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Überraschungen. Fortsetzungsroman, 8

von atayari


_Anschluss an Teil 7 von Loewenzahn159_


Ich raffe hastig meine Sachen zusammen, ziehe mein schwarzes Lieblings-T-Shirt an und meine blauen Turnschuhe, dann werfe ich mir meine Lederjacke über, schnappe meine Autoschlüssel und verlasse die Wohnung. Heute kommt es mir irgendwie wichtig und richtig vor, mit dem Auto zu fahren. Gestern hatte ich keine Lust auf Parkplatzsuche, aber heute gibt es mir irgendwie ein Gefühl von Sicherheit. Und das kann ich gebrauchen…

Eine knappe halbe Stunde später habe ich tatsächlich in der Nähe des Brunnens, an dem wir uns gestern getroffen hatten, einen Parkplatz gefunden. Ich bin ein bisschen früh dran, aber ich wollte mir auf keinen Fall die Blöße geben, schon wieder zu spät zu kommen. Nervös eile ich durch den Park, in dem es ebenso von Menschen wimmelt wie gestern. Doch ich sehe und höre nichts, fühle nur mein Herz hämmern und Kies knirschen unter meinen Füßen auf diesem Weg, der gefühlt mit jedem Schritt länger wird.

Endlich bin ich an dem kleinen Weiher angekommen. Es ist eine halbe Stunde früher, als wir uns gestern getroffen hatten. Vielleicht eine dreiviertel Stunde früher, als wir gestern genau hier saßen. Wie lange ist das her!! Es kommt mir vor wie in einem anderen Leben. Was bin ich doch für ein Esel! Wieso nur habe ich gestern so unsicher reagiert?! Aber ändern kann ich es nicht mehr. Ich kann nur versuchen, es heute besser zu machen…

Ich setze mich auf den Baumstamm, halte mein Gesicht in die Sonne und warte. Etwa zehn Minuten später schimpfe ich mich erneut einen Esel, dass ich mir nicht wenigstens ein Buch mitgebracht habe. Woher weiß ich denn, wann sie kommt? Ich beobachte die Lichtreflexe auf dem brackigen Wasser und versuche vergeblich, mich nicht von meiner Nervosität überwältigen zu lassen.

Nichts passiert. Aus zwanzig Minuten werden dreißig, dann vierzig. Ich kann nicht mehr still sitzen, laufe einmal um den Tümpel, bin aber zu unruhig, den kurzen Weg zu genießen, weil ich Angst habe, sie könnte genau in dem Moment auftauchen und ich könnte sie nicht sehen. Also setze ich mich wieder hin. Springe auf, laufe hin, laufe her, komme mir doof vor, setze mich doch wieder hin. Warte. Es passiert immer noch nichts. Ob sie dachte, wir treffen uns am Brunnen? Aber sie sagte doch „hier“, und da standen wir doch genau hier… Was, wenn sie am Brunnen gewartet hat und dachte, ich sei nicht gekommen? Verzweifelt frage ich mich, warum wir in all der Zeit noch immer keine Handynummern getauscht haben. Nach wie vor haben wir nur Mailkontakt…

Als eine Stunde vergangen ist, bin ich ein nervliches Wrack. Wo ist sie? Warum ist sie nicht gekommen? Will sie mich doch nicht mehr sehen? Hat sie woanders gewartet und ist jetzt sauer, weil sie denkt, ich sei nicht aufgetaucht? Was soll ich bloß tun???

