von bloodyheart
„Na, habt ihr Lust, Frisbee zu spielen?“
Oliver hatte das Wort ergriffen und schaute sie auffordernd an.
„Oder ist das hier ne Frauenrunde, die man nicht stören sollte?“
Dabei schaute er auffällig zu Emilie, der es etwas mulmig wurde, bei dem Gedanken, dass auch er mit seinen Freunden über sie und Kerstin lästerte. Jan, Thomas und die zwei Mädchen lächelten die drei wissend und doch schweigend an.
„Nein nein, wir halten schon keine Kaffeekränzchen wie die alten Omas.“
Mary lachte.
„Also ich hätte auf jeden Fall Lust und was ist mit euch beiden?“
Sie sah, dass diese nicht wirklich ihre Begeisterung teilten, sich körperlich zu betätigen, aber das war ihr egal.
„Na los kommt schon, etwas Bewegung tut euch auch gut.“
Mit diesen Worten packte sie Emilie und zog sie hoch. Stoffl wollte sich grad ebenfalls erheben, als Thomas ihr seine Hand hinhielt. Sie schaute ihn ein wenig verdutzt an, packte jedoch zu und ließ sich bereitwillig hochziehen. Einen kurzen Moment schauten sie sich in die Augen und ihr Magen zog sich zusammen.
Doch Marys Hand packte ihren Arm und zog sie schon, keine Widerrede zulassend, zum Frisbeefeld.
Kerstin saß im Esszelt und schaute den anderen beim Frisbee zu. Sie musste lachen, da dauernd jemand die Scheibe gegen den Kopf oder ein anderes Körperteil geschmettert bekam. Eigentlich hätte sie einschreiten müssen, doch solange sich niemand ernsthaft verletzte und sie alle Spaß hatten, erschien es ihr unsinnig.
Plötzlich legte sich eine Hand von hinten auf ihre Schultern und sie zuckte ein wenig zusammen. Als sie sich umdrehte, sah sie Mike hinter sich stehen und knuffte ihm zur Bestrafung leicht in den Bauch.
„Erschreck mich nicht noch mal so, verstanden?“
„Aye aye Chefin, ich werde mich hüten. Und wie läuft’s bei euch beiden so?“
„Alles bestens, wirklich. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen, da bin ich mir sicher.“
„Und wann wirst du es Alex sagen?“
Kerstin seufzte laut und hob die Schultern bevor sie ihm antwortete.
„Je früher desto besser, es wird so oder so in einem Desaster enden. Sie wird ausflippen und ich werd mich glücklich schätzen, wenn ich heil aus ihrer Wohnung rauskomme.“
Mike musste bei dem Gedanken an dieses Szenario lachen und erntete einen weiteren Seitenhieb von Kerstin.
„Sei ruhig da, ansonsten beauftrage ich dich als meinen persönlichen Leibwächter, dann bekommst du alle Vasen ab, die zufällig durch die Luft fliegen.“
Jetzt musste auch Kerstin lächeln und schaute wieder zurück zu Emilie, die weiterhin vergnügt ihre Frisbeescheibe durch die Gegend schleuderte.
„Ich leg’s zwar nicht unbedingt darauf an, aber wenn du Hilfe brauchst, dann weißt du ja, wo du mich finden kannst.“
Mit diesen Worten verschwand er hinters Zelt. Kerstin gab ihm noch ein ‚Danke’ mit auf den Weg und schaute weiter zu Emilie, ließ ihren Blick über ihr ganzes Profil gleiten und dachte nicht im Geringsten daran, dass sie nicht die einzige war, die dies gerade tat.
Emilie musste wohl Kerstins Blicke im Rücken gespürt haben, denn sie drehte sich genau im gleichen Augenblick zu ihr um und schaute ihr genau in die Augen. Ein breites Grinsen umspielte ihren Mund und am liebsten wäre sie jetzt auf der Stelle zu Kerstin gegangen und hätte sie in den Arm genommen, aber das war ausgeschlossen. Leider...
„Kommst du jetzt auch mal bitte in die Gänge, Miss Grinsebacke?“
Mary hatte ihr den Frisbee genau vor die Füße geworfen und wartete nun auf eine Reaktion von Emilie. Sie hatte eigentlich die Scheibe in ihre Richtung geschmissen, in der Hoffnung, sie leicht zu treffen und sie so aus ihren Gedanken zu reißen, da die anderen auch schon guckten. Aber so musste Emilie halt die Blamage einstecken und mit rotem Kopf weiterspielen.
Mary konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, doch als sie das verschmitzt dreckige Grinsen von weitem kurz wahrnahm, verging ihr das Grinsen von einer Sekunde auf die andere und sie bekam nicht einmal mit, wie Anke ihr den Frisbee entgegenwarf, der letztendlich gegen ihren Kopf prallte und sie aus ihren Gedanken holte. Sie rieb sich den Kopf und spielte mit leichtem Unbehagen einfach weiter, nach dem dunklen Schatten Ausschau haltend, der ihr einige Sekunden zuvor solch einen Schauer über den Rücken gejagt hatte.
