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Leben in Vierteln

von metropolis3993


Ich mag keine gewebten Etiketten. Sie lassen sich schwer schneiden; das kompakte Textilgewebe und die losen Fäden leisten der stumpfen Scherenkante erbitterten Widerstand. Mit jeder Minute des mühsamen Schnippels mehr zerfranste Fasern. Haltlos, aus dem Verband gerissen, funktionslos- sinnlos rieseln sie zu Boden. Der ganze Aufwand wegen drei Buchstaben: ein M, ein e und noch ein n, die es von einem T-shirt-Etikett zu tilgen gilt. Die gestickte Manifestation einer Schande, die vor elterlichen Augen, die argwöhnisch jedes einzelne Wäschestück mustern, herausgerissen sein will. Um eine dreiste Lüge, eine unschuldig- empörte Intonation war ich in letzter Zeit nie verlegen. Nein, ich schwör, das war schon so, als ich das gekauft habe. Ist gebraucht.....ähmm...unisex, nee, Boyfriendstyle....oder so in der Art nennt sich das. Ist modern. Wäre ich Pinocchio, das Gewicht meiner Nase ließe mich noch gebeugter laufen, als das jetzt permanent schlechte Gewissen vermag.
So fühlt sich ein Dreiviertel Leben an.
Zehn Stunden Busfahrt und ich kann in der Anonymität der Hauptstadtnacht untertauchen. Manchmal hier, machmal in einer näher gelegenen Stadt bin ich ein Schatten im Dunkeln, der erst wieder auf gewissen Partys rematerialisiert. Dort, wo ich auf einmal kein Freak, keine komische, im Grauen der Dualität zwischen Schwarz und Weiß verlorene Gestalt mehr bin, sondern bloß eine von vielen, vielen die sich auf der Suche nach Spaß, Bekanntschaft und der schnellen Selbstbestätigung auf drei Floors herumdrücken. Etwas beklemmt halte ich mich an einem Bier fest, an die angenehm kühle Betonwand gelehnt, aber ohne den Wunsch in der Säule zu verschwinden. Nein, im Gegenteil: hier stehe ich, denn auf eine merkwürdig verquere Art gehöre ich hierher. Falle nicht auf, bin bloß. Sehe die anderen: Jene, die sich durch Extravaganz abheben, jene die ausgelassen mit Freunden tanzen und herumalbern, jene, die suchend umherschweifen und unsicher von einem aufs andere Bein treten und jene, die selbstvergessen in neugefundenem Liebesglück schwelgen. Auch ich drifte etwas, allmählich beginnt das unauffällige Verschwinden in der Masse nicht mehr auszureichen...aber wie um alles in der Welt etwas beginnen? Ach Scheiße, dann besser doch nicht. Und so beobachte ich weiter..... aus Minuten werden Stunden...und ich beobachte weiter, denn ich warte auf die Dämmerung, auf den Morgen für die Rückkehr zum anderen Dreiviertel, dessen Mahnung mir körperlich spürbar kratzend und zerfetzt im Nacken sitzt.
Doch dann wird aus Beobachter Beobachtete. Du stehst vor mir. Hältst meinen Blick. Hältst ihn hartnäckig fest bis ich mich zu Dir bewege. Ein linkisches Grinsen, ein vaages Anstoßen- damit sollte die Angelegenheit erledigt sein, denke ich. Aber Du lässt nicht locker, Du willst tanzen. Perplex und etwas hölzern folge ich Deinen Bewegungen, spüre schon bald Deinen warmen Atem auf meiner Haut, Deine Silhouette unter meinen Händen. Deine Lippen an meinen. Aber-
wer bist Du?
In den dunklen Stunden vor der Dämmerung ist das egal. Da bin ich eine von vielen, da bist Du eine von vielen. Und wir, das ist ein Moment, eine Zufallskollision randomisierter, anonymisierter Teilchen inclusive dem unweigerlichen Auseinanderstieben. Denn zuerst kicherst Du nervös über die Jahre zwischen uns, ob es Dich stört, dass ich noch nicht ganz so versiert bin?, dann beantwortest Du meine Frage mit einem Kuss und bleibst mir die Antwort schuldig. Auf diese wie auf jede andere Frage. Nur Deinen Rufnamen und den letzten, merkwürdig traurig anmutenden Ausdruck in Deinen Augen nehme ich mit.
Denn unweigerlich dämmert es und nach weiteren zehn Stunden Bus ist der kratzende Etikettrest im Nacken ist nicht bloß eine vaage Mahnung mehr, sondern wieder ein volles Dreiviertelleben.



copyright © by metropolis3993. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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