Um LESARION optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern verwenden wir zur Auswertung Cookies. Mehr Informationen über Cookies findest du in unseren Datenschutzbestimmungen. Wenn du LESARION nutzst erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.




Stories » Detail

Amselflug (5)

von Eiraith


Die nächsten Tage verbrachte ich großteils im Bett. Schlafen erschien mir als eine gute Möglichkeit, nicht denken oder gar fühlen zu müssen.
In den wachen Stunden nahm ich mein Leben und mich auseinander, redete mir vieles ein und vergaß es kurze Zeit später wieder, sah immer wieder ihren Blick vor mir.
Ich vergaß meinen Einkaufsdienst, so dass die WG schließlich ohne Klopapier und Lebensmittel auskommen musste, aber das war mir angesichts meiner persönlichen Notlage egal. Meine Mitbewohner lauerten mir auf als ich für einen Klogang mein Zimmer verließ, gaben mir eine Tasche, einen Einkaufszettel und mein Portemonnaie in die Hand, und drückten mich zur Haustür hinaus. Fluchend ergab ich mich in mein Schicksal und kaufte ein.
Auf dem Rückweg fiel der Löwenzahn in mein Blickfeld.
Er sah nicht gut aus. Etwas grau geworden. Die viele Sonne schien ihm nicht gut zu tun.
Ohne nachzudenken griff ich in meine Tasche und nahm eine Flasche des selten gekauften weil viel zu teuren Mineralwasser heraus, machte sie auf und ließ das Wasser über das Pflänzchen schwappen.
Diese Tat vollbracht setzte ich mich zu ihm.
Der Löwenzahn sah aus, als könne er mitfühlende Gesellschaft genauso brauchen wie ich.
Ich schaute mich schnell um, sah niemanden der aussah als würde er uns beachten, und fing an, dem Löwenzahn von den Ereignissen der letzten Wochen zu berichten.
Als ich fertig war fühlte ich mich erleichtert, auch wenn ich keine Antwort bekommen hatte. Ich bedankte mich beim Löwenzahn, goss noch ein wenig Wasser nach, und ging zurück zur WG, wo ich mich zwar wieder in mein Zimmer zurückzog, aber dennoch das Gefühl hatte, ein ganzes Stück weiter zu sein.
Ich konnte mit meinem Studium nichts mehr anfangen, hatte es vielleicht nie gekonnt. Ich war stets von allen bevormundet worden, hatte kaum so etwas wie ein eigenes Leben aufbauen können. Und hatte mich in eine Frau verliebt, die ich kaum kannte. Die mich nur immer wieder erneut faszinierte und zum nachdenken brachte.
'In eine Frau verliebt', dumpf hallten die Worte in mir nach.
An meiner Schule war ein Mädchen gewesen, dass sich in Mädchen verliebte. Sie hatte raspelkurzes Haar gehabt, war von den Jungs beim Fußball akzeptiert worden, sonst aber nirgendwo so richtig. Die Mädchen hatten sie immer misstrauisch beäugt, und es hatte ab und an ein paar blöde Sprüche gegeben.
Ich hatte mich immer ein wenig für die anderen geschämt, dass sie so gemein waren, hatte es aber auch nicht anders gemacht. Dazugehören war für mich schon immer wichtig gewesen.
Und jetzt das!
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, und entschied mich dann doch fürs Lachen. Es hörte sich verkrampft an.
Wie sollte es jetzt also weitergehen?
Meine Gedanken wirbelten auf vielen Ebenen gleichzeitig durcheinander.
Wollte ich sie wiedersehen - konnte ich sie wiedersehen?
Was würden meine Mitbewohner und Eltern sagen, wenn sie davon wüssten?
Würde ich mich auch in andere Frauen verlieben, oder war es nur sie?
Was war mit meinen Gefühlen für meinen Exfreund gewesen?
Konnte ich mich selbst auch so sehen wie meine Mitschülerin damals - kurze Haare und gut im Fußball?
War es das, was ich wollte?

