von EimoH
Es war soweit, der Abend war gekommen, an dem sie losziehen und die Werbung umgestalten wollten. Sie hatten sich die richtig großen Plakatwände an unterschiedlichen größeren Straßen der Stadt ausgesucht, wofür sie sich später in kleinere Grüppchen aufteilen würden müssen. Nun saßen sie alle in der WG-Küche von Alina, die auch in der Aktionsgruppe war, und bemalten große Plakate mit ihren Sprüchen. Die Werbekampagne betonte, was Polizist*innen alles tun für dich, liebe*r Bürger*in, wobei es vor allem um Hilfe- und Unterstützungstaten der Polizist*innen ging. Das Ziel schien die Anwerbung neuer Auszubildender für den Polizeidienst zu sein. Ein Demonstrationspolizist mit Schlagstock oder prügelnde Polizist*innen bei einer Abschiebung würden natürlich nicht gut ankommen auf diesen Plakaten und derartiges wurde dementsprechend nicht gezeigt. Deshalb handelten ihre Spruchplakate und Sprechblasen, die sie malten, davon, was ausgespart wurde, gab Hinweise auf die immer häufiger aufgedeckten rechtsextremen Gruppenbildungen in der Polizei, Racial Profiling und gleichgebliebene Strukturen noch aus NS-Zeiten. Sie schrieben auch Links dazu, damit Leute, die ihre Plakate sahen, sich weiter informieren konnten. Es dauerte erstaunlich lange, die ganzen Plakate zu malen und sie saßen nun schon ein paar Stunden daran, tranken Tee, Kaffee und Limo und aßen Kuchen, den Marcus gebacken und ihnen mitgegeben hatte. Die Stimmung war entspannt und sie unterhielten sich gerade über Menstruationsbeschwerden und was man dagegen tun konnte, denn Inaya hatte ihre Tage bekommen und saß mit Wärmflasche neben ihnen und litt sichtlich unter ihren Krämpfen. Lola schwor auf ein pflanzliches Mittel, das sie von ihrer Ärztin bekommen hatte, Lydia meinte, dass bei ihr vor allem Bewegung helfe und Luzi erzählte, dass ihre Methode war, haufenweise Schmerzmittel zu nehmen und im Bett zu bleiben. Nukas berichtete, dass sie meistens kaum Schmerzen hatte, aber emotional wie durchgequirlt war bereits Tage vor ihrer Periode. Dabei warfen sie alle immer wieder mitfühlende Blicke zu Inaya und beteuerten, dass es total in Ordnung war, wenn sie später nicht mitkomme. Inaya hatte entschieden, dass es sinnlos war, sich zu quälen, und dumm noch dazu. Zwischen Lola und Luzi war es mittlerweile überhaupt nicht mehr angespannt und sie redeten miteinander wie mit allen anderen auch. Luzi merkte, dass sie schon die ganze Zeit von Inaya beobachtet wurde und wurde dabei das Gefühl nicht los, dass diese etwas wusste, das Luzi bisher entgangen war. Sie sah ihre Freundin fragend an und diese zwinkerte ihr wissend zu, was ihr auch nicht weiterhalf. Schließlich war es soweit, dass sie zusammenpackten und sich in Zweier- und Dreier-Gruppen aufteilten. Lydia schloss sich Luzi und Nukas an. Die drei verteilten die Aufgaben untereinander und Luzi nahm den Rucksack mit den Plakaten. Dann brachen sie alle auf. Draußen war es bereits dunkel und überraschend kühl. Zum Glück hatte Luzi einen dicken Pullover und eine Mütze an, in denen sie sich zwar wie ein Klischee einer Verbrecherin fühlte, die sie aber zumindest gut wärmten. Nun war die Stimmung angespannt und sie gingen zu Fuß zu den Werbetafeln im südlichen Zentrum der Stadt, was einige Zeit dauern würde. Sie hatten vor, eine Straftat zu begehen, es war nichts allzu schwerwiegendes, aber Sachbeschädigung würde ihnen schon eine saftige Geldstrafe einbringen, sollten sie erwischt werden. Die anderen Grüppchen hatten sie schnell aus den Augen verloren. Luzi spürte in sich hinein und stellte fest, dass etwas in ihr zerbrach und einer Erkenntnis den Weg in ihr Bewusstsein freimachte. Sie war im Begriff, ihr Bild von sich selbst zu verändern, eine Annahme über sich selbst aufzugeben und eine andere zu fassen. Sie hatte bisher immer angenommen, dass sie sich erklären konnte, dass ihre Motive keine schlimmen waren, dass sie nichts Falsches tat. Ihre Annahme hatte bedeutet, dass man sie verstehen würde und dass Probleme sich als Missverständnisse herausstellen würden. Es war ihr peinlich, aber sie erkannte, dass sie sich bisher nicht als Teil vom Kampf gefühlt hatte, ihre Rebellion war bisher immer im Einklang mit staatlichen Strukturen gewesen. Doch dann hatte sie die Probleme erkannt, die in eben jenen Strukturen selbst steckten. Und