„Reden Sie doch gefälligst Deutsch!“ Kulturn
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31.08.2016 05:12
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oder Kulturbanausen
oder beides
Zitat Bostridge bei der Schubertiade Plötzlich zerstört ein Befehl den Einklang im Konzert
Sein Schaffen hat die britische Liebe zum deutschen Kunstlied zu neuer Blüte geführt. Jetzt wird der Sänger aufgefordert, Deutsch zu lernen, das Publikum schweigt. Bericht von einer Attacke auf Ian Bostridge.
29.08.2016, von Patrick Bahners, Schwarzenberg
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Niemand sagt: Verlassen Sie den Saal!
Als Zugabe singt Bostridge die „Forelle“, mit abgründig vertauschten Stimmungswerten: „in süßer Ruh“ sehr unruhig, „mit regem Blute“ geradezu kaltblütig. In den um die nächste Zugabe bittenden Applaus stößt plötzlich eine laute Männerstimme: „Deutsch lernen!“
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Das Schockierende nach dem Befehl zum Deutschlernen, der einem Künstler erteilt wurde, der für sein Buch über die „Winterreise“ eigene Übersetzungen der Liedtexte angefertigt hat: Es entsteht zunächst absolute Stille. Man spricht von der Schrecksekunde, aber was heißt das? Hier: völlige Passivität. Bostridge und Drake auf der Bühne sind erschüttert, wir im Saal tun und sagen erst einmal nichts. Dann gibt es natürlich Buhs gegen den Störer, aber erst nach einem weiteren Moment des Schweigens fällt uns ein, durch Klatschen unsere Solidarität mit den Künstlern zu bekunden. Niemand von uns steht auf und sagt zu dem Mann: Verlassen Sie den Saal! Niemand entschuldigt sich bei den Künstlern. Vielleicht meint jeder, ein anderer werde etwas tun, weil wir die Sache alle genauso sehen. Bostridge singt nun in übermenschlicher Konzentration den „Abschied“ nach Johann Mayrhofer.
Gelegenheit, sich zu erklären
Es folgt ein zweiter Schock. Zunächst lauter, voreilig erleichterter Applaus. Dann sieht man, dass Bostridge die Bühne verlässt und den Saal auf der anderen Seite durcheilt, um den Störer abzupassen, der sich inzwischen an der Tür befindet. Bostridge tut nun, was unsere Aufgabe gewesen wäre, er arretiert den Mann, bringt ihn auf die Bühne und bittet ihn, sich zu erklären. Was der nicht zustande bringt. Er wird wieder ausgebuht. Unser Protest ist gut gemeint. Aber wir merken nicht, dass wir uns selbst in einen Mob zu verwandeln drohen. Es ist simpel: Unserem Zorn gebricht es an der Artikulation. Wieder ruft niemand von uns: Entschuldigen Sie sich bei Herrn Bostridge! Schließlich erscheint jemand vom Veranstalter und bugsiert den älteren Herrn hinaus.
Bostridge wollte den Brüller nicht bloßstellen. Der hatte sich selbst bloßgestellt. Der Sänger, in seiner Ehre attackiert, begegnete dem Beleidiger mit Fairness, behandelte ihn als Kritiker, unterstellte ihm wider alle Wahrscheinlichkeit Gründe für den Angriff, während wir stumm blieben. Der Muttersprachrichter hatte aber offenkundig geglaubt, solcher Gründe gerade nicht zu bedürfen und ein für jeden im Saal oder doch jeden Deutschen evidentes Urteil auszusprechen. Und gab unser Schweigen ihm nicht recht?
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Besitzansprüche auf die Kunstpflege
In den Konzertpausen in Schwarzenberg kann man belauschen, wie Holländer und Deutsche die Lesbarkeit von „Zauberberg“ und „Doktor Faustus“ abwägen. Der jähe Einbruch des Nationalismus in die kleine Welt der kosmopolitischen Kunstliebhaber überforderte uns. Nicht im Traum hätten wir gedacht, dass ein Ian Bostridge hier die Botschaft zu hören bekommen könnte, fremd sei er eingezogen, fremd solle er wieder ausziehen. Dabei war in der Kölner Philharmonie am 28. Februar Ähnliches passiert: Zuhörer, die den Abbruch eines in ihren Ohren zu modernen Stücks erzwangen, forderten den Cembalisten Mahan Esfahani auf, Deutsch zu sprechen.
Qualifizierte man es als ungerecht, dass ausgerechnet Bostridge mangelnde Beherrschung des Deutschen vorgeworfen wurde, dann hätte man sich auf die Kategorien derer schon eingelassen, die wieder nationale Besitzansprüche auf die Kunstpflege erheben. Aber dass dem Zuruf, der auch gegenüber einem im Deutschen nicht trittfesten Sänger flegelhaft gewesen wäre, jeder Anhalt fehlte, was jeder von uns Zuhörern wusste, aber keiner aussprach, steigerte das Unheimliche des Vorfalls. Fritz Stern, der kürzlich verstorbene Historiker, hat aus einem Wort Nietzsches über Goethe einen Begriff geprägt für das in der deutschen Geschichte wiederkehrende Phänomen der Passivität von Zuschauern, denen Zivilcourage abgeht: das feine Schweigen.