Nach einer ganzen in meinem Zimmer zugebrachten Woche fühlte ich mich, als würde mir trotz des Gespräches mit dem Löwenzahn jeden Moment die Decke auf den Kopf fallen.
Pro forma ging ich mal wieder zur Uni, und spazierte anschließend durch den Wald.
Ich blieb bei dem Baum, an dem wir uns kennengelernt hatten stehen und schaute hoch. Sie war nicht dort.
Was hatte ich erwartet?
Ich kletterte hoch, setzte mich gemütlich, schloss die Augen und konzentrierte mich auf die Geräusche um mich her. Es tat gut, zur Abwechslung mal wieder nach außen und nicht nach innen zu horchen.
Der ganze Wald übte eine beruhigende Wirkung auf mich aus.
Wenn Großteile meines bisherigen Lebens sich jetzt falsch anfühlten, vielleicht war sie das erste Richtige?
Und wenn ich schon meine Vergangenheit so kritisch unter die Lupe nahm, warum dann nicht auch alte Ansichten und Ängste?
Und wenn ich mein ganzes altes Leben, mein altes Ich, dieserart annuliert hatte - in Gedanken -, was hielt mich dann davon ab, es einfach zu versuchen?
Bislang fühlte es sich nicht falsch an. Nur verwirrend.
Und ihr Blick, sie, waren das schönste gewesen, was mir in letzter Zeit geschehen war.

Gedanklich zumindest für den Moment gefestigt nahm ich mein altes Leben wieder auf. Ich ging nach wie vor zur Uni, weniger aus Überzeugung als aus dem Gefühl heraus, eine regelmäßige Verpflichtung zu haben, die mich in der Realität hielt.
Ich besuchte den Löwenzahn regelmäßig, goss ihn und sprach mit ihm.
Die Blicke der Passanten ignorierte ich einfach.
Ich ging auch wieder regelmäßig in den Park. Und wartete.

Randy hüpfte begeistert bellend um mich her und versuchte, mir durch das Gesicht zu schlecken. Die Leine wie immer lose hinter ihm.
Ich freute mich, ihn wiederzusehen, wuschelte froh durch sein Fell, und konnte doch den Blick nicht vom Weg lenken. Schließlich sah ich dort auch Merle auftauchen, mit Max und Charly.
Ihr Blick war schwer zu deuten, ich wusste nicht, wie ich mich verhalten, was ich sagen sollte.
Wir standen eine Weile stumm voreinander, dann wurde der Drang zu sprechen zu groß.
"Wo ist Klara?" fragte ich.
"Er scheint dich wirklich zu mögen." sagte sie.
"Das beruht auf Gegenseitigkeit." sagte ich.
"Du warst die letzten Male nicht da, und alleine sind drei schon fast zuviel." sagte sie.
Alles fast zeitgleich.
Ich fühlte mich atemlos.
Wir schauten uns an.
"Lass uns gehen." sagte sie schließlich.
Ich nahm Randys Leine und folgte ihr, ein flaues Gefühl im Magen.

Wir nahmen einen neuen Weg, zum Fluss und dann weiter an ihm entlang.
Wir schwiegen.
Anfangs war es noch ein schweres Schweigen, später wurde es immer leichter, froher irgendwie.
Ich fühlte mich ruhig, und es war gut, diese Wege mit ihr und den Hunden zu gehen, die Sonne auf mir zu spüren, den Wind in den Bäumen rauschen zu hören, und mich ein wenig frei zu fühlen.
Merle schaute mich ab und an an, leicht fragend, und ich erwiderte ihre Blicke. Wir lächelten.
"Was auch immer es war, dir geht es besser." bemerkte sie zur Verabschiedung.
Ich brachte es nicht fertig, sie anzuschauen.
Meine Ruhe war dahin. Ging es mir tatsächlich besser?

