von Jo28
A/N: Ein ganz dickes Dankeschön geht an dieser Stelle an Chiron, die mir als Beta hilfreich zur Seite steht und ganz tolle Arbeit geleistet hat. Noch mal Danke sehr an dich! Diese Story ist auch unter Fanfiktion.de erschienen unter dem Profil Straw28! Dort sind selbstverständlich noch mehr Storys vorhanden, viel paß beim Stöbern.
K1
Ein mondloser Himmel spannte sich über Celia, die ängstlich nach ihren Häschern zurückspähte. Trotz ihrer guten Ohren war das Knacken unter den schweren Stiefeln ihrer Verfolger nicht mehr zu hören. Sie presste das kleine Bündel, das sie an ihre befellte Brust hielt, noch etwas fester an sich. Die Stille konnte für Celia nur bedeuten, dass sie sich jetzt eine andere Möglichkeit überlegten, sie zu fangen.
Die Angst kroch tiefer in ihr Herz.
Celia hatte Mühe, ihre Schritte zu beschleunigen. Den Weg über die Bäume wagte sie nicht zu nützen, denn mit ihren schlechten Augen konnte sie die darin aufgespannten Netze nicht gut genug ausmachen. Celia musste sich auf ihre Beine zu verlassen – durch die Amputation ihrer Zehen am rechten Fuß mehr als hinderlich.
Um ihren Verfolgern zu entkommen, müsste sie diesen Teil des Waldes durchqueren, damit sie den freien und offenen Bereich erreichte. Hatte sie das geschafft, konnte sich Celia in die Bäume schwingen und war nicht mehr zu fassen.
Aber das Glück war nicht auf ihrer Seite und mit jedem weiterem Schritt merkte Celia, dass sie langsamer wurde.
In der Ferne erklang Hundegebell. Celia wusste jetzt mit Bestimmtheit, dass sie nach ihr suchten. Gegen die Hunde hatte sie mit ihrem so einzigartigen Geruch keine Chance.
Sie sah kurz auf das Bündel hinunter, das sie mit sich führte und blieb in dem Bewusstsein, verloren zu haben, einfach stehen.
Das sorgsam in das grellgelbe Küchentuch eingewickelte Ding begann sich jetzt etwas frei zu strampeln. Meergrüne Augen sahen Celia an, als wüssten sie schon längst, was der jungen Faulin durch den Kopf ging. Das kleine Wesen, welches im Gegensatz zu Celia nur wenig Fell aufwies, griff mit den Händchen in die Luft, und Celia kam vor, als würde es damit die Sterne fangen wollen.
Doch das wirst du nie, wenn ich es nicht schaffe, uns beide zu befreien , dachte Celia.
Sie wickelte das Kind wieder fester in das Tuch mit dem königlichen Wappen, fasste ihren ganzen Mut zusammen und lief mit all ihrer Kraft, die ihr zu Verfügung stand, weiter. Im Gegensatz zu ihr besaß es ja kein wärmendes Fell und sie hatte Angst, es könnte in der kalten Nacht frieren.
Das Gebell der Hunde rückte näher und sie begann zu rennen, musste sich aber nach einer kurzen Strecke keuchend eingestehen, dass sie es nicht weiter schaffte. Jeder Atemzug rasselte, während ihre Gedanken fieberhaft nach einer Lösung suchten. Celia war sich sicher, dass es nicht mehr weit war. Sie musste ganz in der Nähe der Grenze sein, wo es keine Netze mehr gab, aber so lange sie nicht die absolute Gewissheit hatte, wagte sie nicht, es auszuprobieren.
Als ganz kleines Mädchen war sie mit den Kindern des Königspaares oft hier gewesen und hatte mit ihnen gespielt. Eine sehr glückliche Zeit für sie, bis sich das bewahrheitete, was andere Faulins ihr immer wieder gesagt hatten. „Sobald sie älter werden, bist nur eins von vielen Spielzeugen, die beliebig austauschbar sind. Sie sehen dich nicht als Lebewesen, sondern als einen Gegenstand“
Für Celia bedeutete das, dass sie nachts immer seltener in den Schlafzimmern der Kinder übernachten durfte und immer öfters bei ihren Verwandten in den Verschlägen schlief, wo es stets zog und schlecht roch.
Eines Tages brach eine schlimme Seuche unter ihnen aus, an der viele von ihnen starben.
Aus Angst, die Kinder könnten sich anstecken, durfte Celia ab diesem Moment überhaupt nicht mehr zu ihnen. Das Verbot blieb auch dann noch aufrecht, nachdem sich diese Vermutung als falsch erwiesen hatte. Es erkrankten nämlich nur Faulins - hauptsächlich auch wegen ihrer schlechten Lebensbedingungen, die damals überall in den Dörfern und Städten herrschten.
Celia wurden andere Aufgabenbereiche zugeteilt und sie lernte das harte Leben ihrer Verwandten kennen. Die kleinen Häppchen, die man ihr früher unter dem Esstisch heimlich zugeworfen hatte, blieben nun aus und sie magerte ab. Zusammen mit ihrer Cousine brachte Celia Abfälle fort und arbeitete als Küchenkraft, eine wesentlich leichtere Aufgabe als die Arbeit der anderen außerhalb der Schlossmauern, wie sie bald erfahren musste.
In diesen Tagen begann sich eine kleine Gruppe von Faulins zu formieren, um sich gegen ihre Behandlung zu wehren.
Nach Jahrzehnten von Unterdrückung und Ungerechtigkeit hatten sie ein sehr feines Gespür für Recht und Unrecht entwickelt. Vor allem störte sie der Umstand, dass sie nicht wie ihre wilden Brüder und Schwestern in den Wäldern von Jum leben konnten. Man hatte sie in Massen gewaltsam gefangen genommen und verwendete sie zu Vergnügungszwecken, ohne sich überhaupt die Mühe zu machen, diese „Wilden“ noch zu domestizieren. Da man keine Rücksicht kannte, wurde ihre Population zusehends kleiner. Erst als die Seuche ausbrach, zog man sich zurück, da man annahm, die Faulins in den Wäldern wären die eigentlichen Krankheitsüberträger.
