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Dienstag

von Caireen


Dienstag

Als sich endlich die Dunkelheit über die Stadt legte, erhob die kleine Dame sichaus ihren Kissen. Sie nahm ein Bad, so heiß, dass ihre Haut brannte.
Sie machte sie bereit für die Nacht. Sorgfältig reinigte sie sich, verrieb Seifeauf ihrem Körper, rieb mit beiden Händen darüber, rubbelte alle abgestorbeneHaut ab, wischte und kratzte an sich herum. Ihre Haut trocknete, als sie dieerste Zigarette des Abends rauchte und aus dem Fenster sah. Ihr schwarzes Kleidlag schon seit dem vorigen Abend bereit. Die kleine Dame trug es nicht sehrgerne, aber sie wusste, dass es ihrer weißen Haut schmeichelte. Sie schminkteihre Lippen rot und verließ das Haus.
Der Fahrer des schwarzen Wagens, der ungeduldig auf sie wartete und sie mitgrimmiger Miene kopfschüttelnd ansah, brachte sie bis zur Tür eines Restaurantsund nur der gebieterische Blick, den sie ihm entgegenhielt, hinderte ihn daran,ihr zu folgen. Er sah sie unangenehm berührt lächelnd an und trat einen Schrittzurück. Die kleine Dame zog eine Grimasse, als sie sich umdrehte, um denAusdruck des Ekels aus ihrem Gesicht wegzubekommen.

Als sie in das Restaurant trat, entging es ihrer Aufmerksamkeit nicht, dass derKellner bereits hinter der Tür auf sie gewartet hatte. Er schlug beschämt dieAugen nieder und nahm ihr den Mantel ab. Er begleitete sie zu ihrem Tisch, indemer ihren Arm ergriff. Er führte sie in den hinteren Teil des Restaurants. Einroter Vorhang wurde geöffnet. Der mit schwachem Licht ausgeleuchtete Raum botmehrere kleine runde Tische aus mahagonifarbenem Holz, von einigen Kerzen undindirektem Licht erhellt. Auf einer kleinen Bühne spielte ein Pianist. Siesetzte sich an den ihr zugewiesenen Tisch mit dem Rücken zu den anderenMenschen, den Blick auf die Wand gerichtet, wo Dürers Eva in einem schlichtenRahmen nach ihrem Verderben griff.
Der Herr, mit dem sie verabredet war, kam zum Glück sehr spät. Sie vertrieb sichdie Wartezeit damit, alle Muskeln in ihren Armen so stark anzuspannen, dass siebrannten. Immer wieder drückte sie mit den Fäusten von unten gegen dieTischplatte und wunderte sich, dass der Tisch nicht davon umstürzte. IhreFingernägel gruben sich in ihre Handballen und sie betrachtete fasziniert diesichelförmigen roten Ränder auf der weißen Haut. Sie sehen aus wie kleineWürmer, dachte die kleine Dame. Sie bemerkte, dass der Kellner hinter ihr standund verbarg ihre Hände schnell wieder unter dem Tisch.
Schließlich hastete der Herr, der den gemeinsamen Abenden schon einen festenPlatz in seinem gewohnten Wochenablauf eingeräumt hatte, durch die Tür undsetzte sich ihr gegenüber, nicht ohne sie zuvor geräuschvoll und feucht nahe derMundwinkel auf beide Wangen zu küssen. Es fiel ihr leicht, seinen Fragen zuantworten und sich nach einigen trivialen Details seines belanglosen Berichts zuerkundigen, um das Geplauder in Gang zu halten. Er dankte es ihr mit einem nichtversiegenden Fluss unüberlegt dahingeworfener Sätze, Worte und Laute. Mitunterunterbrach er seine Ausführungen und lachte leise und verschämt. Nachdem der Kellner dem Herrn, der ungeduldig auf seinem Stuhl hin- undherrutschte, mit leiser Stimme und ein wenig unkonzentriert die Karte vorgelesenhatte, entschied sich die kleine Dame für Kaninchen aux fines herbes. Der Herr,der sich in ein braunes Stofftaschentuch schnäuzte, wenn ihn seine Nasenhaarekitzelten, bestellte es für sie. Er sprach es falsch aus. Der Kellner verdrehteseine Augen, als er sich wieder umwandte. Vor und nach dem Trinken nahm derHerr, der sich in der Gesellschaft der kleinen Dame redegewandt fühlte, diePapierserviette von seinem Schoß auf und wischte sich damit über den Mund. Bevorer weiteraß, befeuchtete er seine Lippen mit nasser Zungenspitze. Oft sah ersich um.

