von atayari
- Sorry, ist etwas mehr geworden. Viel Spaß beim Lesen! -
„Hallo Lena! Danke, dass du das sagst! Ich musste auch immer wieder an dich denken! Aber ich habe mich einfach nicht getraut, dir zu schreiben… Ich hatte zu viel Angst, du würdest nichts mehr von mir wissen wollen. Es war irgendwie total komisch damals im Krankenhaus. Ich habe mich so… beschmutzt gefühlt. Unfrei. Mit dem dicken Bauch… Irgendwie hätte vielleicht alles ganz anders kommen sollen. Aber jetzt ist es eben so. Ich kann nicht zurück.
Aber hey, wenn du Lust hättest… ich würde dich total gerne wieder sehen. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob das alles so gut ist und wo es hinführen wird. Aber ich habe dich irgendwie ganz schön vermisst die letzten Wochen und habe fast jeden Tag an dich gedacht. Komisch, oder? Wir kennen und doch eigentlich gar nicht… Tatjana.“
Wieder und wieder lese ich diese Zeilen. Mein Herz tanzt, aber innerlich ist mir abwechselnd heiß und kalt. Will ich das? Will ich das wirklich? Könnte ich es? Könnte ich damit umgehen? Ihre Schwangerschaft habe ich die letzten Wochen in meinen Wachträumen immer recht erfolgreich ausgeblendet. Ich kann mir das alles im Moment einfach noch nicht vorstellen. Eine Freundin mit Kind???
Ben fand das nicht so schlimm. Chiara damals auch nicht. Sie hatte ihre versprochene Mousse au chocolat eingefordert, zwei Tage nach meinem Besuch im Krankenhaus. Damals war ich noch voller Euphorie und habe alle paar Stunden geguckt, ob ich eine neue Mail von Tatjana habe. Hatte ich nicht. Irgendwann habe ich dann aufgehört zu gucken…
Ich habe Angst, dass ich mich schon wieder tot stellen werde, wenn ich nicht sofort und auf der Stelle auf die Mail antworte. Aber was soll ich schreiben?? Ich weiß es nicht so genau. Dann erinnere ich mich, dass ich auch ganz am Anfang mal einfach offen und ehrlich war, und mutig. Also versuche ich einfach, daran anzuknüpfen. Was damals gut funktioniert hat, kann jetzt nicht ganz so verkehrt sein, oder? Und was soll denn schon passieren? Sie hat mich immerhin nicht gefragt, ob ich sie heiraten möchte, sondern nur, ob wir uns noch mal treffen…
„Hallo Tatjana! Oh wow, das war ja mal eine schnelle Antwort. Und eine schöne Überraschung am Morgen! Danke.
Ich bin immer noch total verwirrt, wie eigentlich schon seit dem Tag im Krankenhaus, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Drum kann ich gut verstehen, dass es dir ähnlich ging… Aber ja, vielleicht sollten wir uns einfach noch einmal treffen. Vergessen können wir einander ja anscheinend nicht!
Was hältst du von morgen Nachmittag Kaffee trinken (oder Tee, Kaffee darfst du ja vermutlich nicht), irgendwo in der Stadt? Lena“
Ich weiß, wenn wir uns nicht bald treffen, kriege ich wieder Angst und gehe nicht hin. Gespannt warte ich vor dem Rechner, ob sie zufällig online ist. Scheint sie jedoch nicht zu sein, was in Anbetracht der Tatsache, dass es morgens halb sieben ist, nicht besonders verwunderlich erscheint. Seufzend schalte ich den Computer aus, mache mir Frühstück und setze mich auf die Couch.
Als ich um halb neun erneut in mein Postfach gucke, blinkt mir eine Mail entgegen. Offensichtlich konnte sie auch nicht so gut schlafen, denn die Mail wurde um kurz vor acht abgeschickt, wie mir mein Emailprogramm verrät. Interessant. Gespannt klicke ich auf „Öffnen“.
„Ich bin erleichtert, dass du mich sehen möchtest. Morgen Nachmittag kann ich aber leider nicht. Was machst du heute? Es verspricht ein schöner Tag zu werden, vielleicht könnten wir ein bisschen spazieren gehen oder so? Passt dir 14 Uhr? Kennst du den Springbrunnen im Atlantapark? Ein nettes Café gibt es da auch. Tatjana“
Meine Güte. Sie ist offenbar genauso nervös wie ich, zumindest kommt es mir so vor. Meine Unsicherheit wächst abrupt. Will ich das wirklich? Will ich das HEUTE??? Aber was soll denn schon passieren. Ist doch egal, ob heute, morgen oder nächste Woche. Es wird nichts daran ändern, dass ich in eine Frau verliebt bin, die ich kaum kenne, die schwanger ist und die ich erst ein einziges Mal für eine Viertelstunde gesehen habe…
Also tippe ich zurück: „Okay. Ich werde da sein.“, und schicke die Mail ab, bevor ich es mir anders überlegen kann. Gut, dass heute Samstag ist und ich frei habe.