In dieser Zeit formierte sich die Gruppe der „Faulins, Freiheit, Gerechtigkeit“, kurz „FFG“ genannt, um ihren Artgenossen den Weg in die Freiheit zu ermöglichen. Nicht jeder nahm diese Gelegenheit wahr, da fast niemand mehr über das Wissen verfügte, wie man in der Natur überleben konnte.
Auch Celia wollte davon nichts wissen. Trotz der schlechten Behandlung war sie ihren Besitzern treu ergeben, da sie in ihrem Leben immer nur absoluten Gehorsam gelernt hatte.
Bis sie sich in den jungen Menschen Tanis verliebte, einen jungen Adligen, der von seinem Onkel nach Jum gesandt worden war, um dort seine Braut, die zukünftige Königin von Jum, zu treffen, ein sensibles und in sich zurückgezogenes Mädchen, das zu Tanis nicht recht zu passen schien.
Er war das absolute Gegenteil: leidenschaftlich und offenherzig, immer bereit, gegen jedes Übel anzukämpfen. So auch damals, als Celia ein Tablett mit Tellern fallen ließ, welches sie in die Küche tragen sollte. Eigentlich war ihr eine Ohrfeige vom Oberpräfekten sicher, doch Tanis verhinderte es.
Liebe auf den ersten Blick war es wirklich nicht, aber Celia war ihm dafür erst einmal dankbar, hatte sie doch noch nie erlebt, dass man sich für sie einsetzte, wenn sie einen Fehler gemacht hatte.
Es blieb nicht aus, dass der sehr aktive und umtriebige Tanis Celia ständig über den Weg lief. Auch wenn es für Faulins streng verboten war, von sich aus die Herrschaften anzusprechen, wurde sie von Tanis geradezu herausgefordert, es zu wagen. Und beide wurden sich im Laufe von Monaten immer sympathischer und schließlich entstand daraus sogar Liebe.
Natürlich stand die Verbindung unter dem schlechtesten aller Sterne, trotzdem konnten es beide nicht lassen, sich heimlich zu treffen oder immer wieder schnelle Küsse und Blicke auszutauschen. Aber an einem Hof wie dem von Jum konnte nichts lange geheim bleiben und so wurde auch ihr Geheimnis entdeckt.
Noch dazu bemerkte Celia sehr bald, dass die erste gemeinsame Nacht ein sehr dickes Nachspiel mit sich brachte.
Natürlich verheimlichte sie Tanis ihren Zustand. Das neue Selbstbewusstsein, das er in ihr entzündet hatte, weckte in ihr den Wunsch, ihr gemeinsames Kind nicht als Diener aufwachsen zu lassen.
Celia träumte davon, dass ihr Kind eines Tages frei entscheiden könnte, wo es leben wollte – hier eine absolute Unmöglichkeit.
Daher beschloss Celia, mit ihrem Kind in den Wald zu gehen, um dort ihre Artgenossen zu finden und gemeinsam ein unabhängiges, selbständiges Leben zu erlernen. Sie hatte zwar die Gerüchte vernommen, dass die „FFG“ über Camps verfügen sollte, wo man darin unterrichtet wurde, doch aus Angst, Tanis in Schwierigkeiten zu bringen, wagte Celia nicht, sie aufzusuchen. Ein Fehler, denn er hatte seine Probleme schon.
Die überall eingesetzten Spione der Königin hatten ihr schon längst berichtet, dass eine Faulin von Tanis schwanger war - an sich am Hof nichts Neues, der eine oder andere Höfling hielt sich oft aus Spaß solche Gespielinnen. Aber für den zukünftigen Ehemann der nächsten Königin war solch eine Tatsache inakzeptabel. Die Bevölkerung stand Tanis bereits mehr als skeptisch gegenüber. Immer wieder sorgte er mit seiner ungezwungenen Art für Unmut, da man spürte, dass er einiges an alten Zöpfen abscheiden wollte – und vor Neuerungen hatte das Volk von Jum von jeher mächtige Angst.
Trotzdem war die Verbindung sehr wichtig, um die zukünftigen Konflikte mit dem Nachbarland Jam zu vermeiden, die gerade um den kleinen Stadtsaat Gin, der genau auf der Grenze beider Königreiche lag, ausbrachen. Der blutige Krieg konnte nur durch die Heirat von Tanis mit der jungen Hazel vermieden werden. Das Gerücht, er würde jetzt schon mit einer andern anbändeln, kam daher umso ungelegener. Noch dazu eine Faulin, die nach der Seuche in vielen Bevölkerungsgruppen als schmutzig und gesundheitsschädigend galt! Der eine oder andere hätte vielleicht schon gerne alle Faulins aus den Dörfern und Städten gejagt, wenn sie nicht auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor gewesen wären.
Ein gesunder, kräftiger Faulin brachte auf dem Markt gute tausend Donis ein, das Jahresgehalt eines gut verdienenden Bauern. Wenn er Sprachkenntnisse und Umgangsformen hatte, wie sie die reichen Bürger pflegten, war er das Dreifache wert. Und wenn er dann auch noch vielleicht ein Nacktfaulin war, wurde er als besonders wertvoll und edel angesehen.
Eines dieser Exemplare zu besitzen war nicht nur selten, sondern auch kostspielig, da sie wesentlich empfindlicher in ihrer Haltung waren. Die meisten dieser Mutationen starben schon nach wenigen Monaten aus unbekannten Gründen. Nur wenige Leute gingen das Risiko ein, sie aufzuziehen oder gar mit ihnen zu züchten. Daher waren sie selten und alles Seltene war teuer, exklusiv und für Reiche vorbestimmt.
