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von maibaum
Es ist jetzt ca. 5 Jahre her, da war ich 13 und mit meinen Eltern in einem kleinen Ort in der Eifel im Urlaub. Im Vorjahr waren wir dort auch schon gewesen und ich kannte mich einigermaßen aus. Es war ein schönes kleines 3000 Seelendorf mit netten Einwohnern und einer wunderschönen Umgebung, die Ferienhäuser standen direkt am Hang. Das Feriendorf von oben bis unten hat ca. einen Höhenunterschied von 100 m. Es gab dort einen Fußballplatz am Hang, der ist eben, aber die Zuschauer standen dann etwas erhöht.
Am besten waren die Sonnenuntergänge vom Fußballplatz durch die Bäume, sie waren wunderschön, einfach malerisch, wie die Sonne in den Baumkronen verschwand und dann noch weiterhin hinter einem auf die höher gelegenen Bäume schien.
... dass ich über Homosexualität nachgedacht habe
In diesem schönen Urlaub habe ich zum ersten mal wirklich über Homosexualität nachgedacht, auch wenn ich da noch alles als Schwachsinn abgetan habe.
Ich war lange Zeit ein sehr schüchternes Mädchen, wurde von meiner Klasse nur gemobbt und hatte auch niemanden mit dem ich wirklich sprechen konnte. Heute habe ich ein mir ein sehr solides Selbstbewusstsein erarbeitet und damit auch viele Freunde, einfach dadurch das ich mich nicht immer verstecke, sondern meine Meinung sage und den Leuten die mich versuchen zu beleidigen eine passende Antwort gebe.
... dass ich Selbstvertrauen sammeln konnte
Angefangen hat das in diesem Urlaub, dadurch das ich mich dort auskannte, im Gegensatz zu den anderen Urlaubern aus diesem Jahr hatte ich, bzw. mein Selbstbewusstsein, einen kleinen Vorsprung.
In diesem Feriendorf gibt es Animationen und am Tag nach der Anreise ein „Begrüßungs-Match“! Beim schönem Wetter Fußball, somit auch an diesem Samstag. Das war mein Element, das waren die wenigen Momente in den ich nicht das kleiner Schüchterne Ding war, sondern mal wirklich aus mir herausging, weil mir da einfach niemand was anhaben konnte.
Ich war nicht besonders gut, aber mit dem Herz dabei und habe es mit Jungen gelernt und war somit auf diese Urlaubsspiele vorbereitet.
Aber beim Fußball gerieten andere Mädchen schnell ins Abseits, was ich versuchte zu verhindern, indem ich mehr mit den Mädchen gespielt habe, auch wenn die keine Ahnung hatten, was sie dann mit dem Ball machen sollten. Ich habe besonders versucht Mädels, die mir sympathisch waren ein bisschen zu helfen und denen zu zeigen wie man schießt und dribbelt. Das Ergebnis war zwar immer noch mehr schlecht als Recht, aber es war sehr lustig, sogar auch für die „Anti-Fußball-Mädchen-Fraktion “.
In diesem Jahr war ein besonders Mädchen dabei, ich habe sie gesehen und gedacht die ist bestimmt nett, sie wirkte genauso wie ich, wenn ich nicht gerade Fußball spiele. Sie war kleiner als ich, was auch nicht schwer war, da ich für mein alter eben ziemlich groß war, sehr zierlich und guckte wie ein scheues Reh unruhig hin und her als ob von irgendwo jemand herkommen würde, der ihr was antun wollte. Sie wirkte sehr in sich zurückgezogen und gerade das machte sie mir sympathisch und ich wollte ihr helfen. Obwohl sie sehr sportlich ist, konnte sie mit einem Fußball nicht viel anfangen, aber wir hatten Spaß. Dennoch blieb sie schüchtern, ich gewann an Selbstvertrauen, weil ich merkte das sie hier so verloren war, wie ich vor einem Jahr. Ich wollte ihr helfen, dass sie einen schöneren Urlaub hat, als ich im Vorjahr, aber ich hatte da immer noch meinen Bruder, auch wenn der kleiner ist, es war immer jemand zum spielen da. Wie ich in unserem ersten Gespräch schon erfuhr, war sie Einzelkind und mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater da.
