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RETRO: Was/Wem lauscht du grade? die V.

03.07.2013 02:08
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Daniel Herbst - Hermann Hesses Erleuchtung

Einleitung:

„Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selbst aus mir heraus wollte.“ *

Was für ein vergeblicher Versuch! Und doch. Das klare Erkennen, dass dieses Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, schließt den Raum auf. Es befreit. „Warum war das so schwer?“ Weil der Wunsch zu tun, wozu wir bestimmt sind, von Uneinsichtigkeit zeugt. Jeder Einzelne von uns wird ganz ohne jeden Zweifel genau das tun, wozu er bestimmt ist. Alles andere steht im Widerspruch zur Existenz. Und nur was der Existenz widerspricht, kann schwer auf unseren eigenen Schultern lasten. Vielleicht wollen wir oft gar nicht tun, was „von selbst“ aus uns heraus will, sondern genau das Gegenteil, nämlich das, was uns gefällt, was wir uns für uns selbst erträumen. Nur lässt uns das, was wir uns erträumen, in aller Regel nicht wachsen. Eine Blume nimmt sich nichts vor. Sie hält sich auch nicht zurück. Sie lässt sich von der allem innewohnenden Kraft inspirieren und geht ganz einfach auf. Das ist der schnellste und einzige Weg, um in Erfüllung zu gehen. Und nur was in Erfüllung gegangen ist, kann ganz von sich selber lassen. Der Wunsch, das eigene Blühen selbst in die Hand zu nehmen, beraubt uns der Zuversicht, in den erfüllten Zustand zu finden. Es beraubt uns der Kraft, die sich im entscheidenden Augenblick in Form des Erblühens zeigt. Die Idee, selbst etwas darstellen zu wollen, hindert uns daran, der Entsprechung gemäß reif zu werden.

Wir halten es für möglich zu scheitern. Wir haben Angst vor dem eigenen Versagen. Und all das nur, weil wir darstellen wollen, was wir nicht sind. Heimlich fürchten wir uns davor, ein unbedeutender Niemand zu sein. Das wollen wir unter allen Umständen vertuschen. Wir wollen selbst jemand sein. Deshalb dieser unglaubliche Aufwand.

Wir haben ein Bild von uns. Dieses Selbstbildnis tragen wir ständig bei uns. Die Frage ist: Wer hat es uns gegeben? Wenn es das Bild wäre, das die Existenz für uns vorgesehen hat, dann könnten wir uns dem Leben voll und ganz anvertrauen. Dann würden wir hinfallen, wenn es um das Hinfallen geht und wieder aufstehen, wenn es um das wieder Aufstehen geht. Einfach so. Dann hätten wir nichts zu verlieren und wären frei, unser Leben unvoreingenommen zu erleben. Mit all den Siegen und Niederlagen, all den Freuden und Schmerzen, all den Kämpfen und Versöhnungen, die erlebt, gefeiert, errungen und erduldet werden wollen. Es geht also einzig darum, das Leben weder vorweg zu nehmen, noch ihm hinterher zu rennen. Und das können wir erst, wenn wir aufhören, uns ein eigenes Leben zu erträumen.

Hermann Hesse war das klar. Anderenfalls hätte er die folgenden Zeilen nicht auf diese Weise schreiben können: „Wenige wissen heute, was ein Mensch ist. Viele fühlen es und sterben darum leichter, wie ich leichter sterben werde, wenn ich diese Geschichte fertig geschrieben habe. Einen Wissenden darf ich mich nicht nennen. Ich war ein Suchender und bin es immer noch … Meine Geschichte ist nicht angenehm, sie ist nicht süß und harmonisch wie die erfundenen Geschichten, sie schmeckt nach Unsinn und Verwirrung, nach Wahnsinn und Traum wie das Leben aller Menschen, die sich nicht mehr belügen wollen.“

Wunderbar! Der Kampf, das Leiden und das innere Ringen gehören ganz einfach dazu. Es gilt, den Kampf so lange zu kämpfen, bis er sich erschöpft und nicht mehr gekämpft werden will. Das Leben kommt von selbst an einen Punkt, wo es uns etwas tiefer gehendes präsentieren will – sich selbst. Wenn wir bereit sind, von unseren dramatischen Inszenierungen zu lassen, kann alles geschehen.

