von Eiraith
Nach diesem Tag wurde es einerseits leichter, andererseits schwerer ihr körperlich nahe zu kommen.
Diese eine Umarmung schien eine Art Bann zwischen uns gebrochen zu haben und ließ nun die vielen kleinen unauffälligen Berührungen des Miteinanders zu.
Die Spannung, die sich immer mehr zwischen uns aufgebaut hatte wurde davon aber nicht gebrochen, eher im Gegenteil. Langer Blickkontakt war schwer, längere Berührungen unmöglich.
Ich fühlte mich mit ihr gelöst und unsicher zugleich, offen und total zugeknöpft.
Die Wochen vergingen; wir traten auf der Stelle. Die Ruhe unserer Treffen, die mir anfangs so unglaublich gut getan hatte, erweckte in mir den Drang zu schreien, mich schnell zu bewegen.
Ich wurde ungeduldig, angespannt, launisch.
Und dennoch brachte ich es nicht über mich, einen ersten Schritt zu tun.
In meinem Kopf war mittlerweile vieles passiert. Die Konsequenzen hatte ich ausgeblendet, es blieben Küsse und vielerlei andere Berührungen in Nahaufnahme.
Aber je weiter wir in meiner Vorstellung gingen, desto unmöglicher wurde ein Kontakt in der Realität.
Die Hunde spürten, dass etwas nicht stimmte. Randy schaute ab und an mit schräggelegtem Kopf und abstehenden Schlappohren zu mir auf, die anderen wurden einfach gereizter.
Als ich eines Tages missmutig neben Merle herstapfte, in mir selbst hin und hergerissen zwischen allen Möglichkeiten und unfähig, irgendetwas zu tun, blieb sie auf einmal abrupt stehen, wirbelte zu mir herum und funkelte mich an.
"Du musst nicht mitkommen!"
Ich nuschelte irgendwas unzusammenhängendes. Himmel, was war los!?
Die Frage schien sie sich ebenfalls zu stellen.
"Was ist eigentlich los mit dir?" Sie schien wütend.
Die Anspannung brach in mir.
"Du."
Sie stutzte.
"Du bist in mir, meinen Gedanken, meinem Leben. Ob ich dich sehe oder nicht. Du hast mich verändert, mein altes Leben passt mir nicht mehr, ich kenne dich nicht, nur deinen Namen, weiß, dass du nicht viel redest, nicht viel zeigst von dir, und dennoch ist das Zusammensein mit dir wunderbar. Aber ich will mehr, verdammt, und weiß nicht wie anfangen, ob anfangen, ob du es überhaupt willst, was du denkst, was du willst -" Ich hatte mich in Rage geredet, stoppte nun.
"Ja. Das ist los mit mir." beendete ich meinen Redeschwall. Was hatte ich da gesagt?
Neben allem Erstaunen über mich selbst war mir aber eines klar: Würde sie sich jetzt, wie so oft zuvor, in ihr lächelndes Schweigen zurückziehen, könnte ich nicht mehr. Ich würde es nicht aushalten. Nicht nach der Unruhe der letzten Zeit. Dem ewigen inneren Hin und Her, den Fantasien, Hoffnungen, und der Unerträglichkeit der Handlungslosigkeit. Vielleicht hatte ich mich tatsächlich um Kopf und Kragen geredet, aber immerhin war es jetzt raus.
Sie sah mich an. Lange.
Ich hielt ihrem Blick stand.
Sie war es, die sich abwandte.
"Es tut mir leid." Sagte sie.
In mir brodelte der unglaubliche Drang auf laut zu schreien, während sie die Leinen der Hunde nahm und ging.
"Ist das dein Ernst?" Ich schrie nicht, ich brüllte. Ihr hinterher.
Sie zuckte leicht zusammen, ging aber weiter.
Sollte ich klein beigeben, weinend zusammenbrechen, doch noch schreien?
Mein Körper nahm mir die Entscheidung ab. Ich rannte hinter ihr her, fasste sie an den Schultern und drehte sie zu mir um.
"Merle - was ist los mit DIR?"
Sie weinte.
Diesmal war ich es, die sie lange anschaute.
Nach anfänglichem Zögern erwiderte sie meinen Blick.
Noch ehe eine von uns wegschauen konnte tat ich es - ich küsste sie.
Und sie erwiderte den Kuss!
Schließlich lösten wir uns voneinander, schauten uns nocheinmal lange in die Augen.
"Bitte -"
Ich nickte.
Was auch immer sich hier abspielte - ich hatte sie verloren. Für einen unendlich schönen Moment gewonnen, für alles danach verloren.
Warum auch immer. Ich verstand es nicht. Aber es blieb keine Zeit, keine Kraft zu fragen.
Etwas in mir gab nach.
Ich stand noch lange am gleichen Fleck und schaute in die Richtung, in die sie verschwunden war ohne sich noch einmal umgedreht zu haben.
Trotz allem verbrachte ich in den nächsten Wochen viel Zeit im Park, an unserem Treffpunkt.
Ich ging nicht ins Tierheim. Das wäre mir wie ein Angriff von hinterrücks vorgekommen.
Auch wenn ich ihre Beweggründe nicht verstand stand es mir nicht zu sie zu etwas zu zwingen - und sei es nur, unsere alte Routine wieder aufzunehmen. Wozu ich aber, wenn ich ehrlich war, eh nicht in der Lage gewesen wäre. Zu viel war geschehen. Zu vieles müsste sich ändern.
Falls es sein sollte würden wir uns im Park treffen. Von uns beiden gewollt. Eine andere Möglichkeit schien nicht vorhanden.
Ich fühlte mich mehr aus meinem Leben gerissen denn je, denn der Grund, der Ausgleich - sie - war ja nun nicht mehr vorhanden.
Auf der anderen Seite erlaubte mir ihre Abwesenheit, nach einer Zeit der Trauer, neue Wege zu beschreiten.
Meine Zweifel, Fragen, meine Wut und Bitterkeit wichen einer Art Dankbarkeit.
Ich hatte trotz allem viel von ihr gelernt.
Der Sommer wich dem Herbst.
Der Löwenzahn verwandelte sich in eine vielzahl kleiner Samenfähnchen. Ich nahm einige und setzte sie auf einer Wiese aus. Wenigstens ein Teil seiner Nachkommen sollte es besser haben als der Löwenzahn selbst.
Ich trauerte auch um ihn, aber das war der Lauf der Dinge.
Ich hörte mich um und entdeckte einige Frauencafes und -parties.
Unregelmäßig ging ich auch dorthin. Es war eine Welt, die mir nicht wirklich gefiel, mir aber wichtig für mich erschien. Ich fühlte mich zunehmend selbstbewusster in meinem neuen Ich. Und meine Liebe zu Frauen war ein Teil davon. Das heißt, wirklich sicher war ich mir erst, als ich Christine kennenlernte.
Es ging schnell mit uns, manchmal sogar fast zu schnell für mein damaliges Empfinden, aber es fühlte sich mehr noch als damals das Beisammensein mit Merle richtig an.
Irgendwie schaffte ich es auch, meiner WG alles schonend beizubringen. Meine Eltern waren ein härterer Brocken, aber schaffbar - sagte ich mir immer wieder. Dass ich mein Studium abgebrochen hatte sagte ich ihnen vorsichtshalber dennoch erst viel später.
Es war bereits Winter als ich doch noch den Weg zum Tierheim einschlug.
Wir verließen das Tierheim zu zweit - Randy und ich.
Merle begegneten wir nie wieder.
copyright © by
Eiraith. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.