Celia sollte eigentlich gezwungen werden, das Kind nicht auszutragen. Doch die Schwangerschaft war schon zu weit fortgeschritten und wenige Tage später brachte sie es heimlich zur Welt. Das Glück des Kleinen war es, dass es scheinbar eine dieser seltenen Mutationen war, denn es hatte nur wenig Fell.
Zuerst kam kaum einer auf den Gedanken, dass es mehr als ein Nacktfaulin war. Als es dann soweit war, hatte Celia schon mit Hilfe ihrer Cousine die Flucht ergriffen. Aber ihr Glück dauerte nur wenige Stunden und jetzt befand sie sich in diesem ihr so bekannten Waldabschnitt und musste mit Verzweiflung feststellen, dass sie dabei war, zu verlieren.
Celia hatte zum ersten Mal mit Tanis den Geschmack der Freiheit gekostet und jetzt, nach nur wenigen Stunden wirklicher Ungebundenheit wollte sie, dass ihrem Kind die gleichen Rechte zugebilligt werden würden wie denen, welche sie in diese Lage gebracht hatten.
Celia Gedanken begannen sich zu drehen und sie fasste den schwersten Entschluss, den sie als Mutter nur tun konnte: Sie blieb stehen und wartete auf die Hunde.
Kaum waren die großen Tiere da, die drohend ihre Zähne fletschten, sprang Celia einem davon mit Schwung auf den Rücken. Das Tier schnappte um sich und versuchte Celia zu beißen, doch er drehte sich immer nur um sich selbst und bekam sie nie zufassen.
Die anderen Hunde stürzten sich auf ihren Artgenossen, der sich so seltsam verhielt, und Celia nutzte die Gelegenheit und schlug sich mit einem großen Hechtsprung in die Büsche. Sie hörte das Jaulen des Hundes in seinem Todeskampf, doch Celia blieb keine Zeit, ihn zu bedauern, denn bis die Hunde in ihrem Blutrausch endlich bemerkten, wen sie da in der Zange hatten, würden sie schnell ihre Spur wieder aufnehmen.
Celia rannte weiter und erreichte endlich den Rand des Waldes. Dort schwang sie sich in die Bäume und war sich endlich sicher, dass sie niemand mehr einholen konnte. Hier oben konnten ihr weder Hunde noch menschliche Verfolger schnell genug nachkommen.
Plötzlich knallte ein Schuss. Die Kugel pfiff an ihrem Ohr vorbei, Celia verlor kurz den Halt und das Bündel glitt aus ihren Händen. Schnell versuchte sie den Fall abzufangen, doch sie war eine Spur zu langsam und verlor das Kind aus ihren Augen, die nicht an die Dunkelheit gewöhnt waren. Celia hatte keine Ahnung, dass die Nachtsicht ihrer Spezies erst trainiert werden musste.
Sie landete weich auf den Waldboden und suchte verzweifelt nach ihrem Kind. In ihrer Aufregung überhörte sie das Geräusch knackender Äste, das sich ihr näherte.
A/N: So weiter geht es hier. Es tut mir leid, dass es länger gedauert hat als ich es geplant hatte. Aber durch einige andere Dinge bin ich hier im Verzug geraten, wie an anderen Stellen auch. Nicht desto trotz kommt hier das nächste Kapitel, dass durch die fleißige Nachbearbeitung meiner Beta, die wirklich wieder super flott war, endlich heute.
Betagelesen von : Chiron (Dank dir)
Wünsche viel Spaß und für alle die nicht mehr ganz wissen, um was es im Ersten ging, ist hier eine kleine Rückblende.
Rückschau: Sie landete weich auf den Waldboden und suchte verzweifelt nach
ihrem Kind. In ihrer Aufregung überhörte sie das Geräusch knackender Äste,
das sich ihr näherte.
K2:
Plötzlich drückte etwas Kaltes in Celias Nacken.
"Ganz ruhig", sagte hinter ihr eine Stimme und zwang dadurch die Faulin, in
der gleichen Haltung hocken zu bleiben, in der sie aufgekommen war.
Am tiefen Klang erkannte Celia sofort einen Mann - eigentlich ungewöhnlich
für jemanden, der in den Truppen diente. Normalerweise waren es Frauen, die
meisten Männer von Jum waren noch immer dem traditionellen Bild, sich um
die Kinder und den Haushalt zu kümmern, verhaftet.
"Wenn du brav bist, lasse ich dich am Leben", knurrte er.
"Ich werde es sein", versprach Celia. Dennoch suchten ihre Augen den
Waldboden ab.
"Gut, das rate ich dir auch. Sonst wird das Baby dir hier", er klopfte auf
etwas, das einen metallenen Klang von sich gab " ein schönes Loch in deinen
dreckigen Kopf blasen", er lachte bösartig auf.
Ganz leicht drehte Celia ihren Kopf und blickte in den Lauf einer
Denjowaffe.
Wie die Faulin vermutet hatte, war er wirklich Soldat, nach der grünen Farbe
des Schafts sogar einer der königlichen Garde. Es konnte es sich also nur
um Kommandant Bindo handeln, einen der wenigen Männer, die einen Aufstieg
geschafft hatten und sogar das Vertrauen der königlichen Familie genossen.
Celia erinnerte sich daran, dass es um ihn Gerüchte gegeben hatte, angeblich
hätte er kein "reines" Blut und wäre deswegen in die Armee gegangen.
Sie hörte Hufschläge, die sich der Stelle näherten, an der sie
festgehalten wurde, und kurz darauf umgaben sie etliche Reiter. Sie hatten
nicht nur die üblichen Pferde, sondern auch andere Tiere, wie etwa die
großen Meloneten, pferdeartige Wesen, die an beiden Seiten große Stoßzähne
trugen und eine Höhe von drei Metern erreichen konnten. Auch die Hunde
umkreisten sie wieder. Einige machten einen schwer verletzten Eindruck und
bluteten aus mehreren Wunden.
"Melde gehorsamst, die Geflüchtete ist wieder in Gewahrsam", sagte Bindo.
