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Schatz

von Kalunda


Einst meinte ich einen Schatz entdeckt zu haben. Das war, als ich auf einem Felsen stand. Er schimmerte durch eine schmale Felsspalte hindurch aus dem tiefen Innern des Gesteins heraus; eines jener mächtigen, durch Wind und Wetter, unzählige Stürme und den sengenden Strahl der Sonne geformten Felsen, die von bezaubernder, wilder Schönheit sind. Glattgewaschen an einigen Stellen, scharfkantig und spitz an anderen.

Es schien, als strahlte der Schatz mich aus den Tiefen seiner steinigen Ummantelung an, als schickte er seinen flackernden, glänzenden Schein die inneren Wände und Windungen des Felses empor, hinaus zu mir, um in mich einzudringen; um wiederum mich tief in meinem eigenen Innersten zu berühren. Sein Glanz hielt mich fest und ließ mich nicht mehr los, auch dann nicht, als ich den Blick längst abgewendet hatte. Ich fragte mich, ob ich zu ihm gelangen könne. Ob ich ihn würde bergen können.

So machte ich mich auf die Suche nach einem Zugang in das Innere des Steins. Stück für Stück suchte ich die massive Felswand ab. Meter für Meter.

Wie ich so lief und mich dabei immer weiter von der Stelle, an der ich den Schatz erblickt zu haben glaubte, entfernte, kam mir die Sache allmählich albern vor. Ich begann über mich selbst zu lächeln, über meine kindische Sehnsucht nach einem verborgenen, geheimnisvollen Schatz, der auf mich wartete, der da irgendwo lag und plötzlich vor mir

Da entdeckte ich plötzlich vor mir, genau vor mir, wenn auch kaum sichtbar hinter einer rankenden Pflanze versteckt, eine schmale Öffnung. Sie war gerade breit genug, dass sie es mir erlaubte, mich mit etwas Mühe durch sie hindurchzuzwängen.

Ich fand mich in einem engen, höhlenartigen Raum wieder. Von dort führte ein schmaler Gang weiter ins Innere des Felses. Einen Moment lang zögerte ich. Ich fragte mich, ob es tatsächlich klug war, diesem Drang in mir zu folgen. Dann tastete mich langsam vorwärts, durch vollkommene Dunkelheit zunächst.

Nach einer Weile wurde die Finsternis durchbrochen von einem unruhigen Licht, das, so vermutete ich, durch mir verborgene Spalten sich von außen hereinschlängelte. Das Licht gab eine an manchen Stellen betörend funkelnde, an anderen Stellen von rätselhaften Mustern durchwobene Umgebung preis, die gar nicht steinern wirkte, sondern eher weich, samten bisweilen. Mit angehaltenem Atem lief ich weiter. Dunkelheit und Licht von unterschiedlicher Intensität wechselten sich ab, und so zog ich, mal vollkommen orientierungslos, mal geleitet durch das hereinscheinende Licht – dabei jedoch am Ende nicht minder orientierungslos – weiter. Ich ließ mich führen vom Lauf des Weges und, immer dann, wenn der Gang sich teilte oder einen Seitenarm mit einem weiteren möglichen Stück Weg freigab, von meiner Intuition. Ich genoss das Gefühl der Entdeckenden, wenn ein Lichtstrahl mir den Weg zu weisen schien, wenn die Helligkeit etwas von dem faszinierenden Innenleben des Gesteins preisgab, von den Wänden und den wundersamen Dingen, von denen die Wände mir erzählten.

Jedoch war es nicht stetig aufregend und angenehm. Mehr als einmal stieß ich mir den Kopf, schürfte ein Knie auf oder verletzte mir die Schulter an einer unvermittelt hervorragenden Kante. Bisweilen stolperte ich über eine Unebenheit, über herumliegende Gesteinsbrocken vielleicht. Es kam vor, dass ich der Länge nach zu Boden fiel.

Hin und wieder erspähte ich einen Ausgang – das Felsenlabyrinth schien bei Weitem mehr Ausgänge als Eingänge aufzuweisen; diese waren so schmal und verwinkelt, dass, ähnlich einer Schießscharte, der Weg nach draußen ein Leichtes, der ins Innere dagegen nur schwer möglich zu sein schien. Manchmal spürte ich einen Impuls in mir, der mich in Richtung eines dieser Ausgänge drängte. Und einige Male, etwa nachdem ich mich wieder einmal schmerzhaft gestoßen hatte, gab ich dem Impuls beinahe nach – und setzte dann doch meinen Weg zum Schatz, wie ich es hoffte, fort.

Es gab Momente der Hoffnung. Momente wie jene, da ich den flackernden, glänzenden Schimmer des Schatzes durch Ritzen im Gestein durchscheinen sah. Jedes Mal, wenn dies geschah, kam es mir so vor, als sei ich ihm ein wenig nähergekommen. Doch sobald ich mich an den Gedanken des Näherkommens gewöhnte, sobald ich fest glaubte, auf dem richtigen Weg zu sein, entfernte sich der Schimmer, nur um eine Weile später, immer dann, wenn ich bereits beinahe verzagte, erneut spürbar nahe zu sein. Jedes Mal, wenn ich mich dem Schatzesschein annäherte, schien sich die Gesamtdistanz ein wenig verringert zu haben. Es war, als liefe ich in einer Art ellipsenförmiger Spirale auf ihn zu.

