von tatzino
Jetzt sitze ich hier in diesem ungemütlichen Café aus den 70ern mit meiner Kollegin, plaudere über Belanglosigkeiten, schaue über die kleine, regennasse Fussgängerzone - ein Tag wie jeder andere. Ganz plötzlich, wie ein Blitz ist alles wieder da... SIE ist da... Ich kann SIE spüren, deutlich, ganz nah bei mir... Gänsehaut schauert über meinen Körper, rennt auf und ab und lässt nicht ein Fleckchen aus. Diese Stelle zwischen meinen Schulterblätter tobt wilde Tänze und vom Sonnengeflecht breiten sich heftige, für jeden sichtbare Zitterwellen aus.
Wo ist SIE nur??? Verwundert betrachtet mich meine Kollegin, sieht all diese Veränderung und mein angespanntes, von roten Flecken gezeichnetes Gesicht und meine suchenden Blicke, das Beben meiner Hände, unfähig die Tasse zu halten...
Und meine Gedanken reisen etliche Jahre in die Vergangenheit - zurück zu IHR...
Ich hatte gerade die größte Krise meines Lebens überschritten, fühlte mich einsam in dieser großen, fremden Stadt, glaubte, alles, aber vor allem den Glauben an die einzigartige, große Liebe verloren. Zu dieser Zeit suchte ich Zuflucht in einem dieser unpersönlichen Chats, textete wild durch die Runde und es fand sich mit der Zeit eine kleine Runde von Frauen, die mir mit ihrem Humor und Wortspielereien, hier und da ein Lachen schenkten und kurze Zeit die Einsamkeit vertrieben. Mit ein paar Frauen traf ich mich gelegentlich und es entwickelte sich zu einer eine Freundschaft. Eines Tages wurde sie in diesem Chat von einer Neuen angebaggert und es schien, als ob sie sich kennen würden. Meine Bekannte war jedoch völlig ahnungslos, bis die Neue sich irgendwann zu erkennen gab. Sie war tatsächlich eine Freundin von ihr... Immer öfter schrieben wir drei uns, stets war die Neue mit von der Partie und mehr und mehr begannen wir miteinander zu flirten. SIE gefiel mir, IHRE Art, sich auszudrücken, IHRE Worte, IHR Humor und IHRE sensibele Ernsthaftigkeit. Wir tauschten Handynummern, meine Bekannte zog sich mehr und mehr zurück, überließ uns schmunzelnd den eingeschlagenen Weg. Wir schrieben uns öfter, täglich stundenlang, führten per SMS oft lange Gespräche und entdeckten uns langsam immer mehr. SIE machte mich neugierig, flirtete zaghaft und ich freute mich auch jede SMS von ihr. Oft stand ich einfach nur da, mit strahlenden Augen mit einem seligen Lächeln. SIE schlich sich von Tag zu Tag mehr in mein Herz.
Als mir dies bewusst wurde, fragte ich, ob SIE mit mir telefonieren möchte, aber SIE lehnte es ab. Deutlich und entschieden verweigerte SIE das Gespräch, das längst überfälligeTelefonat. SIE könne nicht mit mir sprechen, SIE fürchtete sich vor dem Gefühl, was meine Stimme in IHR auslösen könnte. Und eines Tages erzählte Sie mir von IHREM grausamen Drama, IHREM grenzenlosen Schmerz und IHRER tiefen Verletztheit. Und ich verstand und beschloss einen ungewöhnlichen Weg mit IHR zugehen, IHR die Zeit zu geben, die sie braucht.
Viele intensive Gespräche folgten, meine Gefühle wurden immer stärker. Ich hatte mich schon lange in SIE verliebt. Und ihr ging es nicht anders. Unsere bekannte tat mir in der Zeit sehr leid, denn SIE und auch ich hielten ständig Rücksprache, rundeten das Bild aus den SMS-Schlachten durch sie ab und hörten immer nur, eine Bestätigung unserer Wahrnehmungen und Gefühle. Sie hatte Freude an uns und fand, dass SIE und ich Topf und Deckel wären.
Immer öfter träumte ich von leidenschaftlichen Zärtlichkeiten mit IHR und nahm allen Mut zusammen und schickte IHR einen reinen, sinnlich-leidenschaftlich-gefü hlvoll beschriebenen Kuss in etlichen SMS. Und statt zu Flüchten, konnte SIE dieses tiefe Gefühl annehmen, empfinden und genießen. Es war unbeschreiblich.
Ich begann SIE zu spüren, dieses Kribbeln zwischen den Schultern, als wenn SIE hinter mir stehen würde und ich nur IHREN Atem spüre, diese kleinen Schauer auf meiner Haut. Ich spürte das Anfliegen IHRER SMS, ich konnte IHRE Stimmung spüren. Nahm wahr, wenn es IHR nicht gut ging, spürte, wenn SIE mit einer Freundin oder ihren Eltern über mich sprach. Es war so unendlich intensiv, deutlich und Zeitpunkte passten stets überein.
