Und als du mich zum Bahnhof brachtest, saßen wir so lange am Gleis eng zusammen bis mich der davonfahrende Zug aufschreckte und mir klar wurde, dass ich dabei war, den letzten Zug nach Hause zu verpassen. Ich sprang auf, drückte eilig den Türöffner und der Zug hielt für mich. Eilig zog ich dich zu mir und wir küssten uns zum zweiten Mal seit wir uns kannten.
Den ganzen Weg nach Hause konnte ich nichts anderes tun, als still in mich hineinzulächeln und mich wieder zurück zu dir zu wünschen. Kurz nachdem der Zug deine Stadt verlassen hatte, vibrierte mein Handy in meiner Tasche und du hattest geschrieben: “Hui spring hüpf freu.. Tralala. `zusammen` 1+1=1.. Hach ich noch so benebelt und alles so schön. Nie mehr Samstagmorgen und eine Welt mit Vroni. Quak.” Ich stieg aus dem Zug strahlend wie ein Honigkuchenpferd.
Bis unsere Samstagmorgen anders wurden, dauerte es noch eine Weile. So schnell wie es angefangen hatte, desto langsamer ließen wir es danach angehen. Wir ließen uns Zeit und machten uns keinen Druck, dieses Gefühl habe ich jetzt im Nachhinein. In jeder Hinsicht. Und wir beide haben uns seitdem sehr verändert, sind beide erwachsener geworden.
Denke ich und schlinge die Bettdecke enger um mich. Ohne dich ist mir immer so kalt im Bett. Ohne dich ist das Bett immer so leer.
Ohne dich…
Meine Träume handeln ausschließlich von dir. Ich treffe dich nachts und tanke mich mit dir auf, du gibst mir Kraft für meine Tage ohne dich, bis ich dich wieder habe, dich an mich drücken kann. Und eines Tages werde ich dich nicht mehr loslassen.
Denke ich und schlafe glücklich und befriedigt ein.




copyright © by milou. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


...einfach unbeschreiblich...
Atlantikkueste - 16.10.2011 14:18
:)
Sasori - 14.09.2011 21:15
test
test
abalone - 07.10.2009 12:53
Wundervoll
MissMusike - 03.10.2009 15:46
lange her
JungesGlueck - 21.12.2008 19:26

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