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Amselflug (4)

von Eiraith


Am von mir gleichenteils sehnsüchtig und ängstlich erwarteten "Übermorgen" war der Himmel grau bewölkt, es regnete.
Ich ging dennoch wie verabredet zu unserem Treffpunkt.
Und wartete, eine lange Zeit.
Als ich gerade gehen wollte hörte ich ein lautes Bellen, und Randy kam mir entgegengeschnauft - wieder einmal die Leine hinter sich herschleifend.
Verwundert aber auch erfreut nahm ich die Leine auf und kraulte ihn hinter den Ohren.
Kurz darauf erschien auch Merle, mit Max und zwei weiteren Hunden im Schlepptau.
Ihre Augen waren rot angeschwollen, und - weinte sie?
Sie drückte mir wortlos die Leine eines der mir fremden Hundes in die Hand. Als ich sie fragend anschaute meinte sie nur:
"Lass uns gehen."
Befangen folgte ich ihr. In mir kämpfte es. Sollte ich sie fragen was los war? Sollte ich es lassen? Wie würde sie reagieren?
Ich wünschte mir, ich könnte sie einfach umarmen.
Mir fiel auf, wie seltsam unsere Beziehung eigentlich war.
Wir waren uns nicht nah genug, als dass ich sie einfach hätte umarmen oder fragen können. Aber doch zu nah, als dass mich ihr Weinen kalt gelassen hätte.

Wir gingen diesmal nicht zum See, sondern in den Wald, wo wir wenigstens ein bisschen vor dem Regen geschützt waren.
"Pass auf, dass Randy sich nicht losreißt." waren die einzigen Worte, die sie bis zu unserer Rückkehr in den Park sprach.
Ich tat mein Bestes und wurde tatsächlich nur dreimal ein Stück weit geschleift.
Vielleicht hatten die Waldtiere aber auch schon ihre Erfahrungen mit Randy gemacht und hielten sich versteckt.
Im Park angekommen verharrten wir wieder einen Moment in unschlüssiger Stille.
"Würdest du noch ein Stück weiter mitkommen? Vier auf einmal sind recht schwer."
Sie schaute mich nicht an. Ich nickte nur stumm und ging weiter.
"Was ist geschehen?" fragte ich sie nun doch.
Sie sah mich fragend an.
"Du weinst."
"Oh." Sie lächelte schief.
"Weißt du, manchmal überkommt es mich. Mal mit mehr, mal mit weniger Grund."
Sie zögerte, fügte dann leiser hinzu: "Diesmal war es Bessi. Sie war schon zu lange dort."
Es dauerte eine Weile bis ich verstand.
Wir verbrachten den Rest des Weges schweigend.

Erst auf dem Weg nach Hause fiel mir auf, dass wir diesmal vergessen hatten, uns zu verabreden. Aber immerhin hatte ich jetzt einen Anhaltspunkt: Das Tierheim!
Ich lief dorthin zurück um nach ihrer Telefonnummer oder Adresse zu fragen.
Lange Zeit ging ich vor den Toren des Tierheims auf und ab, plötzlich doch nicht mehr so entschlossen wie noch einige Momente zuvor. Wollte ich es wirklich wissen? Merle jederzeit erreichen können?
Ich entschied mich dagegen. Viel zu groß war der Zauber, der von unseren - mehr oder minder- zufälligen Begegnungen ausging.
Stattdessen verlegte ich alle verlegbaren Dinge wie Uniarbeiten und Freizeit in "unseren" Park.

Nach drei Tagen sah ich Merle wieder, zuerst wie gewohnt Randy in langgestrecktem Galopp auf mich zurasend, dann sie mit drei Hunden im Schlepptau. Max sowie Klara und Charly, die beiden Neulinge in der Runde. Ich bekam abermals Klaras Leine zu Randys dazu.
"Was tust du eigentlich den Tag lang?" fragte ich sie, als wir uns auf den Weg zum See geeinigt hatten.
"Leben." antwortete sie leicht. "Und du?"
"Ich studiere."
Ich fing an ihr von meinem Studium und meinen Zweifeln diesbezüglich zu erzählen, und stellte fest, dass sie eine gute Zuhörerin war. Mir hatte in den letzten Wochen ein Redepartner sehr gefehlt. Meine Freunde und Mitbewohner beäugten mich eher skeptisch in letzter Zeit, mit niemandem von ihnen konnte ich so wirklich reden. Sie waren zu weit entfernt von den Gedanken, die Merle in mir ausgelöst hatte. Ich glaube, ich habe ihnen aber auch keine Chance gegeben. Ich wollte losgelöst von meinem eigentlichen Leben herausfinden, was mit mir los war.
"Was möchtest du mit deinem Studium erreichen? Was möchtest du tun, wenn du damit fertig bist?"
Vielleicht war genau das die Frage, vor der ich immer ausgewichen war. Was wollte ich mit meinem Studium erreichen? Warum studierte ich überhaupt Sozialpädagogik?
Meine Eltern hatten mir damals dazu geraten. Mein Exfreund hatte mir gesagt, es passe zu mir.
Warum hatte ich mich nie gefragt, was es denn sei, dass da passe? Und warum meinen Eltern das Studium so zusagte? Und was ich eigentlich dachte und wollte?
In die WG zu ziehen war vielleicht das einzige rebellische, was ich je getan hatte. Ich hatte mir damit selbst bewiesen, dass ich sehr wohl auf eigenen Füßen stehen und alleine etwas tun konnte, ohne mir immer irgendeine Erlaubnis einholen zu müssen.