Als Celia erkannte, wer ihm antwortete, zuckte sie zusammen.
"Gut gemacht", lobte Tanis. Seine sonst so warme, oft zärtliche Stimme klang
rau und ungewöhnlich kalt. Jede Leidenschaft, die ihn sonst so auszeichnete,
war vollkommen verschwunden.
Celia hörte, wie er von seinem Pferd herunter glitt und zu ihr kam.
Ihr Kopf wurde angehoben und sie blickte in die schönen, grünen Augen, die
sie liebte.
"Warum bloß, Celly?", fragte er leise. Er schien nicht zu ahnen, dass er
Vater geworden war.
Mit ihren Augen versuchte Celia verzweifelt, es ihm mitzuteilen, doch er
verstand sie nicht - und es ihm laut zu sagen, brachte Celia einfach nicht
fertig. Sie konnte es ihm doch nicht vor Bindo erzählen, denn dann wusste es
bald ganz Jum und Tanis wäre für immer bloßgestellt.
Er blickte sie fest an. Dann senkte er seine Stimme und die altvertraute
Freundlichkeit kehrte darin zurück.
"Du weißt, dass ich dich nicht so einfach laufen lassen kann." Celia
nickte. Sie wusste nur zu gut, was mit entlaufenen Faulins und ihren
Helfern geschah.
Tanis sah sie lang an und flüsterte: "Ich werde mir was einfallen lassen."
Celia schüttelte den Kopf. "Nein, tu das bitte nicht."
"Ich kann nicht zulassen…dass du..."
"Doch, du musst. Ich schaffe es schon." Endlich fasste Celia genug Mut und
sagte tapfer: "Für mich und deinen Sohn"
Tanis blickte sie kurz freudig an, wurde jedoch sofort darauf erschrocken.
"Wo ist er?", fragte er und sah sich verstohlen um.
Celias fühlte ihr Herz schwer werden. Sie wusste, dass sie lügen musste,
wenn sie wenigstens Tanis schützen wollte. "Gut versteckt. Mache dir keine
Sorgen. Er ist bei guten Leuten und wird dort auch ein gutes Leben haben"
Tanis begriff und stand endlich auf. Laut befahl er jetzt: "Bindet sie fest,
damit sie uns nicht wieder entkommt."
Die Soldaten kamen seiner Anordnung sofort nach. Man legte Celia Fesseln an,
hob sie hoch und setzte sie unsanft auf eines der Pferde. Schließlich ritten
alle davon.
Ihre Augen glitten noch mal zurück und da, mitten im Gebüsch, meinte Celia,
etwas Gelbes zu sehen.
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16 Jahre später:
Kindu beeilte sich.
Der groß gewachsene junge Mann eilte durch die schmalen Gassen von Östal,
einem kleinem Stadtteil an der Grenze von Mi´z´ta. Er war schon ziemlich
spät dran, da das Geschenk für seine Schwester erst heute Morgen
eingetroffen war.
Kindu konnte sich ein stolzes Lächeln einfach nicht verkneifen. Es hatte
ihn viel Mühe gekostet, das Geld zu verdienen. Er hatte bisher noch nie mehr
als drei Donies besessen und es war ein tolles Gefühl gewesen, durch den
eigenen Fleiß plötzlich das Doppelte in Händen zu haben.
Kindu war sich wirklich schon wie ein reicher Man vorgekommen. Hätte er es
nicht für seine Schwester ausgeben müssen, wäre ihm dieser Genuss noch
länger geblieben, doch schon aufgrund seiner Erziehung war es ihm einfach
unmöglich gewesen, es für sich zu behalten
Seine Eltern waren rechtschaffene, ehrliche Leute, die nie mehr besaßen, als
sie zum Leben brauchten. Alles, das darüber hinaus ging, hielten sie für
eine Sünde und so hatten sie auch ihre Kinder erzogen. Kindus Eltern
gehörten einer fast ausgestorbenen Glaubensgemeinschaft an, deren letzten
Mitglieder hier noch ansässig waren.
Kindu wich etlichen Gemüsekarren und den Blicken einiger Dorfschönheiten
aus. Er selbst hielt sich nicht für sonderlich ansehnlich, alles was mit
Eitelkeit zu tun hatte, war ihm ziemlich fremd.
Wahrscheinlich war er deswegen auch manchmal recht erschrocken, die
Aufmerksamkeit einiger Jungfern zu erregen. Es war Kindu peinlich und er
versuchte, diesen Damen möglichst aus dem Weg zu gehen.
Er entsprach überhaupt nicht dem gängigen Schönheitsideal. Kindu war mit
seinen eins achtzig zu groß und auch sein Körperbau war viel zu kräftig und
muskulär. In der Regel waren Männer beliebt, die fülliger waren - hieß es
doch, dass sie dann besonders gutmütig und umgänglich wären.
Kindu bog um eine Ecke und sah nun die etwas schräg stehende Hütte seiner
Familie, die sein Vater kurz vor seinem Tod fertiggestellt hatte. Seither
versuchte die Familie, sich so gut es ging durchzuschlagen - was nicht immer
einfach war mit drei Mädchen, die nach Tradition mit achtzehn verheiratet
sein mussten. Waren sie dies nicht, blieb ihnen nicht viel mehr übrig, als
Soldatin zu werden. Viel Zeit hatte Tsas, die heute siebzehn wurde, also
nicht mehr.
Kindu hatte es als Mann da doch etwas einfacher, er konnte noch warten, bis
er fünfundzwanzig war.
Im Augenblick herrschte auch ein ziemlicher Mangel an Männern und das
machte seine Chancen recht groß. Dennoch war sich Kindu nicht sicher, ob
es genau das war, was er anstrebte. Die Vorstellung, bald an Herd und Frau
gebunden zu sein, verursachte ihm ein merkwürdig schales Gefühl, obwohl
seine Heirat der Familie großen Gewinn bringen würde. Natürlich musste er
bis dahin etwas dicker werden, um als gute Partie gelten zu können.