Wir spielten den ganzen Urlaub nur zusammen und haben uns jedes Mal tierisch aufgeregt, wenn wir mit unseren Eltern weg mussten... Wir wollten viel lieber die Animationen mitmachen, es war auch egal was angeboten wurde Hauptsache wir hatten Spaß! Und den hatten wir!
Einmal war schwimmen gehen angesagt, aber da es geregnet hat sind wir nur mit ca. 10 Kindern ins nahe gelegene Hallenbad gelaufen. Dort haben wir ein Wettschwimmen gemacht, wir haben gewonnen... In der anderen Gruppe waren mehrer Jungen, aber wir hatten sie! Dieses kleine schüchterne Mädel, sie konnte besser schwimmen als jeder Fisch nur wegen ihr haben wir gewonnen. Ich habe sie gefragt wo sie so schwimmen gelernt hatte und sie fing an zulachen. Das schüchterte mich ein, ich wusste nicht warum sie lachte, über mich? Was habe ich gemacht, aber dann sagte sie, dass sie in einem Sportinternat ist, zwar wohnt sie zu Hause, geht aber da zur Schule und jeden Nachmittag Schwimmtraining. Da die Jungs noch eine Revange forderten, schlug die Animateurin vor, bevor wir später gehen würden noch ein Wettschwimmen zu machen, wovon alle hellauf begeistert waren!
Nur bis dahin ließ ich mir von ihr helfen beim schwimmen. Ich bin Fußballer durch und durch und schwimmen kann ich fast gar nicht. Eine Bahn Brust oder Kraul, in einem schön langsamen Tempo bekomme ich wohl hin, aber nicht auf Tempo und rücken schon gar nicht!
Das hat sie mir beigebracht, bzw. so wie ich beim Fußball versucht habe ihr zu helfen, das Ergebnis mehr schlecht als recht, aber es klappte wesentlich besser als vorher!
Und wir gewannen wieder! Mit noch größerem Vorsprung! Von da an waren wir ganz unzertrennlich und sogar unsere Eltern haben das eingesehen, dass es keinen Zweck hatte uns zu trennen, dass unsere Eltern uns gegenseitig mitgenommen haben. Wir sie und die mich.
...dass ich außer meiner Familie jemanden sehr gern hatte
Da ich bis dahin nur 3 Freunde überhaupt hatte, freute ich mich umso mehr. Aber ich hatte sie so viel lieber als meine Freunde zu Hause und fragte mich wieso.
Ich habe kurz vor dem Urlaub von einer Bekannten gehört das sie lesbisch ist. Habe mir da aber nie wirklich darüber Gedanken gemacht, nur weil die halt eine Frau liebt? Mein Papa liebt doch auch eine Frau, eben meine Mama, darf dann etwa eine Frau keine andere Frau lieben?
Ich habe da kurz drüber nachgedacht, aber mir gesagt das kann nicht da bist du doch viel zu klein für, Mama sagt das auch immer, ich bin noch zu klein um bei solchen Themen mitzureden. Sie hatte auch irgendwie recht und das wusste ich damals schon, aber heute weiß ich das meine Mama nur bedingt Recht hatte.
Der Urlaub war bis dahin die schönste Zeit meines Lebens und die Trennung war echt der Horror unsere Eltern waren wirklich arm dran... 2 heulende, aneinanderhängende, kleine 13 jährige Mädchen zu trennen, ich wollte sie nicht verlieren, sie war doch meine beste Freundin und wir wohnen doch so weit auseinander! Sie wohnt in der nähe von Berlin und ich an der Holländischen Grenze – viel zu weit weg...
Von da an blieb uns nur eins übrig: schreiben... wir waren beide nicht so gesprächig... auch wenn ich mittlerweile sehr viel – zu viel manchmal – rede war das da noch anders! Aber wir schrieben uns. Am Anfang nicht viel, dafür oft und heute genau anders herum... mein letzter Brief war an die 10 Seiten lang.
Es war sehr schwer für uns am Anfang, ich vermisste sie sehr, so wie ich noch nie jemanden vermisst habe. Auch bis heute nicht.
3 Jahre haben wir uns geschrieben... jedes Mal zum Geburtstag ein Paket.... und ich habe sie jedes Mal zum Geburtstag angerufen. Nur zum letzten nicht ihrem 18.
Alles ist so anders.
...dass wir uns wieder sahen... und auch das letzte mal
Dann nach diesen 3 Jahren haben wir uns einmal wieder gesehen. Sie ist immer noch genauso wie ich sie in Erinnerung habe – das kleine süße zierliche Mädchen – nur, dass sie noch besser aussieht!
