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Leuchtende Menschen (1)

von EimoH


Es gibt Menschen, die in ihrer Wut über Ungerechtigkeit alles zu geben bereit sind. Es sind Menschen, die, nachdem sie von einem Unrecht erfahren haben, keinen Weg zurück zu dem Davor, dem Nicht-Wissen und Nicht-Zur-Kenntnisnahme kennen und für die sich alles verändert hat. Sie können ihren Weg nicht weiterverfolgen, er wurde in dem Moment ganz einfach umgelenkt in eine Bahn, wo sie kämpfen werden, nicht unbedingt komme was wolle, aber sie werden in dem Kampf geben, was sie geben können und die Grenzen sind hoffentlich gesunde, aber nicht bequeme. Diese Menschen können die Welt verändern. Und auf solch einen Menschen hatte Luzi gerade ihren Blick gerichtet. Ihr Blick lag auf Lola, die in ein Mikrophon sprach und dabei neben einem Transporter stand, der die Demonstration leitete, doch nun gerade gehalten hatte und Lolas Stimme durch große Boxen durch die Straßen schallte. Luzi hatte sie schon öfter auf Demonstrationen gesehen und nicht selten schien sie zur Organisations-Gruppe zu gehören. Lolas Worte handelten von ungerechter Gewalt von Menschen in Uniformen, von Rassismus, Sexismus und Homophobie und es waren kämpferische Worte, aber Luzi hörte sie nicht. Sie sah Lola an und fragte sich, wie viel Menschen, die so viel geben, wohl von anderen Menschen nehmen. Sie hatte es sich bestimmt nicht eingebildet, dass ein paar Straßen und Minuten zuvor Lola an ihr vorbeigegangen war, sich dann zu ihr umgedreht und ihr so verdammt frech zugezwinkert hatte. Lola hatte mit ihr geflirtet, da war Luzi sich sicher. Und obwohl sich Luzi fragen wollte, ob es ihr gefiel von Lola so angeschaut zu werden, fragte sie sich stattdessen seit ein paar Minuten immer wieder, was an ihr es sein konnte, das Lola reizte. Sie war kein Punk, keine Antifa-Muskelfrau, kaum als Zecke zu erkennen. Sie hatte bequeme Grenzen, für die sie sich schämte, zumindest bequemer als für sich behaupten zu können, genug zu geben. Aber davon hatte sie auch schon gehört, dass das ein generelles Problem war. Viele Leute, die die Welt verändern wollen, weil sie nicht ok finden, was in ihr passiert und getan wird, haben das Gefühl, nicht genug zu geben, denn wann ist schon der Moment, dass man entspannt behaupten kann, es reicht, denn meistens reicht es nicht, auch wenn manche alles geben. Lolas Redebeitrag war vorbei und es wurde geklatscht. Ihre Wangen waren leicht gerötet von der Aufregung und sie faltete schnell den Zettel zusammen, von dem sie abgelesen hatte, um offensichtlich so rasch wie möglich wieder in der Masse zu verschwinden. Luzi bemerkte, dass sie sich wünschte, nochmal so einen Blick wie vorhin von Lola zugeworfen zu bekommen, doch Lola beachtete sie nicht. Sie war abgelenkt von dem Kampf, den sie hier alle gemeinsam kämpften. Der Transporter setzte sich langsam wieder in Bewegung und laute Musik erklang. Inaya neben ihr begann mit ihrer lauten tiefen Stimme miteinzustimmen in den Sprechgesang der Parolen und Luzi spürte, wie Inayas Wut sie selbst zu dem Geschehen um sie herum zurückholte. Die Polizist*innen, die die Demo begleiteten, liefen mit ausdrucklosen Gesichtern neben ihnen her. Ob sie wohl zuhörten und ob es sie berührte, was über sie gesagt wurde? Die Redebeiträge bisher hatten unschöne Geschichten von Polizeigewalt und rechten Strukturen in der Polizei berichtet. Das ist das Seltsame an der Uniform. Sie sorgt einerseits dafür, dass ein einzelner Mensch in einer Staatsfunktion in ein Ganzes eintaucht, aber andererseits sind sie alle gemeint, wenn ein Finger auf die Uniform zeigt und Kritik an die Polizei gerichtet wird. Ob die nebenher laufenden Polizist*innen die Kritik verstanden und ernstnahmen? Luzi beobachtete sie noch eine Weile, ehe sie den Blick wieder über die große Menge der Demonstration schweifen ließ. Es waren viele hier, das war gut, und unterschiedlichste Gruppen vertreten. Luzi ließ sich zu ein paar Kampfesrufen verleiten und spürte das lebendige Feuer der Menschenmenge. Nach einer Stunde und vier weiteren Redebeiträgen wurde die Demonstration aufgelöst und sie stand zusammen mit ein paar Freund*innen an einer Straßenecke. Sie überlegten gerade, ob und was sie noch gemeinsam unternehmen konnten, als plötzlich Lola neben Luzi stand. „Hey.“ Lola lächelte sie wieder so herausfordernd an und Luzi fühlt Wärme in ihren Wangen. „Hey.“, antwortete sie. Lola zog einen kleinen gefalteten Zettel aus der Tasche und streckte ihn in vorsichtiger Geste Luzi entgegen. „Du bist mir aufgefallen.“ Nun ein wenig unsicherer senkte Lola den Blick. „Mir gefällt der Aufnäher auf deiner Jacke. Hier ist meine Nummer, also meld‘ dich doch, wenn du mal Lust hast, was mit mir trinken zu gehen.“ Sie sah auf und ihr Blick war wieder selbstbewusst. Luzi nahm den Zettel entgegen und konnte nur ein „Danke.“ erwidern, da war Lola schon gegangen. Luzi musste schlucken. Sie drehte sich zu ihren Freund*innen um und allesamt feixten. Nach einem kurzen Moment der Stille begann sofort das Geschnatter. „Wer war das?“ „Das war doch die von dem Redebeitrag vorhin, oder?“ „Das ist Lola, ich kenn‘ sie aus verschiedenen Projekten.“ „Und ist sie nicht in dieser einen Band?“ „Ja stimmt! ‚Die Queerkillers‘, die haben wir doch mal im SC gesehen. Die sind cool!“ „‚Queerkillers‘? Den Namen kann man aber auch falsch verstehen!“ Sie brachen in Gelächter aus und Luzi war froh, wieder ein bisschen ihrer Anspannung zu verlieren. Diese ganzen Infos würde sie erstmal verarbeiten müssen, Lola klang taff. Und Lola mochte ihren Liebig34 Aufnäher, der provokant behauptete: „Masturbation will never break your heart, but it could break your hand.“ Sie entschieden sich, erstmal etwas essen zu gehen und später an den See zu fahren. Das Wetter war gut, vielleicht schon warm genug, um baden zu gehen. Die Spannung der Demonstration saß ihnen noch in den Knochen und die Anstrengung, die Demos kosten konnten, war nicht zu unterschätzen.



copyright © by EimoH. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Wunderbarer Schreibstil - Interessant und mal anders!!!
Ich finde es überraschend und schade, dass keine Flut an Kommentaren unter diesem Kapitel stehen. Das liegt jedenfalls nicht am Inhalt, am Stil - am Können der Autorin. Du schreibst wirklich hervorragend. Lesarion scheint oftmals wenige Leser:innen zu haben. Sehr schade. Aber ich bin froh die Geschichte gefunden zu haben und lese voller Neugierde und Begeisterung weiter.
CosimaRakas - 16.04.2021 15:53

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