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Überraschungen. Fortsetzungsroman,Teil 3

von atayari


Am nächsten Morgen werde ich schon mit dem Gedanken an Tatjanas Mail wach. Was hatte das nur zu bedeuten?? Was war passiert zwischen ihrer ersten und ihrer zweiten Mail?

Irgendwie ärgere ich mich darüber, dass ich so viel über diese unbekannte Frau nachgrübele. Ich kenne sie doch gar nicht! Hab sie nie gesehen. Sie könnte 60 Jahre alt sein oder 15. Was weiß denn ich?!
Aber es interessiert mich doch.

In der Mittagspause gehe ich nicht wie sonst mit den Kollegen zum Mittagessen, sondern bleibe an meinem Rechner sitzen und rufe ihre Mail noch einmal auf. Ich würde so gerne irgendwas dazu schreiben, einfach, damit sie mir dann auch wieder schreibt und ich erfahre, was los ist! Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Eine ganze Weile starre ich auf das leere Feld auf meinem Bildschirm, in dem der Cursor geduldig blinkt. Dann entscheide ich mich für die im Moment einfachste Variante. Ich schreibe einfach auf, was ich denke.

„Hallo Tatjana! Danke für deine Mail! Aber irgendwie hat sie mich total verwirrt. Ich hätte irgendwie was anderes erwartet. Dein Ton klingt so ernst! Ist etwas passiert? Geht es dir gut?“
Und dann, nach ein paar ratlosen Minuten, schreibe ich spontan unten drunter: „Die Farbe meiner Augen ist übrigens grün.“ Dann schicke ich die Mail ab, ehe ich es mir anders überlegen kann.

Den ganzen Nachmittag kann ich mich kaum auf die Arbeit konzentrieren. Aber ich widerstehe der Versuchung, alle 5 Minuten mein Postfach zu checken. Das mache ich dann aber sofort, nachdem ich zuhause angekommen bin. Und zu meiner Überraschung habe ich sogar tatsächlich schon Post! Von ihr!

„Hey, danke für diese Info! Das passt… Irgendwie dachte ich schon, als ich dich das erste Mal gesehen habe, dass du bestimmt grüne Augen hast…“ Das ist alles. Die Mail ist erst zwanzig Minuten alt. Diesmal ist der Ton wieder ganz anders, eher so wie in der ersten Mail. So ganz verstehe ich das nicht. Aber ich kann trotzdem nicht aufhören zu grinsen.

„Wieso dachtest du das?“, schreibe ich und bleibe hoffnungsvoll vor meinem Computer sitzen, um zu warten, ob sie noch online ist. Scheint sie zu sein, denn ein paar Sekunden später taucht eine neue Mail auf. „Es passt zu dir.“ Mein Lächeln wird breiter, aber meine Verwunderung wächst. Flirtet sie mit mir?

„Was weißt du sonst noch über mich?“, schreibe ich. Kaum, dass ich die Mail abgeschickt habe, würde ich sie am liebsten wieder zurückholen und löschen. Was ist das für eine blöde Frage?!
Diesmal dauert es eine Weile länger, bis eine Antwort kommt. „Du isst gerne Schokokekse im Auto. Deine Lieblingsfarben sind blau und gelb. Ich glaube, du rauchst nicht, denn du hast dein Auto von oben bis unten geputzt, aber den Aschenbecher nicht geleert. Du warst vor zwei Jahren mal im Orga-Komitee einer Motorsportveranstaltung. Du bist mutig und neugierig… Was weißt du über mich?“

„Nichts. Nur, dass du gut im Beobachten und Recherchieren bist. Oder sollte ich sagen, stalken? Wo warst du die letzten zwei Wochen?“

„Ich habe das nur gemacht, weil ich dich wieder sehen wollte. Stört dich das?“ „Ich weiß es noch nicht so genau. Sollte es?“ „Ich hoffe nicht. Auch wenn ich die Farbe deiner Augen jetzt kenne. Lesen ist nicht gleich sehen.“ Ich bin baff. Jetzt bin ich sicher, dass sie mit mir flirtet. Aber warum? Wer ist diese Frau bloß? Trotzdem – warum darf nur sie mir Fragen stellen? Sie hat mir immer noch keine Antwort gegeben auf meine.

