von bloodynatou
„Über dich und Kerstin.“
Emilie starrte sie entsetzt an und Stoffl setzte sich zum ersten Mal wieder gerade hin, damit sie nicht zu laut reden musste und keiner etwas von ihrem Gespräch hören konnte.
„Keine Bange, ich bin auf eurer Seite.“
„Wie? Ich versteh nicht ganz.“
„Komm schon, es ist doch offensichtlich.“
„Was ist offensichtlich?“
„Na, dass ihr zwei ... du weißt schon ...“
„Nein, tut mir leid, ich weiß nicht, wovon du redest.“
Emilie versuchte wirklich alles, um glaubhaft zu wirken, doch es half nichts, sie waren durchschaut worden und nun versuchte sie nur noch zu retten, was zu retten war.
„Bitte ... tu nicht so. Sie reden. Sie wissen, dass ihr was laufen habt.“
„Kerstin und ich?“
Sie versuchte, so entsetzt zu klingen wie nur möglich.
„Ja, Kerstin und du! Jedes Mal, wenn ihr alleine seid und einer von uns kommt rein, jedes Mal liegt ihr euch in den Armen oder seid ganz nah beieinander. Selbst wenn wir dabei sind, selbst da ist es ziemlich offensichtlich.“
„Hey, du verwechselst da etwas, Kerstin und ich sind nur super befreundet.“
Emilie wurde langsam immer nervöser.
„Ach ja?“
„Ja!“
„Und wie erklärst du dann bitte, dass ihr heimlich Händchen haltet unter dem Tisch oder dass du ihr einen Kuss gegeben hast am Lagerfeuer?“
Emilie wurde kreidebleich und ein kleines triumphierendes Lächeln zog sich über Stoffls Gesicht.
„Du ... wie ... ich meine ...“
Emilie bekam kein vernünftiges Wort mehr raus.
„Man braucht euch nur über eine gewisse Zeit genau zu beobachten und man sieht so einiges, weißt du?“ Sie zwinkerte ihr zu.
„Und ich dachte immer, es würde sich eh niemand um uns kümmern.“
Emilie schaute weg und dachte nach.
„Na, normalerweise tut das auch niemand, aber du kennst doch die Jungs. Sie spinnen sich viele Geschichten zusammen und müssen es dann der ganzen Welt erzählen. Und dieses Mal haben sie wohl voll ins Schwarze getroffen.“
„Aber ... war es denn wirklich so auffällig?“
„Also, eigentlich schon seit paar Tagen. Anfangs waren es eher eure Blicke und Kerstins Lied, welches sie dir sozusagen gewidmet hat, die uns etwas stutzig machten. Naja, die Jungs mochten Kerstin von Anfang an nicht wirklich. Sie mögen absolut keine Frauen, die sich maskulin kleiden und so. Du kennst das doch. Und – entschuldige bitte – Kerstin tritt sehr maskulin auf, das kannst du nicht abstreiten.
Dann begannen sie halt zu erzählen und so. Deswegen habe ich euch ein wenig beobachtet und ich denke, ihr müsst wirklich aufpassen, sonst erwischen sie euch.“
Emilie wusste nicht mehr, was sie darauf antworten sollte. Sie starrte einfach geradeaus, wo die anderen noch immer ihre Wettkämpfe austrugen.
„Und was genau sagen sie?“
Weiterhin schaute sie Stoffl nicht an, sie konzentrierte sich auf einen Baum, der auf der gegenüberliegenden Seite stand.
„Vieles. Manche sprechen natürlich gegen euch und finden es einfach nur eklig, doch die meisten sind eigentlich auf eurer Seite, d.h. sie akzeptieren es voll und ganz.“
„Es ...“
Emilie seufzte und schaute nun in den Himmel, wie Steffi es eben getan hatte.
„Und wieso sagst du mir das?“
„Weil ich euch beide sehr nett finde und ich nicht will, dass ihr Ärger bekommt. Außerdem steht meine Schwester auch auf Frauen und ich hab leider miterleben müssen, wie sie manchmal auf ziemlich viel Ablehnung gestoßen ist. Sie ist damals beinahe daran kaputtgegangen. Nur im letzten Augenblick hat es jemand geschafft, ihr wieder neuen Mut zu geben.“
„Genau davor hab ich auch Angst. Dass die Leute mich nicht so akzeptieren wie ich bin.“
„Ja, leider gibt es das heutzutage immer noch viel zu oft, doch du wirst leider dadurch müssen. Es wird immer Leute geben, die es nicht akzeptieren werden und wiederum welche, die hinter dir stehen und dich unterstützen. Du darfst dir nichts daraus machen, was andere Leute dir sagen. Tu nur das, was dir dein Gefühl sagt, das ist immer das Wichtigste. Vergiss das niemals.“
„Das werd ich nicht.“
„Und außerdem hast du doch Kerstin. Sie wird dir helfen, die nächste Zeit durchzustehen und sie wird dir Kraft geben, jedes Mal, wenn du denkst, dass du es nicht mehr schaffst.“
„Genau wie Mary.“
„Siehst du, schon zwei.“
„Drei.“
Eigentlich waren es vier, Sven gehörte schließlich auch dazu, doch das durfte sie ja niemandem sagen. Stoffl schaute sie etwas irritiert an.