Der Kellner ließ ein Weinglas fallen. Es zersprang und eine Scherbe zerschnitteiner Alten die Hand. Das Blut war nicht sehr rot. Die kleine Dame wusste, dassBlut rot sein muss. Der Kellner eilte um die Alte herum und rief nach einemArzt. Er hielt eine saubere Serviette auf ihre Wunde gedrückt und entschuldigtesich für sein Tun. Die Alte schimpfte wütend auf ihn ein. Der Arzt verband ihreWunde. Der Kellner brachte der Alten ein Glas Wasser und bat sie mit blumigenWorten um Verzeihung. Die Alte warf mit ihrem Besteck nach dem Kellner undverließ das Restaurant.
Menschen in Restaurants sind nicht leicht zufrieden zu stellen dachte die kleineDame. Sie seufzte leise und nutzte diesen Laut im letzten Moment, um ihn in eineExpression des gespannten Zuhörens umzudeuten, als sie bemerkte, dass der Blickdes Herrn, der ihr gerade etwas erzählt hatte, in ihrem Gesicht herumflatterte.
Als der Kellner ihre Speisen an den Tisch brachte, sah die kleine Dame hinterseine dynamischen Bewegungen und erschrak vor der Wut, die sie entdeckte. Erhatte keine Wahl. Sie bedankte sich, als er den Teller vor ihr abstellte und sahihm in die Augen. Sein Blick blieb irritiert an ihr hängen und erstaunterwiderte er zögernd und dankbar ihr warmes, herzliches Lächeln.

Die kleine Dame und der Herr tanzten eine Weile;

die Musik war nicht laut genug, sie mussten sich weiterhin unterhalten. DerHerr, in dessen Wohnzimmer eine sehr teure Musikanlage stand, erklärte ihr seineVorliebe für Musikveranstaltungen und Pferderennen. Sie lächelte höflich undblickte dabei auf seine Lippen. Sie bewegten sich asymmetrisch. Die kleine Damenahm es mit Verwunderung wahr und lachte leise, als sie die Worte auf seinenschiefen Lippen ausrutschen und auf seine Krawatte tropfen sah. Der Herr, demihr Lachen gefiel, nutzte die Intimität des Tanzes, um den Rücken der kleinenDame zu befühlen. Er hielt auch ihr langes Haar hoch, betrachtete ihr Gesicht,ihren Mund und flüsterte ihr Komplimente zu, die sie unpassend und stillos fand.Sie war froh, als sie sich wieder setzen konnte. Seine Berührung hatte ihr einflaues Gefühl im Magen versetzt.
Endlich waren die Teller und Gläser geleert. Der Herr, der nicht stillsitzenkonnte, beendete jäh das Gespräch und stand auf. Er führte sie aus demRestaurant in seinen Wagen und fuhr mit ihr davon –

Der Kellner ging nach Hause. Auf seiner Wange war noch immer der Kratzer zusehen, den das Messer der Alten auf seiner Haut hinterlassen hatte. Er rauchteeine Zigarette und trat wütend eine Getränkedose vor sich durch die leereStraße. Wenn er könnte, würde er solche Gäste aus dem Restaurant werfen.

Er bog in eine Seitenstraße und blieb an der Straßenecke stehen. Die kleine Damestieg gerade aus dem Wagen des Herrn, der ihr beim Aussteigen auf den Hinternsah und dann schnell wegfuhr. Die kalte Luft fuhr ihr unters Kleid und siestellte sich nah an die Wand, um dem drängenden Wind zu entgehen. Sie blickte zuBoden, wenn die Männer an ihr vorbeigingen. Wenn ich sie nicht sehe, dann sehensie mich auch nicht, dachte die kleine Dame. Sie wandte sich ab, reagiertezurückhaltend, wenn sie angesprochen wurde. Der Kellner sah sich um: Jede hatteihre eigene Strategie. Er sah, dass die kleine Dame keine Wahl hatte. DerKellner warf ihr den Blick zu. Sie schlug die Augen nieder. Er öffnete die Türeines wartenden Taxis und stieg mit ihr ein.



copyright © by Caireen. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


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Der Stil gefällt mir sehr...
Asmodi - 19.05.2006 08:21

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