Kindu betrat endlich die Hütte.
Dort erhob sich seine Mutter gerade von Gebetshocker. Jeden Morgen richtete
sie ihn nach Norden aus und betete dort zum großen Wenz. An anderen Tagen
tat Kindu das auch. Aber heute hatte er sich erlaubt zu schwänzen, um sein
Geschenk abholen zu können. Seine versäumten Gebete wollte er eben morgen
früh einfach nachholen - all das war in den Regeln des Mürtz festgehalten,
nach denen sich die gesamte Familie hielt.
Er bückte sich etwas, um nicht mit dem Kopf an den niedrigen Türbalken zu
stoßen. Seine Mutter sah ihm erwartungsvoll entgegen. "Und - alles gut
bekommen?", fragte Jennis.
Kindu nickte. "Ja!" Stolz hielt er sein Päckchen hoch.
"Dann leg es hier zu den anderen Sachen", bat sie und zeigte auf den
festlich geschmückten Küchentisch. Normalerweise ging sie nicht auf seine
Prahlerei ein, doch heute war ein besonderer Tag und er hatte hart
gearbeitet. Daher erlaubte Jennis ihm ausnahmsweise, ein bisschen stolz auf
sich zu sein - was sie sonst streng untersagte.
Seine Schwestern hatten den Tisch mit getrockneten gelben Timbablumen
geschmückt und ihre eigenen Geschenke dazwischen gelegt. Ähnlich wie
seines waren alle praktisch orientiert: Kindu sah, dass das Kleid von Biggy
gerade noch fertig geworden war. Daneben stand ein Tonkrug mit den Initialen
der Beschenkten - wobei Kindu sich nicht sicher war, ob er wirklich
wasserdicht war. Die kleine Rina war zwar schon ganz gut im Töpfern, aber
ihre Gefäße hatten Flüssigkeiten noch nie halten können.
Nachdem er sein Päckchen aufgemacht hatte, legte er die Tasche in eine freie
Ecke. Er breitet sie sogar etwas aus, damit die glänzenden Scheren und
Nadeln gut zu sehen waren.
Kaum war er fertig, hörte man schon von oben Fußgetrappel. Seine Mutter zog
es vor, alleine zu beten und daher hatte die übrige Familie nach oben gehen
müssen. Kindu behielt allerdings für sich, dass sie in dieser halben Stunde
nicht immer das taten, wofür sie hinaufgeschickt worden waren.
Gerade als sie noch kleiner gewesen waren, hatte sie diese Zeit genutzt, um
sich gegenseitig Geschichten zu erzählen oder zu spielen. Tagsüber bot sich
ihnen immer viel zu wenig Gelegenheit dafür, denn seine Schwestern besuchten
die örtlichen Schulen und er musste seiner Mutter helfen.
Wie die meisten Männer in Jum konnte Kindu weder lesen noch schreiben, da
dies noch immer in vielen Gegenden als unschicklich galt.
In manchen Dörfern wurden Lehrerinnen sogar verleumdet oder mit Gewalt
bedroht, wenn sie es wagten, einen Mann zu unterrichten. Nach den
Vorstellungen der meisten hatte er andere Aufgaben und brauchte seine Nase
nicht in Bücher zu stecken.
Er sollte stark und kräftig sein, als guter Arbeiter die Familie
unterstützen und sich darum kümmern, dass ihr Heim gemütlich wurde. Alles
andere war nicht seine Aufgabe. Sehr vielen in Jum wäre es sogar recht
gewesen, wenn Männer wie einst nur in Begleitung ihre Häuser verlassen
hätten dürfen. Sie beklagten lautstark den stetig fortschreitenden
Sittenverfall seit Tanis Mitkönig war und nicht, wie es sich für den
Ehegatten der Königin gehörte, auf seine Regierungsgewalt verzichtet hatte.
Als Kindu noch ein kleines Kind gewesen war hatte er versucht, seine
Geschwister zu überreden, ihm wenigstens Lesen beizubringen. Doch keine der
Schwestern hatte es gewagt, das strenge Verbot der Mutter zu missachten.
Diese war sogar so weit gegangen, Kindu hinauszuschicken, wenn die anderen
ihre Hausaufgaben machen mussten. So blieb er ohne jegliche Bildung und
bedauerte das sehr.
Endlich trudelten die restlichen Familienmitglieder ein und Kindu wurde
jetzt für sein Geschenk dankbar umarmt.
Alle Gaben wurden nach und nach bewundert und Tsas blaue Augen strahlten
vor Freude. Sie taten das nicht immer und Kindu war glücklich, dass für
einen Augenblick sämtliche Sorgen verschwunden waren.
Schließlich zog sie das neue Kleid an und es wurde ein richtiges kleines,
gemütliches Fest. Es sollte das letzte sein, das es in dieser Familie geben
würde.
A/N: Hey, sorry fürs lange Warten, tut mir wirklich sehr leid. Aber dafür kommt ihr jetzt auch ein extra langes Kapitel. Hoffe ihr seid noch dabei und freut euch darüber, dass es weiter geht. Sollten Fragen sein, ich stehe gerne bereit.
Beta: Chiron danke dir fürs Ausharren und für die klasse Bearbeitung. ;-)
Jetzt aber viel Spaß hiermit, will gar nicht mehr lange reden.
3
Als erste Tochter der Königin Hazel und ihres Ehemanns sollte Jane nach
dem Tode ihrer Mutter die Erbin des Reiches Jum werden. Die junge Frau
hoffte von ganzem Herzen, dass bis dahin noch viel Zeit vergehen würde.
Der Rest des Hofstaates schloss sich dieser Hoffnung allerdings nicht an.
Bereits wenige Monate nach dem Amtsantritt der Königin hatte sich erwiesen,
dass sie nicht diese gute und gerechte Herrscherin sein würde, die man sich
erwartet hatte.