Über die gemeinsame Freundin tauschten wir Bilder -ich war begeistert, von dem was ich sah, so eine schöne Frau, Briefe, kleine Geschenke, fanden gemeinsame Lieder und lebten in unseren SMS mehr und mehr Alltag miteinander. Wir standen gemeinsam auf, starteten in den Tag und unsere Jobs, genossen den Feierabend im innigen Austausch und schliefen mit dem Gefühl zu einander engumschlungen ein.
Dann äußerte sie eines Tages den Wunsch, mich zu sehen, so ganz leibhaftig und nicht nur ein Bild oder mein Geruch in einem T-Shirt. Aber ein Treffen schien ebenso unmöglich zu sein wie ein Telefonat. Da ich beschlossen hatte, diesen ungewöhnlichen Weg mit ihr zu gehen, bot ich ihr an, diese gemeinsame Freundin zu besuchen und mit dieser zu einer bestimmten Uhrzeit an einem der nahegelegenen Seen sein, um IHR IHREN Wunsch zu erfüllen.
So taten wir es und ich explodierte förmlich, als ich SIE in meiner Nähe wusste, das Spüren war kaum mehr zu ertragen. Wir suchten mit unseren Blicken das gesamte Gelände ab, doch nichts, wir sahen SIE nicht. Aber ich wußte um IHRE Freude und IHRE Traurigkeit, als SIE fuhr. Es gefiel ihr, was SIE sah...
Ich war völlig überwältigt von diesen Gefühlen, kannte ich sie doch nicht von mir. Fassungslos genoss ich diese völlig neue Erfahrung und Intensität. Ich stand nur noch unter Strom und in diesem telepathischen Band mit IHR.
Ich hatte nur noch Lust auf SIE, wollte SIE spüren, berühren, so ganz nah, wie zwei Menschen sich sein können, eine engelsgleiche, reine Liebe leben. Seelennähe, Leidenschaft und Sanfheit teilen und Wunden heilen, IHRE und auch meine... Wir schrieben uns und erlebten gemeinsam zärtliche Stunden... Atemberaubend und unendlich schön... Und ich spürte, wie SIE sich selbst liebte und erbebte unter IHREN Höhepunkten.
SIE war mehr und mehr auf dem Weg zu mir, dass nahm ich deutlich wahr. Ich spürte SIE so sehr. SIE kämpfte jeden Tag mit ihrem Wunsch und ihrer Angst - es war Zeit für den nächsten Schritt auf unser Ziel zu.
Ich denke, dass eine Wohnung viel über die Bewohnerin und ihr Seelchen ausdrücken kann.Ich wollte IHR diesen Blick in meine Seele schenken, wollte IHR zeigen, dass SIE mir vertrauen kann, dass ich das war, was SIE in mir sah.
SIE bekam den Schlüssel zu meiner Wohnung, wusste sicher, dass ich nicht da war und es gelang IHR der Blick in mein Umfeld, mein Seelchen, zu werfen. SIE war da, war in meiner Wohnung, trank aus meiner Tasse Kaffee, lag auf meiner Couch, dekorierte, liebevoll mein Bett, hinterließ IHREN Duft und IHRE Linien auf meiner Decke, IHRE Fingerabdrücke überall, IHREN Kussmund auf meinem Spiegel... Ich war so glücklich über diesen Erfolg und wir wiederholten diese mehrere Male. Sie war ebenso glücklich wie ich, denn sie hatte ihre Angst im Griff, konnte sie steuern. Wir waren uns sicher, dass uns dieser Weg zu unserem Leben führen wird. Und SIE begab sich auf den nächsten Schritt, das Treffen... Die ersten Versuche scheiterten, SIE konnte IHRE Trauer über den Misserfolg kaum ertragen. Ich sprach ihr Mut zu und sagte IHR meine Geduld zu. Ich glaubte, weiter an ein WIR, doch alle folgenden Versuche schlugen fehl. SIE tauchte in IHRER Trauer unter, verlor den Glauben an sich und uns. SIE wollte nicht länger, dass ich leide...
Und ich sitze hier in diesem ungemütlichen Café aus den 70ern mit meiner Kollegin, plaudere über Belanglosigkeiten, schaue über die kleine, regennasse Fussgängerzone - ein Tag wie jeder andere. Ganz plötzlich, wie ein Blitz ist alles wieder da... SIE ist da... Ich kann SIE spüren, deutlich, ganz nah bei mir... Gänsehaut schauert über meinen Körper, rennt auf und ab und lässt nicht ein Fleckchen aus. Diese Stelle zwischen meinen Schulterblätter tobt wilde Tänze und vom Sonnengeflecht breiten sich heftige, für jeden sichtbare Zitterwellen aus.
Wo ist SIE nur???
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tatzino. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.