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Leuchtende Menschen (15)

von EimoH


Luzi stieg aus dem Bus, nahm ihre Kopfhörer ab und sah sich um. Der Platz war belebt und der Herbst hatte begonnen, die Blätter der Bäume bunt zu färben. In der Luft lag der Geruch von Brot und Kuchen von einer Bäckerei an der Ecke und Abgasen der großen Straße. Luzi mochte Großstadtgerüche sowie ihre Geräusche und spürte, wie die lebendige Energie des Platzes sie ansteckte. Plötzlich legte ihr jemand von der Seite eine Hand auf die Schulter. Sie fuhr herum und erblickte Lydia, die sie freudig anlächelte. „Hey!“ „Hey! Puh, du hast mich erschreckt.“ „Oh tut mir leid, ich dachte, du hättest mich schon gesehen.“ Sie umarmten sich zur Begrüßung. „Also, was tun wir hier?“, fragte Lydia aufgeregt. Luzi grinste sie an. Sie war nervös. Sie hatte nicht häufig Dates und das hier zu planen war ihr nicht leicht gefallen. Sie wollte nichts übertrieben Romantisches mit Lydia machen, um sie nicht total zu verschrecken, aber gleichzeitig sollte es ihr doch zeigen, dass sie sie wirklich mochte und sich Mühe geben wollte, nachdem sie es schon einmal fast versaut hatte. Sie hatte sich viel beraten mit Inaya und Marie, wobei Marie definitiv hilfreicher gewesen war als Inaya, die jede Gelegenheit nutzte, um sie zu stänkern. Luzi und Marie hatten viele Ideen gehabt, aber wenig für passend befunden. Schließlich hatte Luzi sich entschieden, mit Lydia in eine Ausstellung zu gehen und den Rest des Tages offen zu lassen. Es war Samstag am frühen Nachmittag, die Straßen belebt, die Stimmung entspannt. Eine Woche war vergangen nach der Situation bei der Karaoke und es hatte sich ewig lang und nur ganz kurz zugleich angefühlt. Ewig lang hatte es sich angefühlt, weil sie es kaum hatte erwarten können, Lydia endlich wiederzusehen. Und ganz kurz fühlte es sich an, weil die Zeit dann doch so schnell vergangen war, weil Lydia und Luzi am Sonntag angefangen hatten miteinander Nachrichten schreiben, in denen sie sich über Dinge austauschten, die sie spannend oder schön fanden, in denen sie sich lustige Memes oder Podcast-Empfehlungen schickten und nicht zuletzt in denen sie miteinander geflirtet hatten. „Ich habe mir überlegt, mit dir in eine Ausstellung zu gehen, in die ich unbedingt gehen wollte. Ich hoffe, du hast sie noch nicht besucht.“ Luzi lachte nervös. „In der Galerie hier um die Ecke ist gerade eine Ausstellung über viele unterschiedliche internationale feministische Künstlerinnen.“ Lydia lächelte erfreut. „Das klingt toll und hab ich noch nicht gesehen. Cool!“ Luzi lächelte froh. „Ja cool!“ Luzi gab die Richtung vor und sie gingen los.
Die Ausstellung war in einer Galerie, die unscheinbar versteckt gelegen war, sich aber über mehrere Etagen erstreckte. Sie war gut besucht. Sie entschieden sich, der Empfehlung des Rezeptionisten nicht zu folgen und nahmen keinen Audioguide, sondern wollten die Ausstellung für sich allein entdecken. Sie begannen langsam in den Strom der Ausstellungsbesucher*innen einzutauchen. Lydia schlenderte voran und Luzi folgte ihr mit klopfendem Herzen. Lydia ging aufrecht, betrachtete die Bilder konzentriert, las die beistehenden Texte und wirkte souverän und voller Ruhe. Luzi dagegen fühlte sich unruhig, rempelte zweimal hinter ihr stehende Menschen an und ärgerte sich über ihre Tollpatschigkeit. Erst als sie sich kurz Zeit nahm, sich zu orientieren, und sich an die Seite des Raumes stellte, um sich einen Überblick zu verschaffen, fand sie ein wenig Gelassenheit. Dann stand Lydia neben ihr, nahm ihre Hand und flüsterte: „Komm, hast du das Bild dort vorn schon gesehen?