Es muss nicht immer was los sein. Wir müssen nicht immer mittendrin stehen. Es muss nicht immer um etwas Außergewöhnliches gehen. Das Leben kann ganz still und leise sein. Zu unspektakulär, um ein abgestumpftes Publikum mitzureißen. Vielleicht sind der Unsinn und die Verwirrung nur noch bei uns, weil wir uns hinter ihnen so gut vor uns selbst verbergen können. Wir haben uns so sehr an den Wahnsinn gewöhnt, dass wir uns nicht mehr vorstellen können, ohne ihn zu sein …

Hermann Hesse veranschaulichte das durch diese Metapher: „Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen; jeder strebt dennoch, es zu werden, einer dumpf, einer lichter, jeder wie er kann … Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und unten Fisch. Aber jeder ist ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin.“

Dabei kann der wahre Mensch nur zum Vorschein kommen, wenn er sich selbst für immer unbekannt bleibt. Das ist kein Widerspruch. Der wahre Mensch ist der Mensch, der sich selbst nicht mehr definiert. Der sich nicht mehr über das Leben stellt. Ein stolzloses Wesen, frei von Arroganz. Ein seiendes Wesen, das niemals an sein Ende kommt. Eben kein Frosch, kein Fisch und kein Mensch. Kein Jemand, auf den man zeigen kann. Nichts, was sich definieren lässt.

Solange wir nur gute Menschen sein oder werden wollen, solange wir auch nur noch ein Bild von uns und der Welt bei uns tragen, wird der wahre Mensch nicht aus uns herausbrechen. Es liegt nicht in unserer Hand, aus uns neue und bessere Menschen zu machen. Aber es liegt an uns, ob wir uns unserer wahren Geburt weiterhin in den Weg stellen wollen. Bisher kennen wir uns nur als die, die wir für uns halten. Ein Mensch, der nur deshalb Mensch zu sein glaubt, weil er der Gestalt nach wie ein Mensch aussieht, wird einen Baum nur deshalb für einen Baum halten, weil er der Gestalt nach Baum ist. Ein solcher Mensch verurteilt den Baum, ein Baum zu sein. Er verurteilt das Huhn, ein Huhn zu sein. Entsprechend seines Urteils geht er mit „den Dingen“ um. Aber – was ist ein Baum, was ist ein Huhn? Was macht sie aus? Sind sie nur Gestalt? Und wie ist das mit uns Menschen …?

Wir wissen nicht. Wir kennen alles nur der Form und dem Namen nach. Dabei ist die äußere Gestaltung der Welt ihr un-wesen-tlichster „Teil“. Sobald wir mit „der Welt“ auf einer tieferen Ebene in Beziehung treten, offenbart sich die Innerlichkeit aller Dinge ganz von allein. Statt nur den zu lieben, den man selbst getauft oder als seinesgleichen angenommen hat, zeigt sich die Liebe jetzt unverhüllt. Statt weiterhin nur auf der persönlichen Ebene in Beziehung zu treten, tritt die Person jetzt aus sich heraus. Nach und nach kommt das Wunder des Daseins zum Vorschein. Das innere Tosen und Toben legt sich. Es wird immer stiller. Die Kraft sammelt sich. Etwas beginnt, sich zu regen.

Plötzlich will sich die Liebe nicht mehr in ihre viel zu engen Kleider schnüren lassen. Sie reißt sie sich vom Leib. Keine Ausgehkleider mehr. Endlich kann sie das Leben frei atmen. Um zu sein, wer sie ist, sagt sich die Liebe von allen Identifikationen los. Dann spricht sie nicht mehr im Namen der Liebe, sondern als die Liebe selbst.

„Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören. Der Vogel fliegt zu Gott. Der Gott heißt Abraxas.“

Darauf läuft es hinaus. Alles geht über sich selbst hinaus. Der Vogel versucht nicht, sich aus dem Ei zu kämpfen – er tut es. Er zerstört seine kleine, heile, beschützte Welt. Er tut es, ohne sich rückzuver-sichern. – Dann kann er nicht mehr zurück. Und so wächst er über sich selbst hinaus. Jetzt hat er keine Wahl mehr. Wer keine Wahl mehr hat, kann fliegen. Er grübelt nicht mehr nach. Er sucht keine Gründe mehr, um sich sein mögliches Scheitern schon im vornherein zu erklären. Er weiß, dass er fliegen kann. So oder so. Er muss es können. So wie du, wenn dir dein hübsch ausstaffiertes Ausgehkleid zu eng geworden ist …

* in Anführungszeichen stehende Zitate sind aus Hermann Hesses Roman „Demian“




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