Hazel regierte mit ungeahnter Härte wie niemand zuvor. Auch ihrem Ehemann
gegenüber zeigte sie selten Wärme und Herzlichkeit. Es war deswegen ein
offenes Geheimnis, dass er sein Heil in den Betten diverser Hofdamen suchte
und mehr als einen Bastard gezeugt haben sollte.
Er hatte damit bereits kurz nach der Hochzeit begonnen. Der eine oder andere
munkelte, weil die Königin beim Beischlaf nicht wärmer als ein Eisklotz war.
Andere sagten, weil er unglücklich war, doch niemand konnte einen genauen
Grund dafür angeben.
Tanis hatte somit sogar das Verständnis seiner Untergebenen. Tatsächlich war
er ein König, wie man ihn sich erhofft hatte. Trotz seiner Fehler bemühte
er sich, seiner Bevölkerung Gutes zu tun, doch waren ihm durch seine Ehefrau
oft die Hände gebunden.
Jane vermutete, dass er einfach nicht die Stärke besaß, sich ihr entgegen zu
stellen.
Sie selber versuchte, möglichst selten am großen Hof ihrer Eltern zu sein.
Wie alle Königinnen vor ihr studierte sie in der „Dumart Akademie“.
Allerdings belegte sie nicht nur die vorgesehenen Fächer. Sie interessierte
sich auch für Wissensgebiete, die nicht nur von Jum, sondern auch von der
Welt außerhalb ihres Reiches handelten.
Zu gerne wäre sie einmal zur ehemaligen Heimat ihres Vaters gereist. Doch
da die Angst groß war, dass ihr auf so einer Fahrt ein Unglück geschehen
könnte, war es einer angehenden Königin nicht erlaubt, lange Reisen zu
unternehmen. Die Beziehungen der beiden Länder waren im Laufe der Jahre
etwas kühler geworden und nur die Tatsache, dass Tanis König von Jum war,
schien Jam davon abzuhalten, das Nachbarland anzugreifen.
Bis zum endgültigen Kriegsausbruch schien es nur noch eine Frage der Zeit zu
sein, denn Janes Vater ging es gesundheitlich nicht gut. Es fiel ihr schwer
zu glauben, dass es ihn eines Tages nicht mehr geben sollte.
Beim Versuch, diese Gedanken abzuschütteln, nahm Jane eines Tages eine
falsche Abzweigung. Wie so oft war sie alleine losgeritten, um die Umgebung
zu erkunden - ein Verhalten, dass ihr zwar immer wieder Tadel eingebracht
hatte, sie aber nicht daran hinderte, sich immer wieder hinauszuschleichen.
Eine Anzahl Soldaten, die einen Karren mit Gefangenen eskortierten, kam ihr
entgegen. Um Jane vor eventuellen Anschlägen zu schützen, kannte fast
niemand in Jum ihr Gesicht und sie konnte sich dadurch frei bewegen. Später,
als Königin, würde sie diesen Vorteil einbüßen – das wusste sie bereits von
ihrer Mutter.
Der Karren rollte an ihr vorbei und Jane erblickte eine kleine Gruppe von
Männern, die apathisch vor sich hinstarrten, hinter den Eisenstangen.
Die meisten waren in ihrem Alter und stierten mit trüben, gebrochenen Augen
vor sich hin. Sie hatten sich schon jetzt mit ihrem Schicksal abgefunden,
das, so unterschiedlich es sein würde, doch allen das gleiche Ende vorgab.
Viele der Männer würden in gewisse Häuser gebracht werden, um dort ihre
„Pflicht“ für die Soltatinnen zu tun. Es war ein offenes Geheimnis, was dort
geschah, doch in Jum sprach kaum jemand darüber.
Jane sah sich die Gefangenen an. Es fiel ihr schwer, ihr Mitleid nicht zu
offen zu zeigen.
Währenddessen versuchte Kindo, nicht mit seinem Schicksal zu hadern. Bis vor
wenigen Stunden war er in der relativen Sicherheit seiner Familie gewesen,
jetzt befand er sich auf einer Reise mit ungewissem Ende. Im Gegensatz zu
der Reiterin, die er durch die Stäbe des vergitterten Karrens erkennen
konnte, wusste er kaum etwas darüber, was man mit ihm vorhatte oder wohin
man ihn bringen wollte.
Es war reiner Zufall, dass sich ihre Blicke kreuzten.
Kindo sah in große, traurige, grünblaue Augen. Etwas in ihm reagierte
unbewusst darauf und ein wehmutiges Lächeln erhellte sein Gesicht. Im
Gegensatz zu ihm war sie wenigstens frei, schien es zu bedeuten. Er, Kindo,
würde es vielleicht nie mehr im Leben sein. Diese Vorstellung war so
ungeheuerlich für ihn, dass dadurch jeder vernünftige Gedanke verdrängt
wurde. Sein aufkeimendes Interesse verebbte ebenso schnell, wie es
entstanden war.
Jane verstand seine wiederkehrende Teilnahmslosigkeit nicht.
„Was sind dies für Leute?“, fragte sie die Soldatinnen verärgert. Mit ihrer
gebieterischen Stimmlage ließ sie sofort erkennen, dass sie aus einem edlen
Familienzweig stammte und eine Antwort erwartete.
„Nur ein paar Strauchdiebe und Verrückte aus dem Dorf“, erklärte die
Anführerin des Trupps, eine kleine untersetze Frau, deren schwarze Locken
sich unter ihrem Helm hervorkräuselten.
„Und der dort?“, war Janes nächste Frage. Ihr beringter Finger zeige direkt
auf Kindo, der noch immer trübe vor sich hin blickte.
Die Soldatin grinste dreckig.
„Ein Tagelöhner“, log sie. „Wir haben ihn und seine Sippschaft heute Nacht
erwischt.“
Natürlich war das eine Lüge, es hatte sich ganz anders zugetragen. Kindo
und seine Familie waren mitten in der Nacht überrascht worden und man hatte
ihn mitgenommen. Was mit seiner Mutter und den Geschwistern geschehen war,
davon hatte er keine Ahnung.