So ging es weiter, einzig, ich erreichte den Schatz nie. Irgendwann begann ich mich wie eine Gefangene im Labyrinth meiner irregeleiteten Sehnsüchte zu fühlen. Wie lange mag ich da bereits umhergeirrt sein? Eine halbe Stunde? Einen halben Tag? Ein halbes Leben? Ich hätte es nicht sagen können.

Nach den Momenten des Zweifels schließlich gab es den des Verzweifelns. Minutenlang war ich bereits durch vollkommene Finsternis geirrt, hatte mich nurmehr tastend fortbewegt oder, gänzlich im Stillstand verharrend, angestrengt nach einem schwachen Lichtschein gespäht. Mir wurde endlich klar, dass meine Suche aussichtslos war. Ohne weiteres Zaudern und Zögern würde ich den nächsten Ausgang ins Freie nehmen.

Doch selbstverständlich kam es anders. Kaum, dass ich jenen Entschluss gefasst hatte, lugte ein schwaches Licht hinter einer – sie war nun deutlich als solche zu erkennen – Abzweigung hervor. Ich lief auf das Licht zu, folgte der Abzweigung und: Da lag er vor mir. Zum Greifen nah.

Einen Moment lang schloss ich die Augen, geblendet von dem Schein, der mir entgegenschlug. Einem Schein, der mir plötzlich wie spitze Messer in die Augen stach. Ich verspürte einen sonderbaren Druck auf mir; es fühlte sich an, als sei die Luft an dieser Stelle der Felsenhöhle besonders schwer und gleichzeitig sehr dünn. Das Atmen fiel mir schwer. In meinen Ohren rauschte das Blut und in dieses Geräusch hinein drang immer wieder etwas, das sich wie fernes Schreien, wie Wehklagen vernehmen ließ. Der Widerhall einstiger Schatzsuchende?, schoss es mir durch den Kopf. Es gelang mir, die Augen zu öffnen und mich dem Licht, das nun unnatürlich grell und hart wirkte, zu stellen. Den Schatz selbst konnte ich kaum ausmachen, denn er war bedeckt von Scherben, die das einfallende Licht und den Schimmer, der von ihm ausging, unendlichfach brachen, spiegelten und widerspiegelten, sodass zwischen Wahrhaftigem und Scheinbarem kein Unterschied mehr festzustellen war.

Entsetzen spiegelte sich in meinem Gesicht. Ich begann zu zittern, meine Knie wurden weich. Ich taumelte, wich einen Schritt zurück. Der Boden unter meinen Füßen schien mit einem Mal zu wanken, ja, es war, als rutschte er in Teilen unter mir hinfort, einzelne Gesteinsbrocken lösten sich und fielen hinter mir hinab, lösten sich unter mir und zogen mich schließlich mit sich, ich stolperte, ich fiel, ich rutschte mit den sich bewegenden Gesteinsteilen hinweg vom Schatz, irgendwohin abwärts. Bald befand ich mich in einer Art Röhre, die mich nach unten und nach außen hin zur Felswand trieb. Dann war ich draußen, ich rutschte die letzten anderthalb Meter die Wand des Felses hinab, bis ich schlussendlich hart auf dem Boden aufkam.

Vorsichtig betastete ich meinen von Schürfwunden und blauen Flecken bedeckten Körper. Erleichtert stellte ich fest, dass alles an seinem Platz und alle Glieder – wenn auch in dem einen oder anderen Fall nur unter starken Schmerzen – zu bewegen waren. Jetzt erst wagte ich einen ängstlichen Blick nach oben zu der Stelle, wo der Fels mich ausgespuckt hatte. Von unten war die Öffnung kaum zu erkennen; unmöglich wäre es gewesen, über den umgekehrten Weg hineinzugelangen. Sofern mir überhaupt der Sinn danach gestanden hätte. Doch dem war nicht so.

Mühsam raffte ich mich auf und humpelte heim. Dort ruhte ich mich aus. Langsam erholte ich mich von dem Schrecken und nach und nach verheilten meine Wunden.

Heute denke ich nur noch selten an meine wundersame Reise durch den Stein. Wenn dies geschieht, beginne ich meist ein wenig über mich selbst zu lächeln, über diese kindische Sehnsucht, die mich damals dorthin geführt hat. Ich schaue aus dem Fenster in die Richtung, wo der Fels sich in etwa befinden mag. Für einen ganz kurzen Moment denke ich darüber nach, ob es möglich wäre, den Weg zum Schatz ein zweites Mal zu finden. Ich frage mich, ob ich ihn hätte bergen können. Ob es wohl möglich gewesen wäre. Hätte ich es jemals wieder versucht.




copyright © by Kalunda. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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