Absturz mit Folgen (Teil 2)

von stoner1971


Absturz mit Folgen Teil 2

Ich hatte mich ungefähr 50 Mal umgezogen, nur um letztendlich doch in meine Lieblingsklamotten zu schlüpfen. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze Schuhe und meine Lederjacke. Unruhig lief ich durch die Wohnung und sah immer wieder prüfend in den Spiegel. Gott, so hatte ich mich das letzte Mal aufgeführt, als ich mein aller erstes Date hatte. Ich grinste vor mich hin. Ich holte den 2. Helm aus dem Schrank und machte mich endlich mit meinem Roller auf den Weg zu Viv. Unterwegs hielt ich an einem Blumenladen und kaufte eine Sonnenblume. Ich war halt ein hoffnungsloser Romantiker.
Vor Vivs Haus stellte ich den Motor ab und wartete. Nervös drehte ich die Sonnenblume zwischen meinen Händen. Endlich öffnete sich die Haustür und Viv kam heraus. Ihr Anblick verschlug mir schier den Atem. Sekundenlang konnte ich sie nur anstarren. Sie sah umwerfend aus. Die Haare trug sie offen über die Schultern, die weite Stoffhose und die farblich passende Bluse betonten ihre Figur. Den Abschluß bildete eine sehr weibliche Jeansjacke.
„Ist die für mich?“ Ihre Stimme riß mich aus meinen Gedanken.
„Entschuldige, ja ist sie“, unbeholfen drückte ich ihr die Sonnenblume in die Hand.
„Danke, die ist sehr schön. Wußtest du, dass das meine Lieblingsblumen sind?“
„Nein, aber sie passen zu dir. Wollen wir los? Worauf hast du Appetit?“
„Was hältst du von Italiener?“
„Klingt gut. Hier.“ Ich drückte ihr den Helm in die Hand.
Sie sah mich ein wenig skeptisch an.
„Ich bin noch nie hinten drauf mitgefahren.“
„Macht nichts. Du musst sich nur an mir festhalten. Den Rest mach ich“, ich lächelte sie an.
Schwungvoll setzte Viv den Helm auf und wir fuhren los.
Der Abend war sehr angenehm. Wir unterhielten uns wie alte Freunde, nicht wie Menschen, die sich am Morgen mehr oder weniger das erste mal gesehen hatten.
„Erzählst du mir jetzt die lange Geschichte?“
„Welche Geschichte?“
„Na, von dir und Timo.“
„Ach so. Soviel gibt es da gar nicht zu erzählen. Er ist halt hinter mir her.“
„Aha! Und?“
„Was und ?“
„Muß man dir denn alles aus der Nase ziehen? Was ist mit dir?“
„Was soll schon mit mir sein? Ich steh nicht auf ihn!“
Etwas leiser fügte ich hinzu:“ Ich steh nicht mal auf Männer!“
Schweigen.
Ich wagte es nicht sie direkt anzusehen. Ich hatte noch nie so offen zugegeben, dass ich lesbisch war. Timo war da die Ausnahme. Und eigentlich hatte ich es auch jetzt nicht sagen wollen. Aber die lockere Atmosphäre hatte mich dazu verleitet.
„Und deswegen habt ihr euch gestritten?“
Jetzt sah ich sie doch an. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Sie sah mich nur neugierig an.
„Na ja, gestritten ist zuviel gesagt. Er will einfach nicht verstehen, dass ich lesbisch bin. Und gestern hat er es dann zu weit getrieben und mich geküsst. Im Affekt habe ich ihn dann geschlagen und er ist abgehauen. Dabei hab ich ihn wirklich gern, aber eben nur wie einen Bruder, nicht mehr.“
Wir unterhielten uns noch eine Weile. Sie stellte all die üblichen Fragen. Ob ich nie was mit Männern hatte, ob ich schlechte Erfahrungen gemacht hatte, usw..
Bei ihr war es so einfach über all die Dinge zu reden, die ich bisher verschwiegen hatte. Ich hatte nicht das Gefühl mich rechtfertigen zu müssen, für das, was ich war. Es war ein unbeschwertes, leichtes Gespräch.
Irgendwann merkten wir, dass wir die letzten im Lokal waren.
„Wir sollten gehen, sonst schließen sie uns noch hier ein“; flüsterte Viviane verschwörerisch.
„Auch nicht schlecht. Verhungern werden wir hier jedenfalls nicht.“
Ich zahlte die Rechnung und wir traten auf die Straße hinaus. Die Luft war lau, der Himmel sternenklar.
Viv seufzte.
„Ich liebe den Frühling. Von mir aus könnte es immer so blieben, wie jetzt.“
Sie lächelte mich an. Das Kribbeln in meinem Bauch war wieder da.
„Bringst du mich nach Hause?“
„Natürlich! Oder dachtest du, ich lasse dich zu Fuß gehen?“
„Nach dem reichlichen Essen wäre das nicht das Schlechteste.“
Sie rieb sich über den Bauch.
„Wenn du sonst keine Probleme hast! Unglaublich...! Wollen wir hoffen, dass dir der Helm noch passt.“
Sie knuffte mir in die Seite, setzte dann aber gehorsam den Helm auf und schwang sich hinter mir auf den Roller. Ich war mir ihrer Nähe schmerzlich bewusst. In den vergangenen Stunden war mir immer mehr bewusst geworden, dass ich dabei war, mich zu verlieben. Dabei wusste ich nicht mal, ob Viviane auch lesbisch war. Das Thema hatte sie immer geschickt umgangen. Und ich hatte mich nicht getraut, sie direkt zu fragen.
Ich spürte ihren Körper hinter mir, der sich eng an meinen drückte. Ihre Hände waren unter meine Jacke gekrochen. Der Fahrtwind war doch noch empfindlich kalt. An einer roten Ampel klappte ich mein Visier hoch.
„Frierst du?“
„Ein wenig.“
Ich drückte ihre Hände fester gegen meinen Bauch.
„Wir sind ja gleich da, dann kannst du dich aufwärmen.“
Endlich angekommen hatte Viv schon fast Mühe vom Roller abzusteigen. Ich nahm den Helm ab, blieb aber sitzen. Ich wollte nicht, dass Viv merkte, dass ich weiche Knie hatte.
„Danke für den schönen Abend, Toni.“ Sie reichte mir ihren Helm.
„Nicht dafür. Ich danke dir, dass du mich aufgesammelt hast.“
„Das würde ich jederzeit wieder tun“, sie lachte.
„Willst du noch auf nen Kaffee mit hoch kommen? Ich weiß, das ist abgedroschen, aber wenigstens frage ich nicht, ob du meine Briefmarkensammlung sehen willst!“
Wieder lachte sie. Und wie schon am Morgen rieselte eine Gänsehaut über meinen Körper. Das Angebot war sehr verlockend.