Doch mit jedem Meter, den der Karren zurücklegte, wuchs seine Sorge.
Zunächst hatte Kindo - ganz untypisch für ihn - getobt und versucht zu
erklären, dass er unschuldig sei. Schließlich aber hatte er begriffen, dass
dieser Umstand bei seiner Gefangennahme überhaupt keine Rolle gespielt
hatte. So hatte er sich als letzter, wie alle anderen auch, in sein
unbekanntes Schicksal ergeben.
„Holt ihn raus“, befahl Jane, obwohl sie eigentlich nicht begriff, was ihr
daran so wichtig war.
„Aber Madam, er ist ein gefährlicher Irrer“, warnte die Soldatin.
„Dann interessiert er mich umso mehr“, gab Jane vor.
Also öffneten sechs der insgesamt zwölf Soldatinnen die Karrentür. Sie
drängten mit ihren Spießen die anderen zurück, bis eine kleine Spalte
entstand, durch die sich Kindo herauszwängen sollte.
„Du da, komm her“, rief eine ihm zu.
„Ich habe einen Namen“, entgegnete Kindo mit dem letzten Rest an Mut, der
ihm verblieben war.
„Mir egal, komm raus“, kam die prompte Antwort. Kindo blieb, wo er war.
„Dann bin ich auch nicht verpflichtet, zu kommen“, gab er patzig zurück.
„Beim Barte von Hermus, wenn du nicht sofort da bist, prügele ich dich
windelweich“, drohte sie.
Kindo versuchte, das Zittern seiner Beine zu ignorieren, und blieb wo er
war, bis ihn schließlich vier Soldatinnen herauszerrten. Danach banden sie
ihm die Hände auf den Rücken, damit er gar nicht erst auf dumme Gedanken
kam.
„Hier ist er“, verkündete die Anführerin stolz.
Jane hatte nicht ohne Spaß zugesehen, wie sich der Gefangene den
übermächtigen Frauen widersetzt hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte
sie sich gut unterhalten gefühlt.
„Kommt näher mit ihm“, war ihr nächster Befehl. Man zog und zerrte an dem
kräftig gebauten Mann, bis er endlich vor ihr stand. Die junge Frau fand ihn
auch nicht wirklich hübsch, allerdings hatte er etwas in seinen Augen, das
sie faszinierte.
„Wie heißt du?“, erkundigte sie sich und fragte sich, ob er überhaupt
richtig sprechen gelernt hatte.
„Kindo“, entgegnete er.
„Ein seltsamer Name für diese Gegend“, bemerkte Jane.
„Er ist auch nicht von hier“
„Ach nein?“
„Nein, er würde mir von meiner Ziehmutter gegeben, die nicht von hier kommt.“
„Also bist du ein Waisenkind?“
„Ich würde es so nicht sagen. Ich bin von einer Mutter und einem Vater
aufgezogen wurden“
„Aber sie sind nicht deine leiblichen Eltern?“, fragte Jane.
„Nein, sind sie nicht“, gab Kindo zu. „Trotzdem waren sie mir meine Familie“
„Weißt du, wer deine wirklichen Erzeuger sind?“
„Nein, ich wurde im Wald aufgefunden“, erklärte Kindo.
Jane musterte ihn offen, der ganze Mann erschien ihr merkwürdig. Er sah
nicht aus wie jemand aus Jum, dafür war er zu groß und muskulös. Zudem
begann ihr seine unerschrockene Art, ihr entgegen zu treten, immer mehr
Spaß zu machen.
„Wohin bringt ihr diese Leute?“, wandte sie sich erneut an die Anführerin
der Soldatinnen.
„Nach Mintztown“
Jetzt war Jane endgültig klar, was aus Kindo und dem Rest werden würde.
Sie würden zum größten Teil in den Lokalen und Kneipen von Mintztown enden.
Die Älteren würden sich zu Tode schuften und den betrunkenen Besucherinnen,
die meist aus Soldatinnen bestanden, ihre Getränke servieren.
Den Jüngeren allerdings stand ein noch schlimmeres Schicksal bevor. Ihre
Körper würde man in billigen Fummel hüllen und sie zum günstigen Preis an
jede Frau verkaufen, die sich ein paar nette Stunden machen wollte.
Der Glanz in den Augen des Mannes vor ihr würde sehr schnell erlöschen. Jane
konnte diesen Gedanken kaum ertragen.
„Wie viel verlangt ihr für den hier?“, wollte sie wissen. Unter den Frauen
waren überraschte Gesichter zu bemerken.
„Ich weiß nicht…..“, begann die Anführerin. „Ich meine, er ist ein
Tagedieb, so jemanden Ihnen zu überlassen ……. Madam, Sie würden sich in
Gefahr bringen!“
Jane setzte ein siegesgewisses Lächeln auf. „Las dies meine Sorge sein. Ich
mag kleine Raubkater.“ Sie versuchte sich nun ihrerseits an einem dreckigen
Lächeln. Da es scheinbar aber nicht genügte, fügte sie noch an: „Er wäre
nicht der Erste, den ich zähme.“
Die Soldatin begriff. „Na gut. 45690 Donies“
Kindo gingen fast die Augen über, als Jane ohne zu zögern ihre Geldbörse
zückte und mehr als die verlangte Summe zahlte.
„Ich denke, das wird genügen“, schloss Jane das Geschäft ab.
Die Anführerin nickte eifrig. „Mehr als großzügig. Gelobt seien Sie und Ihre
Nachkommen. Mögen sie alle die Weisheit ihrer Mutter erben!“ Sie verbeugte
sich und nach zwei kurzen Gesten an die anderen überreichte man Jane Kindos
Kette.
„Soll ich nicht lieber jemandem zum Schutz mitgeben?“, fragte die Anführerin
dennoch nach.
„Nein, nicht nötig“, winkte Jane ab. Ihre Hand umklammerte die Eisenkette.
