Auf der Landstraße

von LovelyMoonlight


Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Freund. Er wohnte 120 Kilometer weit weg von mir und deshalb konnten wir uns nur an den Wochenenden sehen. Ich liebte die Fahrten dorthin, weil es fast nur über Landstraßen und durch Wälder ging. Für einen Naturmenschen wie mich eine wahre Freude.
Ich fuhr gerade durch den Wald. Einige hundert Meter vor mir fuhr ein schwarzer VW Golf. Ansonsten war weit und breit niemand zu sehen.
Da passierte es. Ein Reh sprang aus dem Wald und überquerte vor dem schwarzen VW die Fahrbahn.
Der Fahrer des Wagens machte eine Vollbremsung und versuchte dem Reh auszuweichen. Das Auto geriet ins Schleudern und prallte gegen einen Baum.
Ich war so geschockt, dass ich beinahe auch noch einen Unfall verursacht hätte. Ich fuhr an den Straßenrand und schaltete die Warnblinkanlage an. Dann rannte ich zu dem verunglückten Fahrzeug.
Ich öffnete die Fahrertür. Die Fahrerin war bewusstlos, aber ich glaube der Airbag hatte schlimmere Verletzungen verhindert.
Sofort zog ich mein Handy aus der Hosentasche und rief einen Krankenwagen.
Plötzlich schlug die Frau die Augen auf und es traf mich wie ein Blitzschlag. Ich sah in wunderschöne blaue Augen.
Die Frau wurde unruhig, fast panisch und wollte aussteigen. Vermutlich hatte sie einen Schock erlitten. Verängstigt sah sie mich an, als ich ihr sagte sie solle sitzen bleiben. Die ganze Zeit sprach ich zu ihr, dass sie keine Angst haben müsse und dass der Krankenwagen unterwegs ist.
Bevor sie wieder ohnmächtig wurde sah sie mir vertrauensvoll in die Augen. Ich glaube in diesem Moment war es um mich geschehen. Ich hielt sie die ganze Zeit fest, damit sie nicht aus dem Auto fiel.
Weinig später kam auch der Krankenwagen. Bevor man mich jedoch weiter fahren ließ bekam ich ein leichtes Beruhigungsmittel.
Als ich wieder in meinem Auto saß, sagte ich meinem Freund ab, obwohl ich schon mehr als die Hälfte der Strecke gefahren war. Er hatte Verständnis dafür als ich ihm von dem Unfall erzählte.

Zuhause angekommen rief ich sofort meine beste Freundin Inez an. "Kannst du bitte rüber kommen? Ich brauche dich jetzt!"
"Klar Süße! Ich bin in zehn Minuten da."
Inez erschrak als ich ihr die Tür aufmachte. "Was ist denn mit dir passiert? Du bist ja ganz blass!"
Ich erzählte ihr von dem Unfall.
"Das ist ja schrecklich. Ich werde auf jeden Fall heute Nacht bei dir bleiben."
Ich überlegte ob ich Inez auch davon erzählen sollte, dass ich glaubte mich in die Fahrerin des Unfallwagens verliebt zu haben. Ich entschied mich die Karten offen auf den Tisch zu legen.
"Inez, da ist noch was!"
"Was denn, Süße?"
Ich druckste ein wenig herum. Also, ich glaube... ich denke... sicher bin ich mir nicht..."
"Na komm schon, raus damit!"
Ich wusste dass Inez mich verstand. Sie war selbst lesbisch. Wenn mich jemand verstand dann sie.
"Ich glaube ich habe mich in diese Frau verliebt!"
Inez flippte fast aus vor Freude. "Ich wusste es! Ich wusste du würdest dich früher oder später in eine Frau verlieben.“
„Ich bin mir doch überhaupt noch nicht sicher!“, verteidigte ich mich.
„Findest du sie süß und hast du ein Kribbeln im Bauch wenn du an sie denkst? Na…?“
„Ja schon, irgendwie!“
„Siehst du, dann bist du auch in sie verliebt. Ich bin deine Freundin. Ich spüre so was.“
„Na toll und wie soll es jetzt weiter gehen. Ich meine ich kenne diese Frau nicht. Ich weiß noch nicht mal ihren Namen. Ich weiß nicht ob sie lesbisch ist. Nichts! Und außerdem bin ich mit Christopher zusammen. Schon vergessen?“
„Dann machst du eben Schluss mit ihm und ich werde versuchen deine Unbekannte wieder zu finden. Vertrau mir!“
Inez hatte gut reden. Sie sah mal wieder überhaupt keine Probleme. Als wenn alles so einfach wäre.
Inez verordnete mir nach solch einem Tag strikte Bettruhe. „Ich werde mich schon um dich kümmern!“
Es blieb mir nichts anderes übrig als ihren Anweisungen zu folgen.
Inez klemmte sich unterdessen hinters Telefon und rief alle Krankenhäuser im Umkreis von 200 Kilometern an.
Am späten Nachmittag stürmte sie jubelnd in mein Zimmer.
„Ich hab sie gefunden, deine schöne Unbekannte.“
Sie drückte mir eine Adresse in die Hand.
„Und jetzt?“, fragte ich.
„Bist du sicher, dass du nicht auch einen Unfall hattest? Du ziehst dich jetzt an und wir fahren da hin. Los!“
Wenig später waren wir unterwegs. Inez bestand aber darauf zu fahren. „Heute lasse ich dich bestimmt nicht mehr hinters Steuer.“

Zwei Stunden später waren wir endlich am Ziel. Inez kannte sogar die Zimmernummer.
„Wie hast du es bloß geschafft, dass das Krankenhaus dir Auskunft gibt, wo du doch keine Verwandte bist?“
„Ach, ich habe ihnen einfach erzählt, dass du dich total in diese Frau verliebt hast und dass du sie unbedingt wieder sehen musst, weil du sonst an gebrochenem Herzen stirbst.“
„Was hast du gemacht?“
„Was regst du dich denn so auf. Es hat doch funktioniert!“
Eigentlich hatte Inez Recht. Nach dieser Erkenntnis hatte ich endlich Zeit nervös zu werden.
„Was soll ich ihr denn sagen?“
„Dir wird schon was einfallen.“
Endlich standen wir vor dem Zimmer.
„Ich warte draußen“, meinte Inez.
Nervös betrat ich das Zimmer. Da lag sie. Um den Kopf hatte sie einen Verband. Sie sah nch ziemlich mitgenommen aus, aber sie lächelte als sie mich sah. Ob sie mich überhaupt wieder erkannte?
Ich trat zu ihr ans Bett.
„Du hast mir das Leben gerettet“, flüsterte sie und streckte mir ihre Hand entgegen.
Ich nahm ihre Hand und sagte: „Ich würde es immer wieder tun!“