“ Lydias Nähe beruhigte sie in diesem Raum, wühlte sie aber auf andere Weise wieder auf. Lydia zeigte ihr ein sehr großes Bild von einer polnischen Künstlerin und wies sie flüsternd auf besonders interessante Details hin. Die Nähe, die dabei zwischen ihnen entstand, ließ Luzi ihre Umgebung vergessen und sie gingen gemeinsam von Bild zu Bild und unterhielten sich leise. An einer Stelle wurden beide zurück in die Realität um sie herum gerissen, als ein junger Mann, der ihr Gespräch mitangehört hatte, ihnen die Maltechnik des Bildes erklären wollte. Aber Lydia gebot ihm charmant Einhalt, indem sie ihm einnehmend freundlich erklärte, dass sie nicht immer in der Stimmung sei, sich Dinge erklären zu lassen und es daher möge, wenn sie vorher gefragt wurde, ob sie die Erklärung gerade hören wolle. Jetzt gerade wäre sie nämlich zu sehr in ein Gespräch mit ihrer reizenden Begleitung vertieft und nicht in der Stimmung für die bestimmt interessante Erklärung. Der junge Mann errötete überrascht, nickte und suchte dann überfordert das Weite. Als Luzi Lydia einen bewundernden Blick zuwarf, flüsterte diese mit einem Zwinkern: „Ich versuche mich momentan in entwaffnender Freundlichkeit.“ „Es scheint zu funktionieren.“, flüsterte Luzi zurück und sie grinsten sich an. „Wollen wir weiterschauen?“, flüsterte Lydia, bewegte sich aber nicht und Luzi, deren Blick nun, da sie wieder merkte, wie nah sie einander waren, zu Lydias Lippen wanderte, nickte langsam und trat noch einen Schritt auf Lydia zu. Lydia sah sie intensiv an und fragte leise: „Du wirst mich doch jetzt nicht einfach mitten in der Ausstellung küssen?“ Und Luzi antwortete ebenso leise: „Ich würde vorher fragen.“ Sie sah, wie eine flüchtige Röte über Lydias Wangen strich und genoss diesen Anblick. Dann grinste diese neckisch. „Ich würde nein sagen.“, sagte Lydia und Luzi hob die Augenbrauen. „Es wäre zu unromantisch für den ersten Kuss.“ Luzi nickte anerkennend und zog Lydia sachte zum nächsten Bild. Sie konnte ihr Glück kaum fassen, hier mit Lydia zu sein, ihr so nah und so vertraut mit ihr zu sein.
Als sie wenig später aus der Galerie traten, blendete sie das Sonnenlicht. Sie kauften sich Kaffee und entschieden, in dieser Gegend durch die Straßen zu spazieren. Nachdem sie noch eine Weile über die Ausstellung geredet hatten, holte Lydia plötzlich ihr Handy hervor und sah Luzi ein wenig nervös an. „Also, nachdem du mich schon einmal falsch eingeschätzt hast, habe ich mir einen Test überlegt, ob du überhaupt richtige Eindrücke von mir hast.“ Sie lächelte verlegen und Luzi fragte geschockt: „Einen Test?“ „Achso, nicht die Art Test, in der ich dich teste, obwohl das sicherlich auch spannend wäre. Was weißt du eigentlich über mich?“ Sie lachte. „Nein, ich habe mir Fragen überlegt, deren Antworten wir uns erzählen könnten, um uns besser kennenzulernen.“ Luzi lächelte erleichtert und Lydia fragte: „Ist das zu albern? Dann lassen wir es!“ „Nein, auf keinen Fall! Es ist toll. Es ist süß.“ Luzi lachte nun auch verlegen. „Ich möchte total gern wissen, welche Fragen du dir überlegt hast!“ Sie warfen sich Blicke zu, in denen sie gegenseitig ihre Aufregung und Freude lesen konnten. Lydia suchte in ihrem Handy nach ihrer Notiz und Luzi kickte angespannt einen Kronkorken auf die Straße. „Lydia?“ Lydia sah auf. „Es tut mir leid, was ich gesagt habe bei der Karaoke. Es war dumm und -“ Dann fiel Lydia ihr ins Wort. „Es ist ok. Wirklich. Du hast dich längst entschuldigt. Ich dachte, wenn ich die Fragen vorbereite, dann lernst du mich noch besser kennen und na ja, erkennst du leichter, wie ich bin. Es war nicht als Vorwurf gemeint!“ Sie standen sich gegenüber und Luzi lächelte. „Es ist eine total süße Idee.“ Luzi sah ihr offen ins Gesicht. „Danke Lydia.“ Wieder war da dieser leichte rote Schimmer auf Lydias Gesicht zu erkennen und Luzi biss sich auf die Unterlippe, weil Lydia so unglaublich süß aussah. Dann sah Lydia wieder auf ihr Handy und lachte verlegen. „Oh, ähm, es sind keine tiefsinnigen Fragen, ich muss dich vorwarnen. Ich bin nicht so eine philosophische Grüblerin wie du.“ „Von wegen!“, widersprach Luzi und sie setzten langsam ihren Spaziergang fort. „Ok. Die erste Frage lautet:“, Lydia räusperte sich mit gewichtiger Miene, „Wie viele Beziehungen hast du bisher geführt?“ Luzi keuchte. „Wow, das hier ist unser erstes Date und das ist deine erste Frage?“ Lydia winkte ab. „Dann haben wir es geklärt.“ Luzi schüttelte energisch den Kopf. „Bevor wir weitermachen, fordere ich, dass ich auch Fragen stellen darf!“ „Abgemacht.“ Luzi stieß laut die Luft aus. „Ich hatte zwei Beziehungen, eine längere und eine ziemlich kurze. Und du?“ „Vier mittellange.“ „Was heißt mittellang?“ „Was heißt länger und ziemlich kurz?