„Na du hast mir gerade genauso gut geholfen. Ich hatte sehr große Angst, was passieren würde, wenn ich wieder zu Hause bin. Doch durch dich weiß ich jetzt, dass ich diese gar nicht haben muss. Ich werde mein Leben so leben, wie ich es will und nicht, wie jemand anderes es haben will.“
„Sehr gut. Ich hoffe wirklich für euch beide, dass sich alles zum Guten wenden wird.“
„Danke.“
„Und was ist mit deinen Eltern?“
Von einem Moment zum anderen hatte sich Emilies Gesichts-ausdruck wieder verdunkelt.
„Sie haben etwas dagegen.“
„Ganz sicher?“
„Oh ja.“
„Hm ... aber sie werden dich nicht rausschmeißen oder so, richtig?“
„Nein, ich denke nicht. So schlimm sind meine Eltern auch wieder nicht, aber ich werde es ihnen noch nicht sagen. Ich werde Zeit brauchen. Schließlich ist es auch ganz neu für mich.“
„Sehr gute Entscheidung. Lass dir soviel Zeit, wie du brauchst, lass dich von niemandem drängen, es ist DEIN Leben!“
„Es ist schon komisch.“
„Was?“
„Alles. Dass ich plötzlich mit einer Frau zusammen bin, dass ich eines der Gesprächsthemen der anderen bin, dass ich mit dir so offen reden kann, einfach alles.“
„Ich versuche nur, euch zu helfen.“
„Und dafür bin ich dir sehr sehr dankbar.“
„Wie gesagt, kein Problem.“
„Und wer ist für dich dabei?“
Emilie fand, es wäre Zeit für einen Themenwechsel und schaute sie freudig an.
„Ach, ist nichts wirklich Gescheites dabei. Hatte wirklich gehofft, hier jemanden zu finden, aber alles nur Idioten dabei. Naja, vielleicht bis auf Thomas. Er scheint ganz nett zu sein, wenn er nicht mit den anderen rumhängt und noch dazu sieht er sehr gut aus, aber ich denke, das ist nichts für mich. Da würde ich mir die Finger dran verbrennen, wie man so schön sagt.“
„Ein Versuch wäre es wert.“
„Leider bin ich niemand, der so einfach auf jemanden zugeht und mit ihm spricht.“
„Und wie wäre es, wenn ich ihn mal darauf anspreche?“
„Ich weiß nicht so recht ...“
„Ach komm schon, was hast du denn zu verlieren?“
„Zum Beispiel mein Ansehen. Wenn er nichts von mir will, werden sich seine Freunde doch bestimmt voll über mich lustig machen. Darauf kann ich echt verzichten.“
„Da hast du allerdings Recht. Mich hat es auch eine Menge Überwindung gekostet bei Kerstin und ich wurde auch enttäuscht, aber es ist ja alles in Ordnung gekommen. Und du weißt ja, wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“
„Jaja, schon gut, schon gut.“
„Vielleicht ließe es sich ja irgendwie einrichten, dass wir ihn ein wenig aushorchen, was denkst du? Das wäre doch eine Möglichkeit, oder nicht?“
„Gut, einverstanden, aber unter einer Bedingung.“
„Die da wäre?“
„Wenn ich sage, dass wir aufhören, dann hören wir auch auf, ich will mich nicht zum Affen machen.“
„Klar, Chef.“
Emilie salutierte sitzend vor Stoffl und zauberte damit ein breites Lächeln auf deren Gesicht.
„Kommt schon Leute, ein bisschen schneller, wenn ich bitten darf.“
Olli versuchte, die Meute dazu zu bewegen, die ganzen Sachen wegzuräumen, doch bei so vielen war das Chaos schon vorprogrammiert„Solang hier nicht alles weg ist, gibt’s kein Mittagessen, verstanden?“
Das war anscheinend das Stichwort, denn in Windeseile war alles vom Boden aufgehoben und in die Kisten getragen worden.
„Geht doch, wieso nicht gleich so?“
Die Leiter mussten lachen und schickten dann die Kids ins Esszelt.
„Treffen wir uns gleich irgendwo? Dann können wir mal besprechen, wie wir das mit Thomas bewerkstelligen.“
„O.k., gerne. Wo und wann?“
„Oben am Waldrand? Direkt am Anfang der Freizeit, oder?“
„Sehr gut, ich werde da sein.“
„Das will ich auch meinen. Denk dran, ich weiß, wo du ‚wohnst’.“
Beide mussten lachen und trotteten weiterhin den anderen hinterher. Kurz vor dem Esszelt trennten sich ihre Wege, da ihre Plätze an ganz verschiedenen Ecken lagen.
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bloodynatou. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.