Quelle:
http://www.faz.net/aktuel [...] 001.html
Schubert Winterreise Ian Bostridge Julius Drake
https://www.youtube.com/w [...] QV0cdrQo
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01.03.16 Kölner Stadt-Anzeiger
Zitat
Konzert in der Kölner Philharmonie abgebrochen „Reden Sie doch gefälligst Deutsch!“
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„Why are you afraid?“ – Wovor haben Sie Angst? Mit dieser wiederholten Frage wandte sich daraufhin ein sichtlich erregter Cembalist an das Publikum. Er habe das Stück schon oft im Konzert gespielt, aber noch nie eine Reaktion von der Kölner Güte erlebt. Man solle doch froh sein, hier solche Musik hören zu können: „Ich komme aus einem Land, in dem sie verboten ist.“ Halbwegs beruhigt kehrte Esfahani dann allerdings auf die Bühne zurück, um noch das Konzert und sogar eine Zugabe zu spielen. Am Ende bat ein ebenfalls aufgebrachter Besucher um Entschuldigung für „den empörenden Vorfall“.
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http://www.ksta.de/kultur [...] 23646344
Tages Anzeiger.Schweiz 10.03.2016
Zitat
«Schluss! Wir haben genug!»
In Köln wurde die Aufführung eines Steve-Reich-Stücks unterbrochen. Was war da los?
Vier Minuten lang hat es das Publikum vor ein paar Tagen in der Kölner Philharmonie ausgehalten. Dann gab es Gelächter, Geklatsche, Zwischenrufe. Bis der iranisch-britische Cembalist Mahan Esfahani die Aufführung abbrechen musste.
Seither laufen zwei Diskussionen. In der einen geht es um Rassismus: Schon als Esfahani das Stück vor der Aufführung auf Englisch erklärte, wurde er angegriffen: «Können Sie nicht Deutsch sprechen?» , rief einer aus dem Publikum. Ein anderer schnappte sich nach dem Konzert ein Mikrofon, entschuldigte sich für das Geschehene und erntete grossen Applaus.
Die zweite Diskussion ist eine musikalische. Kann es sein, dass ein Stück von 1967 ein Publikum 2016 derart in Rage bringt? Dazu eines des amerikanischen Minimalisten Steve Reich, dessen Musik nun wirklich niemandem wehtut? Und dies in der einstigen Avantgarde-Hauptstadt Köln, wo der WDR sein elektronisches Studio eingerichtet und Karlheinz Stockhausen komponiert hat?
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Quelle: http://www.tagesanzeiger. [...] 19047832
Zitat ....
Schlaflose Nacht nach Konzert
Mahan Esfahani sagte später, dass ihn das Verhalten des Publikums verletzt habe: "Es hat mich nicht gestört, dass sie mich für die Musik angegriffen haben, es hat mich gestört, dass sie mich dafür angegriffen haben, dass ich Ausländer bin." Das habe er von Köln nicht erwartet. Und er habe daraufhin eine schlaflose Nacht gehabt. Esfahani setzte das Konzert mit den anderen angekündigten Stücken fort.
"Ich glaube nicht, dass es rassistische Ressentiments waren"
Diese Reaktionen seien bedenklich, sagt Jochen Schäfsmeier, weil dahinter die Aufgabe jeglicher Normen und guten Benehmens in einem Konzert stecke. Dennoch glaubt er nicht, dass sich das gegen den Cembalisten gerichtet hat. "Ich glaube nicht, dass es rassistische Ressentiments waren, weil bis zu diesem Stück war die Stimmung im Saal eigentlich positiv", sagt Jochen Schäfsmeier. Bei einem Werk von Mozart oder Bach wäre das seiner Meinung nach nicht passiert. Dieser kleine Kreis der Zuhörer, die das Konzert gestört haben, sei wohl "überfordert" gewesen.
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Quelle:
https://www.ndr.de/kultur [...] 100.html
Kölner Stadt-Anzeiger
Kommentar zum Philharmonie-Eklat: Das angeblich so tolerante Köln muss sich schämen
Von
Markus Schwering
01.03.16,
Das Philharmonie-Publikum erzwang durch Lachen, Klatschen, Buhen, Pfeifen und geräuschvolles Verlassen des Saals den Abbruch des jüngsten Concerto-Köln-Konzerts.
Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort sagt enttäuscht, er habe „die Möglichkeit einer solchen Reaktion auf Steve Reich in Köln nicht für möglich gehalten“.
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Eine Kritik wird trotzdem fällig – nicht an den Künstlern, sondern an Teilen des Publikums. Und zwar nicht am Husten- und Handyklingel-Orkan, sondern daran, dass eine nicht unbeträchtliche Minderheit der Besucher basale mitteleuropäische Benimm-Errungenschaften grob missachtete und durch Lachen, Klatschen, Buhen, Pfeifen und geräuschvolles Verlassen des Saals den Abbruch eines Programmpunktes erzwang.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Niemand ist genötigt, den Minimalismus eines Steve Reich zu goutieren – der übrigens kein Neutöner, sondern mit seinem fast ein halbes Jahrhundert alten Stück „Piano Phase“ Musikgeschichte ist.
Bevor man ihn schlecht findet, sollte man allerdings, so viel darf erwartet werden, seine Ohren aufstellen, um wenigstens so ungefähr mitzubekommen, wie diese Musik funktioniert. Wer bereits in der zweiten Minute unruhig wird, verstellt sich diese Chance.
Die lautstarke Verweigerung indes, die jetzt in der Philharmonie zu erleben war, zeugt nicht nur von Zitat Zitat provinzieller Empörungsbereitschaft, sondern auch von einer bemerkenswerten Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Künstler und denjenigen Besuchern, die das Stück gerne hören wollten.
Das angeblich so liberale, weltoffene und tolerante Köln hat Grund, sich bitterlich zu schämen.
http://www.ksta.de/kultur [...] 23646336
Da bleibt nur Eines, sich immer wieder gegen den Kulturbegriff dieser Leute deutlich auszusprechen!