„Wo warst du die letzten zwei Wochen?“, wiederhole ich meine Frage. Eine Weile kommt nichts. Ich befürchte schon, dass sie mir diese Frage einfach gar nicht beantworten wird, und überlege schon, ob ich einfach darüber hinweggehen und etwas anderes schreiben soll. Da taucht doch noch eine Antwort auf. „Im Krankenhaus.“ „Oh je! Was ist passiert? Ist es was Schlimmes?“ „Die Ärzte sind sich noch nicht ganz sicher.“ „Wo bist du?“ Sie nennt mir tatsächlich den Namen eines Krankenhauses. Dann schreibt sie: „Was bedeutet eigentlich das Tattoo auf deiner linken Schulter?“ Langsam wird sie mir unheimlich. „Vielleicht erzähle ich dir das, wenn ich weiß, wer du bist.“, schreibe ich zurück. Sie schickt mir einen lachenden Smiley. „Finds raus!“, steht darunter.

Ich schalte meinen Rechner aus und rufe meine Freundin Chiara an. Sie arbeitet im Krankenhaus. In DEM Krankenhaus. „Hey! Na du? Lange nichts gehört!“, meldet sie sich erfreut. „Hey… Ja, sorry, ich weiß! Asche auf mein Haupt. Wie geht es dir?“ „Gut! Und dir?“ „Auch gut… Sag mal, kannst du mir einen Gefallen tun? Ich weiß, du darfst das eigentlich nicht, aber es wäre soooo super!!“ „Oh je. Was ist es diesmal?“ Ich sehe förmlich vor mir, wie sie die Augen verdreht. Also erzähle ich ihr im Schnelldurchlauf die Geschichte meiner Stalkerin, die in ihrem Krankenhaus liegt. Denke ich. Ob sie das für mich raus finden könnte? Ich werde auch niemandem verraten, von wem ich die Info habe. „Du hast sie doch echt nicht mehr alle!“, meint sie lachend, verspricht mir dann aber, am nächsten Tag mal zu sehen, was sie für mich tun könne. Ich bedanke mich überschwänglich.

Am nächsten Abend ruft Chiara mich an. „Hey. Also, pass auf. Ich denke, ich habe deine Unbekannte gefunden. Hundert Prozent sicher bin ich mir nicht, aber sie ist die einzige Tatjana, die wir in den letzten zwei Wochen rein bekommen haben. Kann natürlich sein, sie hat dir nicht ihren richtigen Namen genannt… Keine Ahnung. Sie liegt auf Station C, Zimmer 18. Dafür schuldest du mir mindestens ein selbst gekochtes Essen!!!“ „Danke dir, Chiara! Das hilft mir sehr! Klar, das Essen kriegst du! Wenn es die richtige Tatjana ist, sogar mit Nachtisch!“ Sie lacht. „Mousse au chocolat, bitte! Und – mach keinen Mist, ja?“ „Ich doch nicht…“ Lachend verabschieden wir uns, nachdem ich ihr für ihren nächsten freien Abend ihr Mousse au chocolat versprochen habe.

Der nächste Tag ist ein Samstag. Mein Postfach zeigt keine weiteren Nachrichten an. Also beschließe ich, mutig zu sein, besorge schnell ein paar besonders leckere Schokokekse in der Hoffnung, sie möge nicht wegen Magen-Darm im Krankenhaus sein, und mache mich am frühen Nachmittag auf den Weg.

Im Krankenhaus angekommen, wundere ich mich ein bisschen. Station C. Gynäkologie und Neonatologie. Nun gut. Jetzt bin ich schon mal hier, und wenn es die falsche Tatjana ist, dann gehe ich eben wieder. Was habe ich denn überhaupt erwartet? Ich weiß nichts über diese Frau! Zaghaft klopfe ich an die Tür mit der Nummer 18. Nach einem deutlich zu hörenden „Herein!“ wäre ich am liebsten Hals über Kopf geflohen, aber dann drücke ich doch zögerlich die Tür auf. Es ist ein Zweibettzimmer. Das vordere Bett ist leer, aber es liegen Sachen auf dem Nachttisch. Im hinteren Bett liegt eine Frau mit schmalem Gesicht, Sommersprossen und einer blonden Kurzhaarfrisur. Neben dem Bett sitzt ein junger Mann. „Oh. Ich- Entschuldigung! Ich glaube, ich-“, stammele ich und will schnell wieder gehen. „Atrisu?“, höre ich die überraschte Stimme der Frau im Bett. Atrisu ist mein Nickname in dem Forum, über das wir uns schreiben. Offensichtlich weiß sie noch immer meinen Namen nicht. „Tatjana?“, frage ich, immer noch mit einem Bein im Flur. „Komm rein!“, lädt sie mich ein. Sie grinst mich an. „Bin ich wohl nicht die einzige, die gut im Recherchieren ist…“ Ihr Lächeln ist ansteckend. Ich schlüpfe ganz ins Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Der junge Mann steht auf. „Dann lasse ich euch wohl mal lieber alleine. Ich meld mich später noch mal, Süße!“ Er mustert mich im Vorbeigehen, dann fällt die Tür hinter ihm ins Schloss. Unschlüssig stehe ich mitten im Zimmer. Was ist das hier?!