Den Rest des Vormittags verbringe ich im Ausnahmezustand. Ich ziehe mich ungefähr zehn mal um, beschließe dann, dass es doch sowieso egal ist, was ich anziehe, und verbringe anschließend ungefähr eine Stunde im Bad, weil ich mich nicht entscheiden kann, was ich mit meinen Haaren machen soll. Dann bin ich plötzlich spät dran, muss mich entscheiden, so dass ich letztendlich meine Lieblingsjeans, ein schwarzes T-Shirt mit buntem Aufdruck und meine Lederjacke anziehe und meine misshandelten Haare wie üblich mit einem Zopfgummi im Nacken zusammenbinde. Das hätte ich auch stressfreier haben können, denke ich mir, während ich meine Schlüssel, mein Handy und mein Portemonnaie in die Taschen stopfe, in meine neusten Turnschuhe schlüpfe und zur U-Bahn jogge.
Trotzdem bin ich spät dran, denn ich war lange nicht im Atlantapark und steige an der falschen Haltestelle aus, so dass ich bis zum Springbrunnen eine Ewigkeit laufen muss. Schon von weitem sehe ich, dass Tatjana noch da ist, obwohl ich fast zwanzig Minuten zu spät bin. Sie sitzt an der windabgewandten Seite auf der Umrandung des Springbrunnens und beobachtet die Menschen, die vorbeikommen. Mich entdeckt sie erst, als ich schon kurz vor ihr bin und ihr winke. Ein Lächeln zieht über ihr Gesicht, und mein Herz verwandelt sich in flüssiges Gold. Ich fühle mich grinsen wie eine Vollidiotin, aber ich kann nichts dagegen tun. „Hi.“, sagt sie und steht auf. „Hi.“, erwidere ich und stecke schnell meine Hände in die Jackentaschen, damit sie mich nicht umarmt. Ich möchte nicht, dass sie mich berührt. Verunsichert lässt sie die Arme sinken, doch ich übergehe die Situation. „Sorry, dass ich zu spät bin. Ich bin an der falschen Haltestelle ausgestiegen und musste durch den halben Park laufen!“, entschuldige ich mich. „Macht nichts.“, sagt sie, und ich höre, dass das nicht stimmt. Wahrscheinlich dachte sie, ich versetze sie einfach… Dann schaut sie mich an, und ihre Augen erinnern mich an den Tag im Krankenhaus, und ich habe das Gefühl, gerade völlig die Kontrolle zu verlieren. „Hast du Hunger? Sie haben leckeren Kuchen da drüben in dem Café. Oder möchtest du lieber erst ein bisschen rumlaufen? Wobei, gelaufen bist du ja gerade…“, sie lacht leise, und ich höre die Nervosität heraus. „Rumlaufen.“, sage ich. Bloß nicht irgendwo sitzen und von ihr so angesehen werden, denke ich. Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll. Mir wird klar, dass ich vermutlich total abweisend wirke im Moment, und das will ich doch gar nicht. Ich vergehe nur gerade vor Angst. Wobei ich noch nicht einmal genau sagen kann, wovor ich mich fürchte. Was soll denn passieren? Aber ich weiß, dass ich im Inneren etwas ganz anderes möchte als das, was mein Kopf mir rät und was ich mir vorgenommen habe.
Mühsam über Belanglosigkeiten redend laufen wir nebeneinander her durch den Park. Es ist voll, überall sind Spaziergänger, Fahrradfahrer, Skater, Jogger, die alle die langsam erwachende Frühlingssonne genießen wollen. Ich finde das stressig irgendwie, drum schlage ich an einer Kreuzung einen kleinen Pfad ein, der in einen ziemlich abgelegenen Teil des Parks führt. Dort war ich früher öfter mal, dort ist es schön. Riesige, alte Bäume, verschlungene kleine Pfade und nicht so viele Menschen… Der Plan geht auf. Nach ein paar hundert Metern sind wir fast alleine. Unsere angestrengten Gespräche sind vor einer Weile verstummt, bemerke ich, aber im Moment empfinde ich das Schweigen nicht als störend. Entspannt laufe ich neben Tatjana her, genieße das Aroma der erwachenden Parklandschaft und spüre die Wärme der Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Vor uns taucht ein kleiner verwunschener Weiher auf. „Oh, wie schön!“, ruft Tatjana, als sie ihn sieht. Das finde ich auch. Am in der Sonne gelegenen Teil des Ufers liegt ein alter dicker Baumstamm. Wir setzen uns darauf und halten die Gesichter in die wärmenden Strahlen. Sie sitzt zu nah neben mir, ich kann den Geruch ihrer Haut wahrnehmen. Das verwirrt mich mehr, als ich möchte. Ich rücke ein Stückchen von ihr ab und ziehe meine Jacke aus, weil es so schön warm ist in der Sonne. Dabei mustere ich verstohlen Tatjanas Bauch unter den Klamotten. Obwohl die das Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne hält, bemerkt sie meinen Blick. Sie öffnet die Augen und sieht mich an, und wieder ertrinke ich in ihren Augen. Sie sagt nichts. Ich sage auch nichts. Ich gucke zuerst weg.
