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Verlangen (15)

von Any1217


Die kommenden Wochen waren furchtbar. Marie und ich gingen uns meist aus dem Weg. Der Streit hatte unser Verhältnis auf kühlen Smalltalk reduziert, wenn man sich doch mal traf. Mia bemerkte zwar auch diesmal, dass etwas anders war, einen erneuten Versuch uns beide zu versöhnen unternahm sie jedoch nicht.


Darüber war ich aber auch ganz froh. Schließlich war so gut wie alles gesagt. Marie wollte mehr als hin und wieder einen Kuss, ich konnte ihr nicht mehr bieten. Obwohl mein Verstand mir sagte, dass es so besser ist, fühlte ich mich schlecht. Ich war unglücklich. Mit jedem Tag schien es schlimmer zu werden. Vor allem, seit ich die blonde Frau – mittlerweile wusste ich, dass sie Chrissi hieß – öfter bei Marie sah. Zwar sah ich die beiden nie Händchen halten oder sich küssen, aber mir war auch klar, dass Marie nicht ewig alleine bleiben würde.

Auch Thomas merkte wie unglücklich ich war. Mehrmals sprach er mich darauf an und fragte, was mit mir los sei. Ich erwiderte ihm bislang jedes Mal, dass ich momentan einfach etwas down bin und gab vor, momentan viel Stress zu haben. Was auch stimmte, da ich meine Stunden vor Kurzem etwas erhöht hatte und statt an zwei Tagen die Woche jetzt vier Tage arbeiten ging. Einerseits war es anstrengender, andererseits tat es mir auch ganz gut öfter raus zu kommen und Ablenkung zu haben. In der Arbeit kam ich bei weitem nicht so viel dazu, mir Gedanken um Marie und unsere missliche Lage zu machen. Aber war es für Marie überhaupt noch eine missliche Lage? Oder hatte sie bereits damit abgeschlossen? Zumindest hatte sie sich einer anderen zugewandt. Chrissi. Mein Magen verkrampfte sich und ich war wütend auf diese Frau. Stink sauer. Sie und Marie – das wollte mir nicht in den Kopf.

„Lena?", fragte Thomas plötzlich, der mit gegenüber am Frühstückstisch saß. Er musste heute früher aus dem Haus, es war gerade mal kurz nach 5 Uhr. Mia schlief noch tief und fest. Da ich nicht mehr schlafen konnte, stand ich mit Thomas zusammen auf. „Ähm.. was?", räusperte ich mich. „Was ist bloß in letzter Zeit mit dir los? Du bist traurig und abwesend. Manchmal glaube ich in deinem Blick auch Wut zu sehen. Aber du willst mir einfach nicht sagen, warum. Du sagst zwar, es wäre der Stress wegen der Arbeit – aber das glaube ich dir nicht so ganz. Wir kennen uns doch jetzt schon so lange. Manchmal brauchst du zwar etwa Zeit, bis du mit der Sprache raus rückst, aber diesmal ist es anders. Jeden Tag wird es schlimmer und du machst gar keine Anstalten, dich mir anzuvertrauen.", sagte er mit traurigem und enttäuschten Blick. Es tat mir so leid, dass ich momentan so unausstehlich war. Aber ich konnte es ihm nicht erklären. Für einen Streit – und darauf würde es unweigerlich hinaus laufen – war ich momentan einfach nicht in der Verfassung. „Ich weiß auch nicht, Thomas. Es tut mir auch wirklich sehr leid, dass ich momentan so miese Laune habe. Ich hoffe es wird bald besser.", gab ich wahrheitsgemäß zurück. „Hmm.. Du weißt ja, ich habe jederzeit ein offenes Ohr.", lächelte er mich aufmunternd an. Dann las er weiter in der Zeitung, auch ich starrte meinen Teil der Zeitung an, jedoch ohne etwas darin zu lesen.

Thomas sprach meine Laune in den kommenden Tagen nicht mehr an. Immer wieder überraschte er mich mit kleinen Aufmerksamkeiten, führte mich schön zum Essen aus und versuchte mich aufzumuntern, wo es nur ging. Zum Teil funktionierte das auch einigermaßen und ich vergaß für kurze Zeit meine Misere. Allmählich hatte ich auch das Gefühl, dass es wieder bergauf ging. Zwar sehr langsam, aber die Momente in denen ich voller Verzweiflung stille Tränen weinte, wurden weniger. Bis zu diesem einen Tag.

