von Taishi
„Kyuu!“
„Kyuu?“
„Ja, kyuu!“ Sie lag über meinem Schoß und ich schaute fragend in ihre strahlend grünen Augen. „Das heißt, dass ich gerne einen Kuss hätte.“ Ich dachte mir nichts dabei, beugte mich zu ihr runter und gab ihr einen Kuss auf ihre zarte Wange. Als ich meine Lippen wieder von ihr löste, grinste sie mich breit an.
Wir saßen noch eine ganze Weile so da. Es wurde dunkel und Zeit sich zu verabschieden. Wir hielten uns fest im Arm und sie flüsterte mir ein leises „kyuu“ in mein Ohr und ich küsste sie wieder auf die Wange. „Bis nächste Woche auf dem Fotoshooting.“, sagte ich ihr lächelnd hinterher.
Als ich zu Hause war, kuschelte ich mich in mein Bett und konnte nicht aufhören, an sie zu denken, doch ich dachte mir nichts dabei.
Endlich kam das nächste Wochenende und ich fuhr eine halbe Stunde zu ihr, nur um sie abzuholen, weil sie sonst nicht hätte kommen können. Als ich sie beim Rathaus aufsammelte, stand sie mit einem kleinen weißen Stoffhäschen im Arm da und sprang mir freudig entgegen, als sie mich sah. „Hier, für dich!“ Sie streckte mir das Häschen entgegen, es war mein vorträgliches Geburtstagsgeschenk, selbst genäht. Sie konnte keine Woche mehr abwarten, um es mir zu geben.
Wieder bei mir, zogen wir uns schnell für das Fotoshooting um und trafen uns mit weiteren Freunden beim Schloss.
Mein schulterfreies Cosplay war nicht die beste Idee im Winter, aber eine Gelegenheit mehr, in jeder freien Minute mit ihr zu kuscheln, um uns gegenseitig zu wärmen.
Nach ein paar Stunden hatten wir es überlebt und waren wieder auf dem Weg zu mir nach Hause. Ich hatte sturmfrei und sie eingeladen bei mir zu übernachten.
Nach einer heißen Schokolade lagen wir noch Stunden zusammen im Wohnzimmer und haben Filme geschaut und gequatscht – ihr Kopf auf meinem Bauch.
And I knew it from the start
So my arms are open wide
Your head is on my stomach
And we're trying so hard not to fall asleep
(Blue October – 18th floor balcony)
Schließlich wurden wir müde und legten uns Arm in Arm in mein winziges Bett. Es war dunkel, das Nachtlicht schon aus.
„Kyuu.“ Ich küsste sie auf die Wange. „Nein, einen Soubi-Kuss!“ Soubi war ein Charakter, aus unserem Lieblingsmanga, der seinen Freund Ritsuka immer auf den Mund küsst. Ich beugte mich über sie und küsste sie auf ihre weichen Lippen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, mir anschließend auf die Unterlippe zu beißen und vor mich her zu grinsen – doch an Einschlafen war erst einmal nicht zu denken.
Scheinbar gelang es mir doch irgendwann, denn am nächsten Morgen wurden wir von meinem ach so lieben Handywecker aus dem Schlaf gerissen.
„Guten Morgen.“, begrüßte ich sie und sie lächelte mich an und schob sich in meine Arme. Würde sie nicht so früh abgeholt werden, wären wir sicher in dieser Position wieder eingeschlafen.
Als wir uns schließlich zum Frühstück aus dem Bett nach unten in die Küche quälten, wollten wir uns nicht mehr loslassen in der Befürchtung, ihre Mutter würde zu früh kommen und wir hätten die Zeit nicht mehr genutzt.
Dann klingelte auch schon ihr Handy, ihr Mutter wäre in 5 Minuten da. „Ich mag nicht so gerne, wenn meine Mum mich sieht, wie ich ein Mädchen küsse. Sie weiß, dass ich bi bin, aber irgendwie geht sie nicht so locker damit um, wie ich es mir wünschen würde.“, erzählte sie mir, als wir auf dem Weg zur Tür waren. Wir umarmten und zum Abschied und wieder flüstere sie mir ein „kyuu“ ins Ohr und ich küsste sie. Dann ging sie aus dem Haus, doch nächste Woche würden wir uns schon wieder sehen, zu meinem Geburtstag. Leider musste ich davor wieder einmal nach Vechta fahren, um meinen Pflichten als Studierende nachzukommen und zur Uni zu gehen. Bis spät in die Nacht schrieben wir uns Mails und jeden Abend schlief ich, mit dem weißen Häschen kuscheln, ein, das so sehr nach ihr roch, dass ich es bewahren wollte, dass es seinen Duft nie verlieren sollte. Mit jedem Atemzug wuchs die Sehnsucht, sie endlich wiederzusehen und ich war einfach nur glücklich, als endlich das Wochenende bevorstand.