„Du wolltest mir noch erzählen, was es mit dem Tattoo auf deiner Schulter auf sich hat.“, meint sie plötzlich. Für einen Moment verstehe ich nicht, wovon sie spricht, dann erinnere ich mich an die Frage in einer unserer ersten Mails, damals, vor einer gefühlten Ewigkeit. „Wollte ich das?“, murmele ich träge. „Soweit ich mich erinnere, habe ich gesagt, vielleicht…“ Mist. Das kommt schon wieder total abweisend rüber! Tatjana lässt sich davon aber offenbar nicht abschrecken. „Du hast gesagt, vielleicht, wenn du mich besser kennst.“ Sie hat es also auch nicht vergessen. Ich zucke mit den Schultern und gucke auf den Weiher. „Hey, Lena!“, meint sie plötzlich, und ihre Stimme klingt auf einmal ganz anders als die ganze Zeit. Ernster irgendwie. „Vielleicht sollten wir einfach mal darüber reden?“ Ich reiße meinen Blick von den Reflektionen der Sonnenstrahlen auf dem brackigen Wasser los und stelle mich dumm. „Worüber?“ „Über das hier. Über uns.“ Ihre Stimme klingt irgendwie seltsam, so, als müsse sie sich zwingen, diese Worte zu sagen. „Über uns?“ Irgendwie habe ich keine Lust, es ihr leicht zu machen. Aber dann bricht plötzlich der ganze angestaute Frust der letzten zwei Monate aus mir heraus, und ehe ich weiß, was ich tue, blubbert alles einfach so aus mir heraus. Wie sehr mich das verletzt hat, dass sie sich einfach überhaupt nicht mehr gemeldet hat, nachdem ich sie im Krankenhaus besucht hatte, wie verwirrt ich darüber war, dass sie erst so offensichtlich mit mir geflirtet hat, um mich dann einfach abzuservieren, wie wenig ich diese ganze Situation verstehe, wie sehr mir ein paar Infos gefehlt hätten, um zu wissen, woran ich überhaupt bin, wie sehr ich mich gefühlt habe wie eine Marionette, der irgendwer an den Fäden zieht, und dass ich keine Lust habe, hier den Pausenclown zu spielen, über das Wetter zu reden, einen Nachmittag mit ihr zu verbringen und dann wieder wochenlang nichts von ihr zu hören.
Mir war selber nicht klar, wie knapp unter der Oberfläche das alles schlummerte und wie aufgebracht ich innerlich bin. Tatjana ist auch überrascht, das sehe ich ihr an. Sie unterbricht mich nicht, aber starrt mich ziemlich perplex an. Als ich Luft holen muss und erstmal schweige, stielt sich ein kleines Lächeln in ihr Gesicht. Die Sommersprossen tanzen, und um ihre Augen bilden sich kleine, feine Lachfältchen. Ich kann nicht verhindern, dass ich schon wieder vergesse, warum ich wütend war…
“Wahrscheinlich ist es jetzt nicht das, was du hören möchtest“, beginnt sie, „aber weißt du, dass ich dich jetzt am liebsten einfach an mich ziehen und küssen würde?“ Jetzt ist es an mir, verdutzt zu gucken. Sie streckt die Hand aus und streicht mir sanft über die Wange. Ihre Finger sind warm und hinterlassen ein unbeschreibliches Gefühl auf meiner Haut. Trotzig presse ich die Lippen aufeinander, bemüht, nicht nachzugeben. Sie lächelt, als sie es bemerkt. „Ich mag Frauen mit Feuer.“, sagt sie leise. Dann, etwas lauter: „Du hast vollkommen recht. Mit fast allem, was du gesagt hast. Du hättest verdient, dass ich mich melde. Ich habe mich nicht getraut. Ich hatte Angst, dass es dich abschreckt, dass ich schwanger bin. Ich hatte Angst vor mir selber. Ich hatte – und habe – nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, was das hier werden soll, wie es weitergehen soll, wie es weitergehen könnte. Mein Leben steht Kopf. Nichts von all dem hier war geplant. Aber hey, mal gesetzt den Fall, man würde die dicke Kugel hier ignorieren können… Die Symptome waren eindeutig. Dachte ich. Aber um der Gerechtigkeit mal Genüge zu tun – du hast dich auch nicht gemeldet.“ Betreten schaue ich auf meine Schuhspitzen. „Ich weiß.“, gebe ich zu. „Ich bin manchmal ein Feigling.“
Als ich wieder aufschaue, sehe ich, dass sie mich immer noch anlächelt. Meine Mauern bröckeln, ich ertrinke willentlich im Blau ihrer Augen und höre einfach auf, über morgen nachzugrübeln. Zögernd lächele ich zurück. „Quitt?“, fragt sie. Ich nicke. Dann frage ich: „Darf ich das mal anfassen? Ich habe noch nie einen Babybauch gestreichelt.“ „Später.“, vertröstet sie mich.
Dann beugt sie sich zu mir rüber und küsst mich.
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atayari. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.