Wir haben uns 3 Std. gesehen. Mikeriege 3 Std. ich war in Berlin, eine Freizeitfahrt, mit wenig Freizeit, zu wenig. Aber wenigstens konnte ich sie überhaupt sehen, besser als gar nicht. Ich sah mich nach diesem Treffen nur bestärkt, ich liebe Frauen. Sie war und ist einfach toll. Nur leider Hetero. Sie weiß nicht, dass ich lesbisch bin, noch nicht.
Bei ihrem nächsten Geburtstag danach habe ich es ihr gesagt. Einfach so – nein, nicht einfach – und sie nimmt’s locker – ist in Ordnung – hab ich kein Problem mit, gut denk ich mir, aber nur, weil du nicht weißt, das ich’s bin, seit ich dich getroffen habe.
Seit da habe ich sie nicht wieder gesehen. Das ist nun schon wieder 2 Jahre her, 2 lange Jahre.
Bis jetzt, 5 Jahre nachdem wir uns zum 1. mal gesehen haben, ist so viel passiert und vor allem ich habe mich verändert. Ich bin ein völlig anderer Mensch. Ich habe ein riesiges Selbstvertrauen, viele Freunde, ein Vorlautes Mundwerk, vor allem für Leute die mir doof kommen und ich sage was ich denke!
Das alles verdanke ich einer Sache, meiner Homosexualität, ihr, und meinem Willen ganz normal zu leben und nicht hinter irgendwelchen Barrikaden. Das hat mich stark gemacht, der Kampf gegen andere, gegen Vorurteile. Aber ich habe meine Eltern und die Freunde von damals hinter mir stehen. Das hilft ungemein!
...dass ich mich geoutet habe
Denn auch wenn ich die Gedanken von Homosexualität, bzw. mir, als Lesbe, im Urlaub wieder verworfen habe, kamen diese nach dem Urlaub wieder auf. Ich habe viel darüber nachgedacht of auch sehr lange. Ich hatte angst, ich war halt wirklich schüchtern, ich traute mich mit niemandem darüber zu reden, und erst recht nicht mit ihr, denn gerade wegen ihr dachte ich darüber nach. Bis ich 15 war habe ich gezweifelt, angst gehabt, vor mir, vor allen, vor eigentlich nichts. Dann habe ich mit einer meiner Freundinnen darüber gesprochen, ich hatte sogar da noch eine Höllenangst sie könnte mich alleine lassen und das weitersagen. Wenn ich jedoch jetzt zurück überlege, sie ist eine wahre Freundin! Doch ich hatte damals vor allem angst. Sie hat mich damals so aufgebaut.
Mit meiner Feststellung, eigentlich stehe ich auf Frauen, ist in mir eine Welt zusammen gebrochen, ich kam mir vor wie ein halber Mensch, denn meine Eltern hatten sich noch kurz davor negativ über eine bekannte von mir unterhalten und das nicht besonders Positiv. Ich habe der Freundin nicht von meinen Eltern erzählt sondern nur allgemein das ich angst habe. Aber sie hat diese Welt geflickt, mir wurde bewusst, das ist keine Krankheit, sondern etwas schönes, etwas wertvolles und vor allem eine sehr wichtige Erkenntnis.
Kurz darauf habe ich es den anderen beiden Freundinnen auch erzählt. Wir sind seit dem auch so eine Art „magisches Quartet“, entweder alle zusammen oder keiner. Total genial!
Durch mein Coming Out und damit zusammenhängende Gespräche, wie ich dass herausgefunden habe, hat sich für mich viel verändert und ich habe in mir angefangen eine Art Selbstverständlichkeit aufzubauen. Denn vorher kam ich mir damit noch alleine vor, aber das bin ich nicht, bei weitem nicht.
... dass ich anfing danach wieder Lebensfreude aufzubauen
Auch habe ich damit wieder Lebensfreude aufgebaut, die davor ziemlich im Keller war. Ich habe Spaß an jeder Kleinigkeit, sehe das schöne in jedem Moment und habe das Gefühl es lohnt sich wirklich zu leben, nicht nur für mich, auch für andere und vor allem gibt es so viel schönes... und wenn es auch nur die Blätter im Herbst sind die von den Bäumen fallen und durch die die Sonne scheint. Oder einfach nur ein Freund, Freunde sind das wichtigste Überhaupt. Ich wüsste nicht wie es mir gehen würde ohne meine Freunde und ich will es gar nicht wissen.