Emilie schaute sie ein wenig besorgt an, doch momentan konnte sie eh nichts für ihre Freundin tun und entschied sich daher, später ein wenig nachzuhaken.
Daniel und Philippe riefen alle zusammen und überließen dann dem ‚Big Boss’ das Reden.
„Wie schon heute morgen, werden wir auch heute Nachmittag all unsere Aufmerksamkeit den Wettspielen widmen. Doch diesmal geht es nicht um irgendwelche körperlichen Wettbewerbe ...“
Man konnte ein allgemeines Aufatmen verzeichnen.
„... jetzt geht’s darum, eure geistigen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Am Ende werden alle Ergebnisse zusammengerechnet und die zehn schlechtesten Spieler werden nach Hause geschickt!“
Dutzende entsetzte Gesichter schauten ihn an und sein Lächeln wurde immer breiter.
„Scheeeeerz... Mensch Leute, so langsam müsstet ihr mich doch kennen.“
Erleichtert atmeten sie aus und hier und da waren ein ‚Haha’ oder ‚Sehr witzig!’ zu hören.
„Nein, aber jetzt mal im Ernst, es wird folgendermaßen ablaufen: Zuerst wird es zwei Gruppen geben, Mädchen und Jungs. Dabei wird ermittelt, welches dieser Geschlechter das „intelligentere“ ist.“
Aufruhr bei den Kids.
„Ruhe bitte. Es gibt kein Grund, gleich loszuschreien. Beweist einfach, dass ihr dem anderen Geschlecht in nichts nachsteht und dann könnt ihr UNTER EUCH noch immer alles Weitere ausmachen. Jedenfalls wird dieser Wettstreit im Ess-zelt stattfinden. Die restlichen werden sich dann auf die verschiedenen Zelte verteilen. Genau das gleiche Prinzip wie beim Spielenachmittag, nur dass es diesmal um Punkte geht. Dieselben Leiter in denselben Zelten. Nach einer halben Stunde werden die Gruppen getauscht und man geht ins andere Zelt. Hat das soweit jeder verstanden?“
„Und was genau für Aufgaben wird’s geben?“, kam die Frage aus der Gruppe.
„Darunter wird sein: das altbekannte Tabu, Pantomime, Zeichnungen erraten, usw. Lasst euch einfach überraschen. Aber zuerst beginnen wir mit dem Geschlechterkampf im Esszelt und dort müssen die Zeichnungen erraten werden. Also hopp, teilt euch in die zwei Gruppen ein und setzt euch so, dass ihr gut auf die Tafel schauen könnt.“
Die Horde setzte sich in Gang und unter großem Gemurmel platzierten sich dann alle so, dass man genau zwischen Jungs und Mädels unterscheiden konnte.
„Zu eurer Belustigung und weil es sonst zu lange dauert, wechseln sich die Leiter unter einander mit dem Zeichnen ab. Daniel, du fängst an.“
Wie gebannt schauten alle dem Leiter zu, wie er – beinahe in Zeitlupe – das Kärtchen mit dem Begriff entgegennahm und ein wenig mürrisch begann, in Windeseile unerkennbare Formen und Figuren auf die Tafel zu malen.
Von allen Ecken kamen die merkwürdigsten Kommentare und Antworten, so dass einige vor lauter Lachen außerstande waren, überhaupt zu antworten.
„Truthahn.“
„Affe.“
„Bär.“
„Olli.“
Bei diesem Kommentar lagen alle flach, selbst die Leiter mussten sich das Lachen sichtlich verkneifen. Gespielt böse funkelte er den Übeltäter an und machte ihm Zeichen, dass er ja aufpassen solle.
„Fast..“, kommentierte Daniel das Schauspiel.
Da es wohl niemand erraten würde, malte er als großen Tipp noch einen Fußball neben das Bild.
„Rainer Callmund!“, schrieen plötzlich einige Jungs.
„Bingoo!“
Daniel wischte die Tafel aus während die anderen schon Tränen in den Augen hatten vor Lachen. Es versprach ein witziger Abend zu werden...
„Meine Güte bin ich kaputt!“
Mary ließ sich schwer auf die Bank fallen und hätte beinahe ihren Becher umgeworfen, als sie sich mit dem Kopf auf den Tisch legte. Dass sie auf ihrem blanken Teller lag, machte ihr scheinbar nichts aus.
„Ich weiß gar nicht, was du hast. War doch echt toll, der Nachmittag. Ich hab lang nicht mehr so viel gelacht.“
„Ja, du brauchst dich ja auch nicht wahnsinnig anstrengen bei solchen Dingen, du hast ja ’nen IQ von Albert Einstein. Aber ich ... ich bin nicht so ein kleines Genie. Die geistige Arbeit ist ja fast noch anstrengender als die körperliche.“
Sie schloss die Augen und wollte am liebsten nur noch einschlafen, egal wie, Hauptsache jetzt sofort.
