bloss nicht outen

von flower_of_eden


„Hey, Du blöde Lesbe!"

Der Satz lässt das Blut in mein Gesicht steigen. Ich stehe an der Tafel und schreibe etwas an. Wenn ich mich umdrehe, werden sie es sehen. Ich spreche also und male noch schnell eine Illustration an, die sie sowieso nicht verstehen werden. Meine Klasse. Die meisten sind Mädchen. Hübsche Mädchen. Teilweise etwas dumm. Teilweise mehr mit ihrer Pupertät beschäftigt als mit ihrer Ausbildung. Teilweise in einer Selbstfindungsphase. Aber alle sind sie immer sehr freundlich zueinander und geben sich so liebevolle neue Namen. Blöde Lesbe ist da schon fast ein Kosewort. Da stehe ich nun, mit rotem Gesicht, und wage nicht, mich umzudrehen. Denn ich bin ihre Lehrerin. Ich bin die Lehrerin, die sie schon länger kennen. Sie haben mich schon mal mit meinem Verlobten gesehen. Aber der ist nicht mehr. Mein ganzes Leben ist nicht mehr so, wie es mal war. Alles, was SIE sehen, ist, dass ich mein Haar etwas kürzer trage.

Ok, Du drehst Dich jetzt um und thematisierst das. Nein, Du drehst Dich nicht um. Es geht sie nichts an, mit wem Du ins Bett gehst. Aber es wäre doch so gut, wenn sie etwas mehr Toleranz lernen würden. Aber nicht von mir.

Und dann denke ich an meine Freundin, meine Frau, meinen Engel. Das Wesen, das mein Leben umgekrempelt hat. Ich könnte jetzt einfach die Augen schließen und von ihr träumen. Das geht nicht, ich muss unterrichten.

Jene jungen Leute, die noch nicht viel wissen. Sie wissen nichts davon, dass man auch vom vorgegebenen Lebensweg abweichen kann. Dass es nicht die Bestimmung der Frau ist, sich für das Auskommen an einen Mann zu prostituieren. Dass man das Leben auch selbst meistern kann. Dass Familie und Kind nicht immer der richtige Fluchtweg sind, um sich nicht dem Leistungsdruck stellen zu müssen.

Aber ich weiß ja auch nichts von ihrem Leben. Von den Dingen, die sie beschäftigen. Vielleicht kann es ja sein, dass es wichtiger ist, einen Freund zu haben. Vielleicht kann man mit ihm sogar Spaß haben. Vielleicht ist es nicht so schön, jung zu sein. Mit wenig Perspektive. Um einen herum nur Arbeitslosigkeit, Drogen, Hass. Und Konsum. Und dann sind da noch die Lehrer, die einen davon abhalten, das zu tun, was man will. Es wäre sicher viel besser, nicht in der Schule absitzen zu müssen. Vielleicht könnte man ja was besseres tun. So aber macht man es sich halt zum Sport, sich der Macht nicht zu beugen. Bloß nicht tun, was von einem erwartet wird. Das wäre uncool. Uncool sein ist schlecht. Lehrerinnen sind uncool.

Wie schön es wäre, nicht als alternde Jungfer vor ihnen zu stehen. Als eine, die keinen Mann abbekommen hat. Der der Mann weggelaufen ist. Eine, die keinen Spaß kennt. Erst recht nicht die Freuden der Sexualität. Oh Kinder, wenn IHR wüsstet. Wenn Ihr von den durchwachten Nächten wüsstet, halb in Trance, halb in Exstase. Wenn Ihr wüsstet, was in mir vorgeht, wenn ich an ihre wunderbaren Augen denke, an ihre Brüste, an ihr Lächeln. Wenn Ihr mich in der Szenekneipe sehen könntet, ohne Kostüm, ohne Absätze, ohne den strengen Blick.

Ich hasse dieses Leben. Will endlich nicht mehr darüber nachdenken, wem ich was sage. Da hängt dieses Damoklesschwert über mir. OUTING steht drauf. Aber solche Sprüche wie der eben machen es nicht leichter. Ich will nicht meine Handlungen mit meinem Privatleben begründet sehen.

Ich drehe mich um. Vor mir das Mädchen mit der Regenbogenbordüre am Rucksack. Nettes Ding. Ob sie...? Habe sie beobachtet. Geben sich die jungen Dinger alle Küsschen auf den Mund, wenn sie sich begrüßen? Ich räuspere mich. Nicht, dass es etwas bringen würde. Ich kann froh sein, wenn die vorderste Reihe mitbekommt, was ich sage. „So, wiederholt bitte das von heute, im Buch auf Seite..." Ich drehe mich wieder um und schreibe die Zahlen an die Tafel. Als ich mich wieder zur Klasse wende, da ist die Hälfte schon zum Zimmer raus. Sie werden es nicht wiederholen. Sie werden es nicht wissen das nächste Mal. Und ich werde einen Test schreiben. Sie werden sich ne schlechte Note einfangen. Sie werden wütend auf mich sein, weil ich so eine fiese Lehrerin bin.

Aber wenigstens werden sie nicht wütend auf die blöde Lesbe sein...