Ich feierte mit ein paar Freunden in meinen Geburtstag, doch noch lange, bevor der Rest der Gäste kam, traf ich mich schon mit ihr und wie verbrachten den Tag zusammen.
Als dann am Abend der Rest eintraf, feierten wir einen der witzigsten Geburtstage zusammen, die ich je hatte.
Kurz bevor es Mitternacht wurde, klingelte es plötzlich an der Tür und zwei weitere Freundinnen durfte ich in die Arme schließen. Das schönste Geburtstagsgeschenk jedoch war an diesem Abend der Kuss von ihr um kurz nach Mitternacht.
Auch diese Nacht verbrachte sie bei mir, und einander im Arm liegend schliefen wir ein.
Am nächsten Morgen gab es ein Geburtstagsfrühstück mit meiner Familie – und ihr. Meiner Familie traute ich es noch nicht zu sagen, dass ich tatsächlich verliebt bin, in ein Mädchen. Darum begann an diesem Tag ein witziges Versteckspiel – das wenigstens für diesen Tag witzig war. Bevor wir nach unten gingen, küssten wir uns. Bevor wir die Tür zur Küche öffneten, küssten wir uns. Das Frühstück selbst war, trotz meines Geburtstags, nicht von Bedeutung. Vielmehr versuchten wir uns so unauffällig wie möglich anzulächeln, die Hand einander zu streichen, nur um uns berührt zu haben. Schließlich war das Frühstück überstanden und wir beschlossen nach oben zu gehen um ihre Tasche zu holen, da sie schon bald wieder abgeholt werden würde. Wir gingen in den Flur, schlossen die Tür hinter uns. Sie blieb vor mir stehen. Ich hielt sie am Arm und zog sie zu mir. Unsere Lippen trafen sich, als gierten sie nach nichts anderem.
Als ihre Eltern kamen, verabschiedeten wir uns erneut für das nächste Wochenende. Ich hatte wieder sturmfrei und wir machten uns einen schönen Tag auf dem Weihnachtsmarkt, auf dem ich allen seltsamen Blicken zum Trotz keine Chance entgehen ließ, sie zu küssen. Wir gönnten uns eine Fahrt auf dem Riesenrad, das einen wunderschönen Blick über den ganzen leuchtenden Markt bot. Romantikkiller war leider das ältere Pärchen, dass sich zu uns in die Gondel setzen musste und uns volltextete. Doch als wir kurze Zeit ganz oben standen und sich das bunte Leuchten vor uns ausbreitete, konnte ich nicht umhin, ihre Lippen mit den meinen zu berühren.
Mit meinen Lippen
auf die deine zu tippen -
das ist es, was ich grade denke.
(Bodo Wartke – Was ich gerade denke)
Doch auch dieser Tag wurde von der Nacht vertrieben.
Nachträglich zu meinem Geburtstag gab ich für meine anderen Mädels, die mit denen aus der ersten Feier nichts gemein hatten, noch einen Brunch bei mir, der abends in einer nachträgliche Weihnachtsfeier enden sollte.
Wir hatten eine Menge Spaß den Vormittag über und verabschiedeten uns schließlich bis zum Abend. Zwei aus unserer Clique konnten leider nicht dabei sein, die eine aus Zeit-, die andere aus Krankheitsgründen.
Wir mümmelten uns ins Wohnzimmer und schauten eine DVD. Sie waren meine besten Freundinnen und ich dachte mir nur, ich will ihnen auch endlich erzählen, wie sehr ich mich verliebt habe. An einer etwas ruhigeren Stelle im Film sagte ich kurz, wenn er aus ist, müsse ich ihnen was erzählen. Okay, noch etwa eine Stunde, um mir zu überlegen, wie genau ich es denn erzählen solle. Von dem Film hab ich durch meine ganzen Überlegungen nicht mehr viel mitbekommen. Als er aus war, dachte ich mir, ich müsse es ja auch nicht erzählen – ich hätte nicht erwartet, dass es mich so eine Überwindung kosten würde.