Ich fing Sport zu treiben. Vor dem schlafengehen machte ich Gymnastik, und nach dem Aufstehen lief ich.
Ich war erstaunt, wie frisch und wohlriechend die Welt morgens noch ist. Normalerweise liebte ich es, lange zu schlafen, wann immer es möglich war. Mit dieser Angewohnheit brach ich nun. Wie mit vielen anderen.
Nach mehreren sehr unbefriedigenden Lauftouren, von denen ich enttäuscht über mich selbst heimkehrte, fand ich schließlich meinen eigenen Laufrhythmus und spürte, wie ich fitter wurde.

Zweimal die Woche traf ich Merle und die Hunde im Park.
Wir sprachen nach wie vor nicht viel, dennoch genoss ich die Spaziergänge mit ihr.
Ich war nach wie vor verliebt, aber eher auf eine stille, ruhige Art.
Jedenfalls solange wir nicht schwimmen gingen oder uns anschauten.
In solche Momenten veränderte sich die ganze Athmosphäre um uns, alles war plötzlich leicht angespannt.
Ich fing an mich zu fragen, was sie eigentlich dachte und fühlte.
Es konnte ihr nicht entgehen - konnte es?

Je mehr unsere Treffen zur Routine wurden, desto mehr wünschte ich mir, sie auch in anderen Situationen kennenzulernen. Ich wusste nach wie vor nicht viel über sie, wusste nicht, wie sie wohnte, wie ihr Alltag aussah, was sie gerne aß, ..
Ich war ein paarmal kurz davor sie auf ein Eis einzuladen oder etwas ähnliches zu unternehmen, ließ es dann aber doch immer wieder sein, aus Angst, das, was wir hatten, damit zu zerstören.

Außer dem Löwenzahn waren die Hunde und sie die einzigen Kontakte zur Außenwelt, die ich noch wirklich pflegte.
Aber das reichte mir auch für den Moment. Ich war mit mir und ihr zu beschäftigt, um mich auf neue Kontakte einzulassen, und zu sehr in der Veränderung, um an den alten Kontakten zu hängen.

Es war ein warmer Spätsommertag an dem ich Merle wieder weinen sah. Seit dem verregneten Nachmittag damals war es nicht wieder geschehen.
Ich wünschte mir so sehr, sie zu umarmen, zu trösten, ihr zu helfen.
Und traute mich doch wieder nicht.
Bis wir am Fluss anlangten. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ging zu ihr, und schlang meine Arme um sie.
Sie versteifte sich anfangs, doch dann lehnte sie sich an mich und ließ die Umarmung zu.
Ich war glücklich für den Moment. Obwohl sie weinte. Es war ein unbeschreiblich gutes Gefühl, sie im Arm zu halten.
Nach einer Weile ließ ich sie los und wir setzten uns hin.
"Willst du erzählen was passiert ist?" fragte ich sie leise.
Sie schüttelte den Kopf, lehnte sich aber an mich, und hörte wenig später auch auf zu weinen.
Sie schniefte nur noch ein wenig. Ich machte mir Sorgen was sie zum weinen gebracht hatte - die Hunde waren diesmal komplett -, genoss aber dennoch diesen neuen Körperkontakt.
Randy fing an, unruhig um uns herumzuhüpfen, und die anderen drei zogen mit.
Wir standen auf, schauten uns einmal schnell an und gingen weiter.
"Ich wünschte, mein Leben wäre schon früher so gewesen wie jetzt." sagte sie plötzlich.
Ich sah sie fragend an.
"Jetzt geschieht immer noch Unschönes, Trauriges, Schmerzendes. Aber jetzt gibt es auch den Ausgleich."



copyright © by Eiraith. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


wow
ich wollte eigentlich die Geschichte nur schnell überfliegen, da ich die anderen Teile noch nicht kannte, aber als ich die ersten Zeilen las hab ich mir alle Teile rausgesucht und ich find die ganze Story nur hammer! Würd mich freuen, wenn du noch mehr schreibst.
luju - 01.02.2007 16:35

vivalavita: 30 Karat Karneval - Freitag 28.2. - 20 Uhr in Kölle - 2 Floors - Karneval - Dance/Charts - Instagram 30 karat deluxe      +++     >>> Laufband-Message ab nur 5,95 € für 3 Tage! <<<