von Bina80
Die Dunkelheit liegt schwer über der Stadt. Es ist schon fast Mitternacht, die Straße ist leer. Ich sitze in meinem Auto und weiß nun nicht mehr weiter. Immerhin bin ich schon hierher gefahren. Zum wiederholten Mal beuge ich mich ein wenig nach vorn, um ihr Fenster zu sehen, hinter dem ein schwaches Licht auszumachen ist. Sie ist also noch wach. Was mache ich hier?
Das Lenkrad fühlt sich kalt an auf meiner Stirn. Meine Augen sind geschlossen. Ich könnte einfach wieder losfahren… Als ich mich wieder aufsetze, immer noch unschlüssig, ob ich nun aussteige oder nicht, sehe ich sie. Sie kommt gerade aus dem Haus. Mein Herz schlägt schneller. Sie trägt eine Jeans und ein T-Shirt und als sie herüber sieht und dann auch noch direkt auf mich zu läuft, wird mir klar, dass sie mich von oben gesehen haben muss. Im nächsten Moment öffnet sie die Fahrertür. Wieder weiß ich nicht, was ich tun soll. Mit einem Mal ist sie direkt vor mir, zieht den Zündschlüssel heraus und löst meinen Gurt. So nah vor mir nehme ich nur noch ihren Duft wahr, eine aufregende Mischung aus Parfum und ihr. Doch dann nimmt sie meine Hand. Ich steige aus dem Auto, sie schließt es ab und dann gehen wir über die Straße. Alles, woran ich denken kann, ist, wie gut ihre Hand in meine passt. Und sie lässt sie auch nicht los, als sie die Haustür aufschließt, wir die Treppe hinauf gehen und sie dann ihre Wohnungstür öffnet. Jetzt lässt sie los und lehnt sich an die Tür, nachdem sie sie geschlossen hat. Ich gehe ein paar Schritte weiter hinein und werfe einen Blick ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch eine Flasche Wasser, auf dem Sofa eine Decke und ein Buch. In der Küche ist es dunkel, aber es duftet noch köstlich. Ich drehe mich um. Wartend steht sie immer noch an der Tür. Wartend auf eine Erklärung.
„Ich nehme an du musstest noch in die Klinik zu einem Notfall. Das wäre dann eine gute Entschuldigung für fast vier Stunden Verspätung.“
„Es gab keinen Notfall,“ antworte ich leise. Ohne sie ansehen zu können, rede ich weiter. Wenn ich das jetzt nicht sage, dann nie. „Ich war zu Hause. Und ich habe mir den ganzen Abend versucht einzureden, dass, wenn ich nicht herkomme, ich mich auch nicht weiter in dir verlieren kann.“
Sie sagt nichts. Sie kommt nun auf mich zu, bis sie nah vor mir steht. Ich kann sie nicht ansehen, also sehe ich auf den Boden. Ihre Füße vor meinen. Wieder dieser Duft. Ihre Finger berühren meine. Ich sehe auf unsere Hände. Ihre andere Hand legt sie unter mein Kinn und bringt mich so dazu, sie anzusehen. Mein Herz schlägt wie wild, mein Blick wandert von ihren grünen Augen zu ihren schön geschwungenen Lippen, die ich spöttisch sagen höre: „Du machst die Sachen gerne komplizierter, als sie sind, oder?“
„Ist so eine Marotte von mir,“ erwidere ich. Nun müssen wir beide lächeln. Als sie dann eine Hand auf meine Wange und die andere auf meine Schulter legt, kann ich kaum noch atmen. Ich befürchte, sie küsst mich jetzt. Ich hoffe, sie küsst mich jetzt. Doch sie sagt: „Es muss nichts passieren. Nicht, wenn du nicht willst.“
Und in diesem Moment ist mir klar, dass es ihre Geduld mit mir war, in die ich mich als erstes verliebt habe. Und dann in alles andere an ihr. Ihre Offenheit, ihre Schönheit, die Art, wie sie ihren Kaffee trinkt oder den Kopf in den Nacken wirft, wenn sie herzhaft lacht.
Meine Hände wandern nun wie von selbst um ihre Taille und ich sage: „Aber ich will ja, dass was passiert.“
Und jetzt küsst sie mich wirklich. Ein Kuss, wie er gar nicht mit Worten zu beschreiben ist.
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Bina80. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.