nun war sie hier, ganz bewusst und bestimmt, und handelte vorsätzlich gegen diese Strukturen, die sie so gründlich satt hatte. Wenn die Polizist*innen kamen, würde sie nicht mehr von sich behaupten können, dass es sich um ein Missverständnis handelte. Polizist*innen würden wütend sein und die Wut richtete sich eindeutig auf sie. Sie störte nicht nur mit dem, was sie gerade tat, sondern auch mit dem, was sie gerade war und zwar eine Kritikerin eines ungerechten Systems. Daran gab es nichts mehr zu leugnen. Vielleicht würde diese Tatsache es ihr irgendwann einmal leichter machen, zu schweigen, die Aussage zu verweigern. Sie wollte zu den anderen zweien schauen und ihr Blick fiel auf das Augenpaar direkt neben ihr, das auf sie gerichtet war. Lydia starrte sie an. Einen kurzen irrationalen Moment lang fühlte sich Luzi von der Beobachtung geschmeichelt und etwas in ihrem Bauch kribbelte so intensiv, wie das Kribbeln im Bauch in dem Moment, wenn ein Körper realisiert, dass er fällt. Für diesen kurzen Moment war Luzi überrascht von Lydias Blick und vor allem was er für sie selbst bedeutet hatte, ehe sie im nächsten Moment realisierte, dass Lydias Blick etwas ganz anderes bedeutete. Lydia musterte sie, weil sie offensichtlich annahm, dass Luzi das schwächste Glied in der Kette war und sie abschätzen musste, ob sie eine Gefahr für die Aktion und die Gruppe darstellte. Der Blick prüfte sie und Luzi musste sich eingestehen, dass sie selbst nicht sicher war, wie mutig sie die nächsten Stunden sein würde. Als sie spürte, dass Lydia ihren Blick wieder abgewandt hatte, sah sie zu ihr hinüber und musterte sie. Lydias Blick war konzentriert nach vorn gerichtet, ihre Gesichtszüge, die bei ihrem Lachen so weich und freundlich wurden, waren angespannt und sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr Mund war besonders schön, dachte Luzi plötzlich, klein und geschwungen. „Wir sollten uns überlegen, was unser Plan ist, sollten wir von irgendwelchen Leuten angesprochen oder von der Polizei entdeckt werden.“, sagte Lydia plötzlich und sah ihr direkt in die Augen. Luzi fühlte sich peinlich ertappt und sah weg. „Gespräche sollten wir abblocken. Vielleicht kannst du das übernehmen, Lydia, während Luzi und ich kleistern.“, sagte Nukas sachlich. Lydia stimmte zu. „Und sollten wir tatsächlich von der Polizei entdeckt werden, sollten wir in unterschiedliche Richtungen rennen, damit vielleicht wenigstens nicht alle von uns erwischt werden.“ Sie stimmten zu und schwiegen den Rest des Weges und Luzi versuchte sich darauf zu konzentrieren, was sie im Begriff zu tun war. Endlich erreichten sie die Werbetafeln und Luzi kam sich vor wie auf dem Präsentierteller, denn der Platz wurde von mehreren Laternen beleuchtet und war von hohen Häusern umgeben, deren Fenster aber zum Glück fast alle dunkel waren. „Los, bringen wir es hinter uns.“, zischte Nukas und kramte Kleister und Pinsel hervor. Luzi beeilte sich ihr die richtigen Plakate zu reichen und sie machten sich an die Arbeit, während Lydia dicht bei ihnen stand und die Umgebung im Auge behielt. „Alles ruhig.“, sagte sie von Zeit zu Zeit, wie um sie zu beruhigen und Nukas und Luzi entwickelten in ihrer Tätigkeit eine gewisse Routine, die Luzi beruhigte. Langsam zitterten ihre Hände nicht mehr so stark, aber ihr Herz klopfte noch wie verrückt. Sie versuchte sich nur darauf zu konzentrieren, Nukas beim Kleben zu helfen und nicht panisch darüber nachzudenken, was alles passieren konnte. Auch hier brauchten sie länger, als Luzi erwartete hatte, aber sie arbeiteten sich Stück für Stück voran. Luzi war unheimlich froh, mit Nukas und Lydia in einer Gruppe zu sein, denn die beiden wirkten erfahren und ruhig und Nukas witzelte sogar ein bisschen herum, als Poster nicht richtig halten wollten. Es fuhren immer wieder Autos vorbei, schienen sie aber einfach zu ignorieren. Zu Fuß kam niemand vorbei und Luzi war froh darüber, denn sie war ohnehin schon total nervös. Sie hatten es fast geschafft. Gerade, als Luzi das letzte Plakat aus dem Rucksack holte und an die richtige Stelle hielt, damit Nukas es einkleistern konnte, hörte sie Lydia hinter sich fluchen. „Bullen.“, sagte sie laut und: „Rennt!“
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EimoH. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.