Es war ein Donnerstag Anfang März. Die Luft war angenehm frisch und es roch nach Frühling. Ich war gerade dabei den Garten nach dem Winter ein wenig auf Vordermann zu bringen. Halb hinter einer üppigen Hecke verborgen, war ich dabei diese zurück zu schneiden. Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie gegenüber ein schwarzer VW Polo parkte. Das Auto von Chrissi. Ich beobachtete im Schutz der Hecke, was sich abspielte. Chrissi stieg zwar aus, machte aber keine Anstalten zur Haustür zu gehen. Stattdessen tippte sie auf dem Handy herum. Dann ging die Haustür auf und Marie kam mit einem Lächeln auf Chrissi zu. Instinktiv duckte ich mich noch etwas weiter hinter die Hecke. Marie sah umwerfend aus, enge Jeans schmiegten sich an ihre Beine. Sie trug passend zu ihren Sneakern einen türkisfarbenen Pulli. Darüber eine etwas dickere, graue Weste. Sie hatte Make Up aufgelegt, wenn auch nur sehr dezent.

Ich hörte ein „Hey", dann schlang Chrissi ihre Arme um Marie und küsste sie leidenschaftlich. Mir rutschte das Herz in die Hose und ich hörte ein Rauschen in den Ohren, welches von einem schrillen Pfeifton begleitet wurde. Ich taumelte zurück und wandte den Blick ab. Mir war zwar klar, dass zwischen den beiden vermutlich mehr war, aber bisher sträubten sich meine Gedanken gegen solche Bilder. Bisher versuchte ich mir einzureden, dass die beiden sich nur gut verstanden, vielleicht auch erst mal besser kennen lernen wollten. Und ich hoffte darauf, dass Marie feststellen würde, dass Chrissi nicht ihr Typ war. Nun aber, da ich es mit meinen eigenen Augen sah, wurde aus Vermutungen Gewissheit. Ich wankte zurück ins Haus und stieß dabei den Behälter mit Gartenabfällen um. Mir war es egal, ob Marie mich sah – ich wollte einfach schnell weg.

Eigentlich dachte ich, es würde langsam wieder besser werden mit meiner Laune. Stattdessen beförderte mich die Realität in ein noch tieferes Loch. Die Tage und Nächte verschwammen, schienen unter dichtem Nebel zu liegen. Kaum etwas nahm ich richtig wahr, starrte vor mich hin. Ich drohte in eine Depression ab zu rutschen. Dann fiel mir ein, dass ich von Ida das Angebot erhalten hatte zu reden. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich fühlte mich so elend, dass ich mir gar keine Gedanken darüber machte und in mein Handy tippte: „Hallo, ich bin es. Lena. Können wir uns treffen? Hätte heute Nachmittag Zeit". Kurz darauf kam schon die Antwort: „Heute Nachmittag ist es eher ungünstig, wie sieht es am Abend aus?". Ich sagte zu, da Thomas mir heute ohnehin einen freien Abend gönnen und sich um Mia kümmern wollte.

Wir trafen uns in einem kleinen Café, das Abends Cocktails und einige Kleinigkeiten zum Essen anbot. Ida schien noch nicht da zu sein, also setzte ich mich in eine ruhige Ecke an einen kleinen Tisch für zwei. Vermutlich war er eigentlich für Pärchen gedacht. Wie schön es jetzt wäre, wenn statt Ida Marie käme. Ich verlor mich in diesem Tagtraum und schreckte zusammen, als der mir gegenüberliegenden Stuhl mit einem scharren zurück gezogen wurde. Ida setzte sich und sah mich besorgt an. „Hey Ida!Danke, dass du gekommen bist!". „Kein Ding. Ich hatte es dir ja angeboten. Du siehst verdammt fertig aus. Als ich dich eben schon begrüßte, hast du gar nicht reagiert", sagte sie und musterte mich. „Ich schätze, es geht um Marie", setzte Ida an. Ich nickte nur und musste schlucken um nicht in Tränen auszubrechen. „Marie hat anscheinend eine neue Freundin. Sie ist oft da und vor ein paar Tagen hab ich sie gesehen, als sie sich küssten", schluchzte ich. Ida sah mich verständnisvoll an, sagte aber nichts und wartete darauf, dass ich fortfuhr.