„Nina, du wolltest uns was erzählen, oder?“, kam es plötzlich aus der hinteren Sofaecke. Na dann mal los: „Ach ja, ich hab mich verliebt.“ „In wen denn?“ „In Rike.“ „Ach, die, die dich auf deinem Geburtstag geküsst hat? Hab mich schon gefragt. Süß, freut mich für dich.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen, wie locker sie alle damit umgingen. Dafür liebe ich meine Mädels.
Bei einem weitern Treffen mit ihr in einer großen Gruppe, kam auch meine Schwester dazu. Wir küssten uns einfach vor den anderen, bis schließlich am Abend meine Schwester zu uns stieß. Wir waren noch in einer kleinen Gruppe in eine Kneipe etwas trinken gegangen. Ich bin auf die Toilette gegangen und als ich aus der Kabine in den Vorraum ging um mir die Hände zu waschen, stand sie plötzlich auch da. Es war sehr eng, sie stand an die Wand gelehnt. Ich wusch mir die Hände und drehte mich zu ihr. Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie. Wir standen einige Minuten einfach nur da, eng umschlungen an der Wand gelehnt und uns küssend. Erst, als jemand anderes auch die Toilette benutzen wollte und darum die Tür in meinen Rücken stieß, wurden wir unterbrochen. Kichernd verließen wir die Toilette und gesellten uns wieder zu unserer Gruppe, die sich auch kurz darauf schon wieder auflöste und jeder zu sich nach Hause fuhr – auch sie.
Kurze Zeit später neigte sich das Jahr schon wieder seinem Ende und Silvester stand vor der Tür. Wir saßen in meiner Clique bei einer Freundin in der Küche und bereiteten uns darauf vor, das neue Jahr gebührend zu begrüßen. Leider konnte Rike nicht mitkommen und so blieb auch mein Neujahrskuss aus.
Das lecker gekochte Essen war verputzt und wir saßen in unserer Clique noch Stunden am Küchentisch und unterhielten uns. Zwei meiner Freundinnen meinten plötzlich, sie müssten auch etwas erzählen. Da bei unserem letzten Treffen eine krank war, konnten sie es zwei Wochen zuvor, wie ursprünglich geplant, noch nicht erzählen. „Ach man, das ist so schwer. Sagt ihr mal was, fragt einfach.“, begann eine von ihnen. „Was sollen wir denn fragen?“, kam von einer anderen. Ich hatte schon einen Verdacht, so gut, wie ich mich in dem Moment in sie hineinversetzen konnte – vor zwei Wochen ging es mir genauso. Langsam lüftete sich das Geheimnis die beiden outeten sich als bi. „Nein, ihr auch?!“, warf ich lachend in die Runde. „Nina, du auch?“, die einzige, die von vor zwei Wochen nichts mitbekommen hatte, war mit den plötzlichen neuen Infos total überrascht worden. Diese bekam sie auch noch gerade kurz bevor sie von ihrem Freund zu einer anderen Feier abgeholt wurde. „Oh man, müsst ihr das jetzt sagen, wo ich los muss? Wir müssen uns morgen noch mal treffen, ich hab noch ganz viele Fragen an euch!“
So wussten schließlich alle meine wichtigsten Mädels davon – und wir hatten Spaß dabei.
Drei Tage später traf ich sie dann endlich wieder. Wir waren zusammen auf einem weiteren Fotoshooting, zu dem ich mir wünschte, gar nicht erst hingefahren zu sein.
Wir haben ein nettes Mädchen kennengelernt, dass sie leider sehr zu mögen schien. Zu Beginn war alles noch normal zwischen uns, doch ich merkte, dass sich ihre Mails nach uns nach veränderten und öffentliche Nachrichten an dieses andere Mädchen immer mehr unseren damaligen Mails ähnelten.
„Du hast dich in eine andere verguckt, oder?“, schrieb ich ihr irgendwann.
„Woher weißt du das?“
„Es ist offensichtlich.“
„Ist es schlimm?“
Ob es schlimm ist? Ob es schlimm ist? Das Mädchen, in das ich mich verliebt habe, das sich noch nicht fest binden wollte, dem ich dennoch meine Liebe gestand, an das ich Tag und Nacht dachte, dass ich doch auch schon so oft geküsst hatte, dieses Mädchen fragte mich jetzt, ob es schlimm sei, wenn sie sich in eine andere verliebt hat? Ich sah den Bildschirm nur noch verschwommen.
„Natürlich nicht, ist doch kein Problem.“
copyright © by
Taishi. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.