Ich blieb ihr die Antwort auf diese Frage schuldig. Wie sollte ich antworten, wenn ich es selber nicht wusste?

Wir erreichten den See. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es, Randys Leine loszulassen. So blieb mir ein Bad mit Kleidung diesmal erspart.
Merle zog sich bis auf die Unterwäsche aus und stürzte sich ins Wasser. Es schien ein festes Ritual für sie zu sein, wann immer sie mit den Hunden herkam.
Meine Anwesenheit schien sie auch diesmal nicht zu stören.
Ich setzte mich in den Schatten unter einem der Bäume und beobachtete sie. Sie gefiel mir, auch wenn ich kaum etwas über sie wusste. Ihre Ausstrahlung, ihre Art sich zu bewegen.
Sie schwamm einige Runden, schaute sich dann suchend um. Schließlich entdeckte sie mich.
"Willst du nicht auch ins Wasser?"
Ich zögerte kurz, nickte dann aber, stand auf und fing verlegen an, mich meiner Hose und meines Tops zu entledigen. So selbstverständlich wie sie konnte ich es einfach nicht. Besonders, da ich ihren Blick auf mir spürte.
Ich beeilte mich, möglichst schnell im Wasser zu verschwinden. Nachdem ich ebenfalls eine Weile geschwommen war ließ ich mich auf dem Rücken treiben.
In den letzten Tagen fühlte ich mich, als müsse ich dauernd nachdenken, und konnte doch keinen der Gedanken wirklich fassen.
Nur Merle. Merle schien immer in meinem Kopf zu sein.
Ich drehte mich wieder auf den Bauch und schaute mich um.
Sie war schon aus dem Wasser gestiegen und saß neben Randy und den anderen Dreien am Ufer und schaute zu mir her.
Wie lange sie das schon getan haben mochte?
Ich wurde rot, und wusste nicht warum.
Langsam schwamm ich ans Ufer und setzte mich neben sie.
"Weißt du, von solchen Momenten habe ich immer geträumt." fing sie auf einmal an zu sprechen.
"Wasser, Sonne, Liebe und das Gefühl frei zu sein. Alles zu haben was ich brauche, und nicht mehr. Machen können was ich möchte, ohne Einschränkung, ohne Ermahungen, ohne Verbote. Ich sein. Zu leben ist plötzlich so leicht."
Ich schaute sie erstaunt an.
Sie schaute selbstversunken auf den See.
Plötzlich lächelte sie und wandte sich mir zu.
"Ich danke dir - dass du da bist."
Ich bekam eine Gänsehaut. War verwirrt und glücklich zugleich.
Und schaute sie ebenfalls an.
Unsere Blicke verhakten sich ineinander. Mir wurde ganz warm, und dennoch fing ich an zu zittern. Und plötzlich konnte ich nicht mehr.
Ich stand schnell auf und ging zu meiner Kleidung. Mir war es egal, dass meine Unterwäsche noch nass war.
Ich musste mich anziehen. Ich musste - irgendwie eine Mauer zwischen uns aufbauen.
Weg von hier - ihr.
Was ich eben gefühlt hatte. Das war nicht normal. Das war nicht gut. Es verängstigte mich.
Die Art, wie ich sie gewollt hatte, was ich gewollt hatte. Mich zu ihr beugen, ihr Gesicht in die Hände nehmen, und sie küssen. Nur das. So einfach. Und doch so schwer.

Der Rückweg? Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich nur an einen fragenden Blick von ihr. An meine Verwirrung.



copyright © by Eiraith. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


ein Glück
EimoH - 03.01.2007 20:48
Fortsetzungen
Eiraith - 03.01.2007 10:41
genial
muss man dazu noch mehr sagen??
ich find klasse geschrieben...gefällt mir sehr wie du beschreibst
raquel17 - 02.01.2007 23:54
schön
EimoH - 02.01.2007 21:48

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