Ich zögerte, war es doch eigentlich eine völlig Fremde. Andererseits hatte ich vielleicht gerade deshalb nichts zu verlieren. Schließlich kannte sie niemanden aus meinem Umfeld – ausgenommen Marie natürlich. Ich entschloss mich die Karten auf den Tisch zu legen. „Ich glaube, ich habe mich in Marie verliebt", flüsterte ich mit zu Boden gewandtem Gesicht. „Aber ich bin verheiratet mit einem fürsorglichen, anständigen Mann. Zudem habe ich eine kleine Tochter. Meine Familie ist mir sehr wichtig und ich möchte sie auf keinen Fall zerstören. Andererseits habe ich diese Gefühle für Marie entwickelt, Gefühle von denen ich nicht mal wusste, dass sie existieren. Ich habe zuvor nie etwas für Frauen empfunden. Ich habe das Gefühl innerlich kaputt zu gehen, wenn ich Marie mit der anderen Frau sehe. So gerne würde ich einfach zu Marie gehen und...", ich geriet kurz ins stocken. „Es zerreißt mich, einerseits ist da meine Familie, die ich über alles liebe – wenn auch meine Gefühle gegenüber Thomas stark nachgelassen haben. Andererseits ist da Marie und dieses neue aufregende Gefühl. Ich möchte sie im Arm halten, viel Zeit mit ihr verbringen, sie küssen", ich wurde immer leiser und konnte die Tränen kaum noch zurück halten. Ida legte mir eine Hand mitfühlend aufs Bein, da brachen alle Dämme und ich weinte hemmungslos. Sie nahm mich in den Arm und strich mir tröstend über den Rücken ohne etwas zu sagen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich mich wieder etwas beruhigt und richtete mich auf. Mit verquollenen, geröteten Augen sah ich Ida an. „Marie erzählt nie viel über ihr Liebesleben. Aber man merkt ihr an, wenn sie verliebt ist. Momentan scheint sie eher bedrückt zu sein, als verliebt. Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube kaum, dass sie für Chrissi tiefere Gefühle hegt. Von dir hat sie oft erzählt, sie schwärmte geradezu. Zwar hat sie es nicht offen gesagt, aber in dich schien sie sehr verliebt zu sein. Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorgeht und was sie mit der neuen Liaison bezweckt. Aber ich glaube für dich ist es wichtiger, erst mal zu dir selbst zu finden".

Es entstand eine kurze Pause, als die Bedienung unsere Bestellung aufnahm. Wir aßen und unterhielten uns noch ein wenig über unsere Jobs, die Familie und das Wetter – es war ungewöhnlich warm für Mitte März. Als wir fertig waren, setzte Ida erneut auf das Thema Marie an. „Hör mal, ich kann verstehen, wie schwer es für dich sein muss. Aber so kann es doch auch nicht weiter gehen. Denn ich frage mich ernsthaft, ob es für euch als Familie so gut ist, wenn du dauerhaft so fertig bist. Es ist natürlich deine Sache, aber ich an deiner Stelle würde mal vorsichtig bei deinem Mann vorfühlen, wie er denn zu dem ganzen Thema steht. Offensichtlich hat er ja kein Problem damit, dass Marie ist wie sie eben ist. Zumindest demnach zu urteilen, was du mir beim Essen erzählt hast. Vielleicht kannst du dich ja überwinden und ein bisschen andeuten, dass du Frauen ganz allgemein anziehend findest. Mal sehen wie er reagiert", sagte sie aufmunternd.

Mit gefiel die Idee, Thomas zumindest teilweise von meinem Verlangen zu erzählen, ohne zu viel zu verraten. Auch mir würde es gut tun, es nicht länger geheim halten zu müssen. Wer weiß, vielleicht ist ja auch das der Grund für meine schlechte Stimmung. Oder zumindest mit dafür verantwortlich.

Ich verabschiedete mich bei Ida und bedankte mich für ihr offenes Ohr. Dann nahm ich ihr noch das Versprechen ab, Marie nichts von unserem Gespräch zu erzählen. Wir umarmten uns und ich ging guter Dinge und erleichtert, mich jemandem anvertraut zu haben, nach Hause.



copyright © by Any1217. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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