“ Luzi sah Lydia mit verengten Augen an, die ihr vergnügt zuzwinkerte. „Ich seh schon, du bist nicht nur introvertiert, sondern auch eher der verschlossene Typ.“ Luzi schnappte empört nach Luft. „Da schätzt du mich ganz falsch ein.“ „Achja?“ Lydia warf Luzi einen herausfordernden Blick zu, die diesen lässig mit einer Handbewegung abtat. „Länger heißt vier Jahre, ziemlich kurz heißt ein halbes Jahr.“ Lydia nickt zufrieden und erwiderte: „Mittellang heißt anderthalb Jahre. Scheint eine magische Grenze von mir zu sein.“ „Interessant.“, gab Luzi zurück und nickte grinsend. „Zweite Frage: In welchen Momenten magst du dich selbst am liebsten?“ „Nicht tiefsinnig, he?“ „Kommentierst du jetzt jede Frage, bevor du sie beantwortest?“ „Ja, wahrscheinlich.“ Lydia lachte. „Rück raus mit der Sprache, Luzi!“ Die Zeit verstrich und sie beantworteten gegenseitig ihre Fragen. Sie redeten über Dinge, die sie tun wollten vor ihrem Tod, Luzi wollte lernen ein Rad zu schlagen und mit zwei Fingern zu pfeifen und Lydia nach Grönland reisen und einem Polizisten ins Gesicht schlagen, am liebsten dem, der Luzi wehgetan und beleidigt hatte, wobei Luzi etwas überrascht war von Lydias Rachephantasien. Und sie redeten über ihre Lieblingsspeisen, Dinge, die sie gern taten, die Bücher, die sie zuletzt gelesen hatten, über ihre Familien, ihre Talente und ihre Ängste. Lydia fürchtete sich höllisch vor tiefem Wasser und Fischen und Seeungeheuern, die darin womöglich lauerten, und Luzi hatte Angst vor Spinnen und davor, irgendwo eingeschlossen zu sein. Dann fragte Lydia, was Luzi glaube, was sie gemeinsam hätten, und Luzi antwortete bedacht und lauschte danach Lydias Antwort gefesselt. Es war schön, sich so kennenzulernen und sie stellten fest, dass sie gemeinsam hatten, dass sie gern allein auf Partys waren, auf denen sie aber viele Leute kannten, ohne dass sie Absprachen mit Begleitungen treffen mussten, sich aber nicht allein fühlten. Gemeinsamkeiten herauszufinden machte besonders großen Spaß und sie verweilten lange bei dieser Frage. Schließlich seufzten sie und gingen eine Weile schweigend nebeneinander her und beobachteten das Geschehen um sie herum. „Darf ich dich fragen, warum du Katheter benutzen musst?“ Lydia sah sie unsicher an, aber Luzi nickte und erzählte von ihrer Endometriose, die zu einer Gebärmuttersenkung geführt hatte. Das hatten die Ärzt*innen nicht gleich erkannt, sodass sie in kurzer Zeit eine Blasenfunktionsstörung entwickelt hatte. „Und wann war das?“, fragte Lydia. „Es ist noch gar nicht so lang her. Die Endometriose hatte ich schon lange, aber die Blasenprobleme begannen erst vor drei Jahren. Aber ich konnte mich schnell daran gewöhnen. Also anfangs natürlich nicht, aber als alles immer schlimmer wurde, waren die Katheter wie eine Rettung.“ „Ich verstehe.“ Lydia lächelte sie an. „Danke, dass du mir das erzählt hast.“ Luzi nickte. „Hast du Krankheiten?“ Dann war es ihr doch irgendwie peinlich und sie ergänzte: „Seltsames Thema, entschuldige.“ „Nein, gar nicht. Ich habe ja zuerst gefragt.“ Lydia strahlte wieder diese ruhige Stärke aus und Luzi fühlte sich sicher. „Ich habe häufig Rückenschmerzen, die manchmal echt mörderisch sind und hab deswegen immer wieder Physiotherapie. Aber ansonsten ist mein Körper ziemlich gesund. Soweit ich weiß.“ Lydia zwinkerte neckisch und Luzi lachte über Lydias lockere Art. „Wo sind wir hier eigentlich gelandet?“ Sie sahen sich um. Sie waren mindestens eine Stunde herumspaziert und hatten nicht darauf geachtet, wo sie langliefen. „Hast du Lust, noch etwas zu unternehmen?“, fragte Lydia dann und als Luzi fröhlich nickte, sagte sie: „Ich habe mit ein paar Leuten zusammen einen Garten. Gerade ist niemand dort. Wir könnten hinfahren und ich zeige ihn dir. Hättest du Lust?“ „Du hast einen Garten! Das wusste ich gar nicht!“ „Tja, du weißt noch lang nicht alles über mich.“, lachte Lydia und Luzi entgegnete schelmisch: „Aber wir haben doch deinen Test gemacht.“ „So schnell geht das aber nicht.“, grinste Lydia keck und sie suchte auf ihrem Handy heraus, wo sie sich befanden und wie sie zum Garten fahren konnten.



copyright © by EimoH. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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