Dieses schöne Gefühl hingegen hält bis heute an, schlechte Tage hat jeder mal, aber ansonsten freue ich mich an den kleinsten Dingen die es gibt – ein lächeln, das reicht schon –
Von da an habe ich es Stückchen für Stückchen weiter verbreitet, mittlerweile ist es eine Selbstverständlichkeit für alle die mit mir zu tun haben. Mit denen ich weniger zu tun habe, nennen es ein Teil meines Charakters, aber das ist es nicht direkt es hat meine Charakter beeinflusst und geprägt, aber es ist ja nicht direkt ein Teil davon.
Dann kam noch das Gespräch mit meinen Eltern, dass habe ich kurz bevor ich mit meiner ersten Freundin zusammen gekommen bin, gewagt, ca. 2 Jahre, nachdem ich es zum ersten mal einer Freundin erzählt habe.
Das war dann die größte Überraschung überhaupt. Sie haben mich so akzeptiert und sie stehen voll und ganz hinter mir, ganz einfach weil ich ihre Tochter bin und sie mich so lieben wie ich bin! Das war der letzte Schritt zum „aufrechten Gang“ wie man es früher mal nannte.
...dass ich eine feste Freundin hatte
Eine Woche darauf hatte ich meine erste Freundin. Wir waren 4Monate zusammen, bis ich mich von ihr getrennt habe, weil ich sie nicht mehr liebte.
Das, mit dem „aufrechten Gang“ habe ich in meiner Facharbeit herausgefunden. Ich habe soviel Selbstvertrauen gefasst, dass ich sogar mit einem Lehrer locker darüber reden konnte, denn ich habe meine Facharbeit zum Thema Homosexualität geschrieben.
2 Tage nach Abgabe der Facharbeit hatte ich Geburtstag und habe pünktlich wie immer ein Paket bekommen von ihr, mit einem neuen Foto – schöner denn je – was mal wieder Zweifel in mir aufwarf, wie jeder Brief, jedes Paket, jedes Foto, ja schon bald jedes Wort. Warum wirft es mich doch jedes Mal wieder aus der Bahn? Ich kenne sie doch eigentlich gar nicht. Habe sie in 5 Jahren einmal 2 Wochen und einmal 3 Std. gesehen und ansonsten fast nur geschrieben. Warum? Nur ein Schein? Eine Erinnerung und Worte.
Wenn sie so ist, wie in meiner Erinnerung und ihren Briefen, dann kenne ich meine Traumfrau, aber wie es nun mal auch heißt, „Traum“.
Es war, ist und wird immer ein Traum sein.
... mit offenem Ende
Am liebsten würde ich ja jetzt ein Happy End anhängen, aber da das alles die Wahrheit ist, wenn auch etwas blumig geschrieben, bleibe ich auch dabei.
Sie wird immer meine Freundin bleiben, unerreichbar, aber nach so vielen Jahren kenne ich das Gefühl einfach.
Ich bin im Moment sehr glücklich mit meinem Leben, natürlich geht es immer besser, aber wenn alle Träume in Erfüllung gehen würden, hat man nichts mehr zum träumen, das wäre ja auch langweilig. Darum such ich lieber eine Freundin in reichweite und habe meinen Spaß mit den genialsten Freunden und meiner wunderbaren Familie!
Ich liebe mein Leben, meine Familie, meine Freunde, meine Fußballmannschaft und das alles kann mir keiner nehmen.
Zu meinem Leben sag ich nur noch:
„Aus Steinen die einem im Weg liegen, lässt sich auch was schönes bauen.“
copyright © by
maibaum. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.
Könnte auch ich geschrieben haben
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Hm, sowas änliches habe ich auch erlebt. Meine erste große Liebe habe ich auf einer Freizeit kennen gelernt, wohnten auch weit weg auseinander und ihr habe ich auch mein Coming out zu verdanken. Aber sie war auch ne Hete, daher auch kein Happyend. Aber auch ihr habe ich viel zu verdanken und bin froh darüber, dass sie eine Freundin geworden ist. Manchmal wünsche ich genauso wie du, dass es schön wäre, wenn da mehr wäre, aber so ist es nunmal. Bleibt halt einfach nur ein Traum!
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