Aus lauter Verzweiflung rufe ich Chiara an. Zum Glück scheint sie zuhause zu sein und geht sofort an ihr Handy. „Was ist denn mit dir los?“, fragt sie sofort, als sie meine Stimme hört. „Wo bist du? Was ist passiert?“ Stockend erzähle ich ihr, dass ich im Park sitze und auf Tatjana warte, berichte von unserem verkorksten Treffen gestern und gebe auch zu, wie blöd ich mich verhalten habe. Und dann bricht es aus mir heraus: „Was soll ich denn jetzt nur machen? Was, wenn sie woanders wartet? Was, wenn sie mich jetzt einfach gar nicht mehr sehen will? Chiara, was mache ich denn jetzt bloß?“ „Ach du liebe Güte. Na du hast dich ja schon ganz schön verrückt gemacht die letzte halbe Stunde, was? Beruhige dich erstmal. Niemand kann wissen, ob es ein Missverständnis war und ob sie am Brunnen hockt und genauso verzweifelt wartet wie du. Aber das könntest du ja vielleicht rausfinden?“ „Aber was, wenn sie dann genau zu der Zeit hier auftaucht, und ich bin nicht da?“ „Lena, es ist fifty-fifty. Wenn du glaubst, sie käme eher zum Weiher, warte dort. Wenn du zu unruhig bist, lauf zum Brunnen…“ „Aber ich weiß es doch nicht…“ „Wie lange hockst du denn jetzt schon da?“ „Etwas über eine Stunde.“ „Dann hätte sie doch auch die Chance gehabt, zu gucken, ob du am Weiher bist?“ „Ja, aber…“ Ich breche den Satz ab, weiß ich doch selber, dass ich dieses Aber noch nicht einmal denken, geschweige denn aussprechen will. Chiara spürt meine Verzweiflung. „Was hältst du davon, wenn du jetzt zu deinem Auto gehst, zu mir kommst und wir uns erstmal ne leckere Pizza oder so was gönnen? Wenn sie dich genauso liebt wie du sie, dann werdet ihr einen Weg finden, dieses Chaos zu beseitigen. Und wenn nicht, dann ist niemandem damit geholfen, wenn du dir da an diesem Tümpel eine Blasenentzündung holst…“ Ich seufze. „Ach Lena!“, murmelt sie durchs Telefon in mein Ohr, und ich spüre, dass ich mich nach ihrer tröstenden Umarmung sehne. Niemand versteht mich so wie Chiara. Ben ist mein bester Freund, aber Ben… Naja. Er ist zu pragmatisch, er kann sich nicht vorstellen, wie kompliziert mein Kopf ist. Chiara schon. Sie kennt mich seit dem Kindergarten… Auch jetzt hört sie mich denken. „Kommst du?“, fragt sie nur. Zögerlich nicke ich, was sie natürlich nicht sehen kann. Als mir das auffällt, beeile ich mich, meine Zustimmung auch verbal auszudrücken. „Okay. Wahrscheinlich hast du Recht. Wenn sie hätte kommen wollen, wäre sie vermutlich schon da… Aber ich möchte noch ein bisschen warten. Vielleicht kommt sie ja noch? Zwanzig Minuten bleibe ich noch hier. Dann komme ich zu dir, ja?“ „Dann bereite ich den Teig schon mal vor, dann brauchen wir die Pizza nur noch belegen, wenn du da bist…“ „Danke!“, quetsche ich heraus, dann lege ich schnell auf, weil ich merke, dass mir die Tränen kommen. Ich will nicht weinen! Nicht schon wieder. Die letzten Wochen waren schwer genug…

Eine Stunde später klingele ich an Chiaras Wohnungstür. Ein Teil von mir kann es nicht fassen, dass ich jetzt hier bin und nicht bei Tatjana. Ein anderer Teil lacht mich aus, weil ich tatsächlich geglaubt habe, sie säße heute am Weiher und würde auf mich warten, nachdem ich mich gestern verhalten habe wie der letzte Mensch. Und ein dritter Teil versucht sich an die Hoffnung zu klammern, es sei alles nur ein großes Missverständnis gewesen…

Chiara nimmt mich erstmal in den Arm, und als meine Tränen getrocknet sind, machen wir uns eine leckere Pizza, gucken ein bisschen Fernsehen und reden über andere Sachen. Chiara ist gut im Ablenken.

Nach einer weiteren fast schlaflosen Nacht und einem chaotischen Arbeitstag, den ich mit brennenden Augen und total verwirrtem Kopf mühsam hinter mich gebracht habe, stürze ich zuhause an meinen Computer.
Keine Mail.
Ehe die Wut und die Traurigkeit überhand nehmen können, beginne ich rasch zu tippen, was ich mir den ganzen Tag schon zurechtgelegt habe.

„Hallo Tatjana! Leider hat gestern irgendwas nicht funktioniert. Ich war lange im Park und habe auf dich gewartet, allerdings am Weiher, weil ich dachte, wir treffen uns dort. Leider warst du nicht da. Irgendwann habe ich das Warten nicht mehr ertragen und bin nach Hause gefahren. Ich hoffe, wir haben uns nicht verpasst, weil ich an der falschen Stelle saß? Es tut mir total leid, dass ich mich vorgestern benommen habe wie ein Esel. Manchmal sind gute Schuhe halt teuer. Manchmal will man sie trotzdem haben. Ich hatte mich wirklich gefreut auf dich. Ich hoffe, du warst nicht so wütend am Samstag, dass du mich jetzt nie wieder sehen willst?! Lena.“

Und bevor ich es mir anders überlegen kann, schicke ich die Mail ab. Dann lege ich mich ins Bett, und obwohl ich total aufgeregt bin, schlafe ich ziemlich schnell ein, und diesmal halten mich nicht wirre Träume wach, sondern erst mein Wecker am nächsten Morgen zerstört das sanfte Vergessen.

Nach einer sehr schnellen Dusche fahre ich den Computer hoch und öffne gespannt mein Postfach.
Eine Mail blinkt mir entgegen.
Von Tatjana.
Mit zitternden Händen klicke ich auf „Öffnen“ und kneife die Augen zu, wie ein Kind, das hofft, dass Wunder geschehen, wenn man nur bestimmte Regeln befolgt. Mein Herz klopft so laut, dass meine Ohren dröhnen. Ganz langsam zähle ich bis zehn.
Dann erst mache ich die Augen wieder auf.





copyright © by atayari. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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