Christina ist da (2)

von Leyan


Unterwegs (2)
...
Weitere zwei Minuten später, mein Handy klingelt und reißt den dummgesoffenen Bayernfan, der auf seiner „kleiner Feigling“-Flasche eingeschlafen ist, kurzzeitig aus dem Schlaf.
„Hi“ Babsi flüstert, „ich bin`s. Die hat echt ein Piercing im Nippel! Voll krass, oder?”
„Ja, autsch?!“
„Jaa, das hab ich auch gesagt. Vor allem trau ich mich da jetzt gar nicht mehr so einfach hinlangen, oder dran zu knabbern. Ich will ja nicht, dass der eitert!“
„Sag mal, du bist schon beim Piercing und rufst mich an??“
„Ja klar! Du kennst mich doch!”
„Und sie liegt neben dir und wartet, oder …“
„Nein, sie ist grad kurz ins Bad. Was mach ich denn jetzt mit dem Nippel?“
„Naja, sei halt vorsichtig.“
„Ich bin so ein Schwein! (Ich habe das noch nie einen Menschen so stolz sagen hören!) Bin einfach gleich mit ihr mit. Wenn das meine Mutter wüsste! … Hoho (Triumphgeheul), und ich habe mich jahrelang mit diesem langweiligen Hetensex rumgequält … und die ist so schön … und ihr Bauch … Die hat voll die Sixpacks …und die hat drei Sponsoren. Drei!“
„Und, bist du verliebt?“
„Was? (erste Denk-Pause des Gesprächs) Keine Ahnung!…Süße sie kommt zurück … 2. Runde!!! Ich halte dich auf dem Laufenden!”
„Du, ich muss nicht alles wissen, schon okay …“
„ Doch, du bist doch mein Homie! Außerdem muss ich dir morgen sonst so viel auf einmal erzählen, bevor wir drüber reden können. Tschau – Knutschi!“

4. WhatsApp von Babsi (30 Sekunden später): „ Du, ich find`s übrigens voll traurig, dass du weggehen willst! Nur wegen der blöden transatlantischen Betkuh!“
Fühle mich gerade wie ein Alien! Simultanität:
Während sich Babsi mit einer wildfremden Triathletin auf einem gesponserten Wasserbett herumrollt und gleichzeitig SMSen schreibt, hört sich Alison vermutlich gerade das Morgenprogramm von „Radio Horeb“ an. Ich denke immer noch an ihre Hände, wie sie einen Cappuccino halten, der schon vor über einem Jahr ausgetrunken wurde, und fahre dabei meinem neuen Leben in München entgegen, einem Leben, in dem sie nicht vorkommen wird; und irgendwo auf der Welt sitzen vielleicht zwei Freundinnen auf einer steinernen Wasserrahmung in Mitten von Bäumen, trinken Kaffee und schaffen Unvergessliches.
 
„Weggehen“ … „wegen der transatlantischen Betkuh…“ 
Überlege gerade, ob Babsi Recht hat:
Fakt ist: Würzburg ist mir über: Eng und erdrückend und voller bekannter Ecken und Geschichten, teils schöner, teils trauriger, teils welcher, die mir auf erschreckende und lähmende Art nahegehen, wie die mit Alison. Aber, ob ich wirklich ihretwegen weggehe? 
Simultanität die II.
Gerade hat eine elegante Businessfrau schräg gegenüber Platz genommen. Prada-Pumps, Gerry-Weber-Mantel, eine randlose Brille und in der Hand ihr Bahnticket als „Luftfächer“.  
Ein glückliches Hetenpärchen grinst darauf harmonisch aus dem Fenster eines Bordbistros …
„Heterosexismus“ hätte Friederike jetzt gesagt, „die systemimmanente Diskriminierung von Homosexuellen ist noch immer in der Mitte unserer Gesellschaft!“ 
Wann wir da sind, wo wir hin wollen?
Vermutlich dann, wenn auch knutschende Schwulen- und Lesbenpärchen auf Bahntickets durch die Bundesrepublik fahren.
Feminismus – radikale Religiosität - Liebeskummer – Wassermatratzenakrobatik – denke manchmal, das Leben ist ein einziger Stream of Consciousness (kein Wunder, dass ich so oft Kopfschmerzen habe!).
Und in 20 Minuten geht`s weiter: München! Eine neue Etappe: Neue Straßen, neue Gebäude und Geschichten, neue Freunde und Frauen – potentiell Unvergessliches, das in unauffälligen Winkeln auf Entdeckung wartet.
Das wird ein klarer, kühler Morgen in Grau-Blau. Ruhig und offen. Ein Morgen mit Potential, also. Ein perfekter Morgen, um unterwegs zu sein zu etwas Neuem.