„Verrücktes Huhn. Jetzt übertreib mal nicht. Nur weil ich nicht so k.o. wie du bin, heißt das noch lange nicht, dass ich intelligenter sein muss. Schließlich haben wir in der Schule auch ziemlich die gleichen Noten.“
„Ja, aber auch nur, weil du direkt neben mir sitzt und ich so meine Tricks habe.“
Sie mussten beide lachen und Emilie stieß ihre Freundin leicht an, damit sie bloß nicht auf die Idee kam, auf ihrem Teller einzuschlafen. Selbst als sie sich vorne das Essen holen gingen, musste Emilie Mary regelrecht zerren, damit sie in die Gänge kam.
Als sie dann endlich am Lagerfeuer saßen, konnte man von Mary nur noch ein gleichmäßiges Atmen vernehmen, was darauf hinwies, dass sie tatsächlich eingeschlafen war.
„Meine Güte, die hat’s aber eilig mit dem Schlafen. Hoffen wir mal für sie, dass heute keine Nachtspiel gemacht wird.“
Emilie schaute ihre Freundin, die zusammengekauert auf dem Boden lag, etwas besorgt an.
„Tüdelü.“
Kerstin pfiff leise vor sich hin und schaute unschuldig in den Nachthimmel.
„Och nöö, das könnt ihr Mary doch nicht antun. Habt etwas Mitleid mit der Armen.“
Emilie sah es schon bildlich vor sich, wie Mary irgendwo im dunklen Wald irgendwelche Spielchen mitmachen musste und nichts wirklich mitbekam.
„Es tut mir ja auch sehr leid für sie, aber es geht nun mal nicht anders. Und du bleibst dieses Mal auch noch hier, es ist zu gefährlich für dich im Dunkeln.“
„Och, wenn es so wird wie das letzte Mal, habe ich absolut nichts dagegen.“
Emilie grinste Kerstin frech an.
„Da habe ich noch eine schlechte Nachricht für dich, so leid es mir tut. Die anderen brauchen mich heute unbedingt bei dem Spiel, deshalb kann ich leider nicht bei dir bleiben, aber ich lasse dir Mike hier. Der passt schon auf dich auf, damit dich niemand klauen kommt.“
Emilie zog ein langes Gesicht. Kerstin hätte sie zu gern in den Arm genommen, aber vor all den anderen ging dies auf keinen Fall. Sie mussten ja schon die ganze Zeit Flüsterton anschlagen, damit auch bloß niemand horchen konnte.
Sie rutschte etwas näher und schloss die Hand in ihre, was Emilie wenigstens ein wenig aufbaute.
„Bitte sei nicht traurig. Wir werden noch viele schöne Nächte haben und das ohne Angst haben zu müssen, dass jeden Moment die anderen wiederkommen.“
Sie schaute sie von unten her an und lächelte ihr aufmunternd zu. Emilie nickte und drückte einmal fest Kerstins Hand um sie im nächsten Moment loszulassen, weil sie nichts riskieren wollte.
Mary wurde erst wieder wach, als man alle in die Zelte zum Schlafen schickte und Emilie sie leicht wachrüttelte.
„SCHLAAAAFFFEEEEN!“
Das war das einzige, was sie rausbrachte und Kerstin und Emilie mussten so sehr lachen, dass die anderen schon argwöhnisch in ihre Richtung schauten.
Im Zelt angekommen schmiss sich Mary in voller Montur auf ihre Matratze und schlief augenblicklich wieder ein.
„Da hat es aber jemand schwer.“
Elke stand in der hinteren Ecke des Zeltes und schaute Mary an, die es sich halb auf der Matratze, halb auf dem Boden bequem gemacht hatte.
„Das war wohl zu viel für sie, der heutige Nachmittag“, blödelte Emilie herum.
„Wenn sie ihren Kopf zu sehr anstrengen muss, passiert immer wieder das Gleiche, sie schläft. Versteh einer die Frauen..“
„Das sagt die Richtige.“
Stoffl kramte gerade ihre Schlafsachen raus und zwinkerte Emilie zu, dass sie nur einen Spaß gemacht hatte.
Emilie winkte ab, packte ihre Waschsachen und ging zum Waschzelt. Auf dem Rückweg kreuzte Kerstin ihren Weg.
„Ich hab gehofft, dich noch kurz sehen zu können.“
„Ich auch. Wenn ich schon mit Mike vorlieb nehmen muss heut Abend. Aber ich werds mir auf meiner Matratze bequem machen und schön brav schlummern.“
„Das hast du dir auch verdient. Kurier den Fuß mal gut aus und schlaf dich wieder gesund. Versprochen?“
„Aye aye, madame.“
Emilie salutierte vor Kerstin, hauchte ein kurzes „Gute Nacht“ und verschwand zu den anderen ins Zelt.
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bloodyheart. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.