Um LESARION optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern verwenden wir zur Auswertung Cookies. Mehr Informationen über Cookies findest du in unseren Datenschutzbestimmungen. Wenn du LESARION nutzst erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.




Stories » Detail

Das Kruzifix

von DreiKaeseHoch90


´zefix ist des Bayern Grundschatzwort
´zefix sagt der Schorsch auf dem Abort
´zefix hört man selbst beim Münchner Tatort
denn der gemeine Bayer schimpft recht gern.
Kruzifixe hängen überall. In der Kirche,
beim Nachbar im Stall,
damit der Herrgott die Kühe im Blick hat,
damit der Schüler bei der Klausur Glück hat.
Sie hängen aber auch im Standesamt.
Dort wo Menschen ihre Kinder eintragen lassen und die Entscheidung für ein gemeinsames Leben fassen.
Man findet sie auch dort, wo dem katholische Glauben abgeschworen wird, wo der Atheismus oder eine andere Religion zur neuen Glaubensform erkoren wird.

Wir befinden uns in einer kleinen oberbayerischen Gemeinde im Standesamt, Zimmer 3, 2. OG, bei der stellvertretenden Amtsleiterin. Protagonisten sind eine Beamtin und ich.
Und Jesus unterbewusst.
Ich habe nach langer Abwägung von Sinnhaftigkeit und Unsinnigkeit der Zugehörigkeit zum römisch katholischen Glauben beschlossen, Kruzifixe aus meinem Leben auszuschließen und aus der Kirche auszutreten. Vor mir liegt jetzt ein einseitiges Formular, das mir den Kirchenaustritt bestätigen soll. Sieht ja alles recht einfach aus.
Vor mir sitzt auch eine Beamtin in den 50ern. Sie rückt ihren etwas zu lang geratenen Pony zur Seite und schaut mich mit den bestimmten Worten: „Ausweis?“ an.
Ich gebe ihr mein wunderschönes Exemplar und warte auf weitere Anweisung. Es kommt aber nichts. Sie hackt einzelne Buchstaben in den Computer. Ich entscheide mich dafür, dass das Prozedere länger dauern wird und schweige zurück.
Die verbleibende Zeit nutze ich also, um mich im Büro umzusehen. Mein Blick schweift nach links. Dort hängt ein vergilbtes altes Poster mit der Aufschrift: „ Gott ist groß. Durch Dich.“ Ich bekomme ein leicht mulmiges Gefühl im Magen. Die Beamtin schaut mich an und sagt:“ Hier, ausfüllen und die obere Passage genau lesen. Überprüfen sie die Personalien und lesen sie den oberen Abschnitt des Formblatts sorgfältig durch und erst dann unterschreiben sie.“ Ich antworte: „OK.“ Ich schaue in ihr Gesicht und sie schiebt den Vorhang abermals zur Seite, damit sie meinen Blick erwidern kann. Dabei mustere ich sie genauer. Sie trägt ein schmales Goldkettchen mit einem Kruzifixanhänger. Ich fühle mich langsam komisch. Ich schweife ab und schaue zum Fenster. Weitere Poster. Ein beklemmendes Gefühl entwickelt sich langsam ein meiner Brust. Ich schiebe es auf die stickige, muffige Luft. Doch das Empfinden bleibt. Ich suche nach dem möglichen Ursprung und schweife mit meinem Blick weiter durch die verstaubten Regale. Direkt hinter der Standesbeamtin bemerke ich ein Kruzifix von einem Ausmaß, auf das man in einer Kirche stolz sein würde. Der leidende Jesus schaut mich von oben herab an. Mir fällt auf, dass ich es vorher gar nicht bemerken konnte, weil die Beamtin genau davor saß. Es hängt absolut im Wasser. Staub und Zeichen des Alters sucht man hier vergebens. Herr Jesus hat ein sehr gepflegtes Erscheinungsbild. Ich schaue auf mein Formular. Die Standesbeamtin mustert mich. Unweigerlich überdenke ich meine Austrittserklärung. Ich hadere mit meiner Enscheidung- für einen kurzen Augenblick. Warum nur? Ich kann es mir nicht erklären.
Jetzt will ich mich aber endgültig dem Papierkram widmen. Nach sorgfältiger Prüfung meiner Daten unterschreibe ich, die für mich innerlich doch wichtig gewordene Austrittserklärung. Die Kirche vertritt meine Werte einfach nicht mehr, die Dinge und Pfeiler, die mir im Leben viel bedeuten. Dem Blick der Beamtin kann ich beim Leisten meiner Unterschrift leider nicht folgen. Ich fühle mich ob der Worte ihrer Nüchternheit trotzdem weiterhin unwohl und irgendwie ins letzte Jahrhundert zurückversetzt. Hier wird seit vielen Jahren jeden Tag dieselbe Arbeit getan, es werden jeden Tag zig Formulare dieser Art ausgefüllt. Jeden Tag sitzen unterschiedliche Menschen in diesem Raum, um sich von der Kirche abzuwenden und die Dame wird jeden Tag die gleichen Worte wählen, um das Blatt vielleicht nochmal zu wenden. Bei mir hat es nicht funktioniert. Warum wird eine so persönliche Entscheidung so unpersönlich beeinflusst? Warum muss ich persönlich erscheinen, um ein Blatt Papier zu unterschreiben? Hallo, digital world, hallo im 21. Jahrhundert. Wir wollen unsere Mitmenschen lieben wie uns selbst. Mein Mitmensch ist eine Frau.
Lediglich 10% der Kirchensteuer werden für soziale Zwecke ausgegeben.
Außerdem gilt in kirchlichen Einrichtungen weiterhin kirchliches Arbeitsrecht, d.h. offiziell sind Gewerkschaften in der Regel nicht zugelassen, Homosexuelle, Anders- und Nichtgläubige sowie Wiederverheiratete können aus diesen Gründen entlassen oder erst gar nicht eingestellt werden.
Ich muss raus, raus aus diesem Kruzifixzimmer, damit ich wieder klar denken kann.




copyright © by DreiKaeseHoch90. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Erinnert mich an...
....das Gefühl, das ich hatte, als ich mich über die Taufe informiert hatte. Allerdings protestantisch. Es gibt sie, die Verweigerer, die Hetzer, die, die von Jesus reden und Andersgläubige, Homosexuelle und Kranke verurteilen. Oder jene, bei denen das Leben nicht rund läuft. Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Kirche ist nicht gleich Kirche. Eine katholische Gemeinde, die sich hinter ihren geouteten Pfarrer stellt, und damit bewirkt, dass er nicht entlassen wird. Und CSD-Gottesdienste (allerdings bisher nur protestantische.) Daran halte ich mich, und deswegen bin ich gerne und von Herzen Christin. Vielleicht hilft aber bei der katholischen Kirche nur der Austritt, bis etwas passiert. Wer weiß.
Fantastyc - 29.02.2020 23:06
Erinnert mich an...
Fantastyc - 29.02.2020 23:05
Eine gute Entscheidung
Manari89 - 30.11.2018 16:33

>>> Laufband-Message ab nur 5,95 € für 3 Tage! <<<