„Setz dich doch!“, ermuntert sie mich und zeigt auf den gerade frei gewordenen Stuhl. Dann lächelt sie mich erneut an. „Es ist schön, dass du gekommen bist!“ Ihr Lächeln ist bezaubernd. Die Sommersprossen tanzen auf ihrer Haut. Der freche Kurzhaarschnitt passt gut dazu. Ich besinne mich auf meine Manieren, klappe den Mund zu und setze mich neben ihr Bett auf den Stuhl. Dann strecke ich ihr die Hand hin. „Hi. Ich bin übrigens Lena. Das scheinst du ja noch nicht raus gefunden zu haben…“ Jetzt grinse ich auch, obwohl ich mich innen drin fühle wie ein Kartenspieler, dem niemand die Spielregeln verraten hat. Sie erwidert meinen Händedruck. Ihrer ist fest, ihre Hand ist warm. „Lena… Schöner Name. Er passt zu dir.“ Dann schaut sie mir direkt in die Augen. „Schönes Grün!“, kommentiert sie mit einem Lächeln. Ich schmelze dahin. Wortlos starre ich auf meine Hände, habe immer noch keine Ahnung, was ich sagen soll, welche Rolle ich spiele in diesem Stück und was ich jetzt tun soll. Sie schaut mich abwartend an. „Frag!“, ermuntert sie mich dann. „War das dein Mann?“, purzelt mir die erstbeste Frage über die Lippen, ehe ich zum Nachdenken komme. Sie lacht wieder. „Nein.“, meint sie belustigt. „Sehe ich aus, als hätte ich einen?“ Ich werde rot. „Ich weiß nicht.“, murmele ich. „Immerhin liegst du auf der Säuglingsstation…“ Ich komme mir sehr bescheuert vor. Aber irgendwie arbeitet mein Gehirn nicht mehr richtig, seit ich in ihrem Lächeln ertrunken bin. Toller erster Eindruck, den ich hier mache! Aber ändern kann ich es nicht.

Sie streckt ihre Hand aus und legt sie auf meine verkrampften Finger. Es fühlt sich gut an, aber ich wäre fast zurück gezuckt, denn damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Sie merkt es und hält meine Hand fest. Dann schaut sie mir ins Gesicht und fragt ernst: „Glaubst du wirklich, ich hätte mir diese ganze Mühe gemacht, wenn ich hetero und verheiratet wäre?“ Mein Herz macht einen Sprung. Aber irgendwie verstehe ich immer noch nur Bahnhof. Ratlos schaue ich sie an. Mein Gehirn arbeitet immer noch nicht. Mein Blick hakt sich an ihrer Bettdecke fest. Sie sieht es und rettet mich. „Ja, ich bin schwanger. Das wolltest du doch wissen, oder? Stört dich das?“ Unsicher zucke ich die Schultern. „Nein. Ich meine, wir kennen uns doch kaum. Ich bin nur ein bisschen verwirrt gerade… Ich hätte nichts von dem hier erwartet.“ „Ganz ehrlich? Ich auch nicht.“, sagt sie locker. Überrascht schaue ich sie an. „Wie meinst du das?“ Jetzt wird sie verlegen. „Naja“, murmelt sie leise und kann mir auf einmal nicht mehr in die Augen schauen, „ich hätte niemals erwartet, dass mich von einem auf den anderen Moment mal einfach so der Blitz trifft… Und schon gar nicht jetzt. Aber dann war es eben so. Und jetzt sitzt du hier.“ Ich begreife erst nach ein paar Sekunden, wovon sie spricht. Dann merke ich, dass sie immer noch meine Hand hält. Tausend Gedanken und Eindrücke stürmen zeitgleich in mein wieder erwachtes Gehirn. Aber ich beschließe, erstmal überhaupt nicht nachzudenken. Ich schaue ihr ins Gesicht, in die Augen (sie sind blau wie der Himmel im Frühling) und lächele sie an. Sie lächelt zurück.

In dem Moment klopft es, und Tatjanas Bettnachbarin kommt herein. Direkt nach ihr strömt die Nachmittagsvisite durch die Tür. Hastig verabschiede ich mich von Tatjana und verlasse das Krankenzimmer.

Ich bin total verwirrt, aufgewühlt und verunsichert. Aber in meinem Bauch tanzen ganz eindeutig Schmetterlinge. Was soll das hier nur werden? Welche Rolle spiele ich in diesem Stück? Ich weiß es immer noch nicht.

Ich hoffe, sie meldet sich bald bei mir und hilft mir durch diesen Dschungel.





copyright © by atayari. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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