„Ich werde schon zurecht kommen.“
„Meinetwegen“, meinte die Anführerin und stupste Kindo mit ihren Speer in
die Seite. „Wehe, ich höre, du hast der Lady was getan, dann kannst du
deiner dreckigen Haut nirgends mehr sicher sein“
Der kleine Zug setzte sich wieder in Bewegung und ließ Kindo mit Jane
alleine.
Er zitterte leicht. Das, was die Fremde jetzt mit ihm vorhatte, machte ihm
Angst.
Sobald die Soldaten außer Sichtweite waren, stieg Jane von ihrem Reittier
ab und begann, ihm seine Fesseln abzunehmen.
Kindo sah sie verwundert an. „Was soll das?“
„Ich lasse dich frei“, verkündete Jane, nicht ohne sich dabei ungeheuer
großzügig vorzukommen. Dass er seine skeptische Haltung beibehielt, begann
sie jedoch zu ärgern. In ihren Augen hätte er dankbar für ihre
Warmherzigkeit sein sollen und fast spielte sie mit dem Gedanken, ihr nobles
Angebot zurückzunehmen.
Aber Jane hatte sich in Gedenken an ihre Mutter geschworen, als zukünftige
Königin zu ihren Versprechen zu stehen.
„Was ist mit dir? Du kannst zu deiner Familie zurückkehren, freut dich das
nicht?“
„Woher soll ich wissen, was mit ihnen geschehen ist?“, gab Kindo zurück und
Jane begriff das Problem. Ohne den Schutz seiner Familie würde er recht
schnell kaum eine andere Wahl haben, als sich der Nächstbesten anzubieten,
denn keine anständige Frau würde ihn ohne die Vermittlung seiner Verwandten
heiraten wollen.
Jane gab ein kleines Stöhnen von sich. „Männer“, murmelte sie. „Ohne uns
seit ihr wirklich nicht überlebensfähig!“
Kindo schwieg dazu und dachte sich seinen Teil. Er selber war sich da nicht
so sicher. Aber in Gegenwart einer so hohen Dame war es wohl besser zu
schweigen. Er verstand noch immer nicht, was sie dazu veranlasst hatte, ihn
frei zu lassen. Kindo witterte einen Plan dahinter, der ihm noch verborgen
blieb.
„Na gut, ich bringe dich zu deinem Zuhause“, schlug Jane vor – für ihren
Stand eigentlich ein unerhörtes Angebot.
„Was wenn…?“, versuchte Kindo zu fragen, aber der Gedanke an die
Möglichkeiten schnürte ihm die Kehle zu.
„Dann werde ich dich irgendwo hinbringen, wo du gut aufgehoben bist“,
versprach Jane. Sie wusste von einigen Klöstern, die sich um verwaiste
Männer kümmerten - eine Tätigkeit, die nicht in allen Augen gern gesehen
war.
Kindo begnügte sich mit dieser Aussage und Jane löste seine Fesseln. Danach
brachen sie zu seinem Dorf auf. Da sie den Weg nicht kannte, ging er voraus.
Jane verfolgte gespannt jede seiner Bewegungen. Seine ganze Art zu gehen
erinnerte sie sehr an ihren Vater Tanis.
Sie folgte ihm mit Gelka, ihrem treuem Hasmu. Ein Hasmu war eine Art kleines
Rind, allerdings viel kräftiger und ausdauernder, als man es den behäbigen
Tieren zutrauen würde. Auch waren sie schneller als viele andere Reiter
vermuten mochten. Ihr Vater hatte ihr das Tier zu ihrer Geburt geschenkt.
Da Hasmu relativ lange lebten, war sich Jane sicher, noch viele Jahre mit
ihm verbringen zu dürfen.
Kindo legte einen guten Schritt vor, so dass sie recht zügig ins Dorf
gelangten. Als Jane die kleine Hütte aus der Ferne sah, ahnte sie zum ersten
Mal, was sie sich aufhalst hatte. Der junge Mann fiel in einen raschen
Laufschritt. Noch immer hatte er nicht begriffen, was hier geschehen war.
Er öffnete die halb aus den Angeln gehobene Tür und suchte in den wenigen
Räumen nach seinen Geschwistern und seiner Ziehmutter. Aber es gab nichts
außer zerbrochen Tonkrügen und geplünderten Kisten. Kein einziges Stück der
Einrichtung stand noch auf seinem Platz. Automatisch hob Kindo die Scherben
auf, um sie draußen wegzuwerfen, aber selbst auf dem kleinen Hof, wo sie
ihr Gemüse angelegt hatten, war alles verwüstet worden.
In seiner Verzweiflung bemerkte er nicht, dass Jane die kleine Hütte
ebenfalls betreten hatte.
Mit wenigen Blicken hatte sie die Lage längst erfasst. Kindo war
mittlerweile dabei, die oberen Etagen zu durchsuchen.
Erst nach weiterem sinnlosem Stöbern sickerte in Kindo endlich die
Gewissheit durch, dass sein gewohntes Leben ein jähes Ende gefunden hatte.
Als Jane ihm nach oben folgte, fand sie ihn, wie er sein Gesicht fest an
eine kleine Tasche presste. Ohne sich im Klaren zu sein, warum sie das tat,
legte sie ihm ihre rechte Hand als Trost auf die viel zu breite Schulter.
Erst nach einer Weile schaffte es Kindo, mit ihr zusammen sein Zuhause und
sein vertrautes Dorf zu verlassen. Er fühlte sich verloren und wusste nicht,
was seine Zukunft für ihn bereithielt. Noch verstand er nicht, dass er am
heutigen Tag eine einmalige Chance wie nur wenige vor ihm erhalten hatte,
und dass diese seinen weitern Lebensweg bestimmen würde.
Aber so erging es nicht nur ihm. Auch Jane ahnte noch nicht, wie weit ihre
zufällige Begegnung ihre Zukunft beeinflussen würde.
copyright © by
Jo28. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.