von Preya
Für einen Moment hatte sie nicht aufgepasst. Hatte ihre Gedanken schon wieder bei der Musik, dir in ihre Ohren drang. Tonlos sang sie mit- jeden Song, wie immer- während sie in die Pedale trat. Der Weg war öde. Immer nur geradeaus. Langweilig. Seit drei Jahren fuhr sie ihn fast jeden Tag, manchmal sogar zwei Mal. Ein Mal hin und dann wieder zurück. Die Uhrzeiten variierten, ebenso wie die Autos, die an ihnen vorbeirasten. Die anderen Radfahrer, die sie überholte oder mit denen sie an der roten Ampel stand. Die Passanten, mit oder ohne Hund. Auch das Wetter änderte sich von Zeit zu Zeit. Aber der Weg an sich blieb immer der Gleiche.
Und nun? Nun lag sie plötzlich da. Bekam wage noch mit, wie sich eine Menschenmenge um sie versammelte. Vor ihren Augen verschwamm alles. Sie konnte nicht erkennen, wie viele Menschen vor ihr standen. Es war belanglos. Viel wichtiger war, was eigentlich passiert war. Sie wusste es nicht. Ihr fehlten die letzten Sekunden. Vielleicht sogar mehr?
“Hallo? Hören Sie mich?”, fragte eine Frauenstimme laut und sie spürte, wie ihr jemand auf die Wange schlug. “Hallo? Ich bin Dr. Haaß, können Sie mich verstehen?” Sie antwortete nicht. Sie wurde müde. Hörte weiter die Frauenstimme, wie sie mit irgendwelchen Worten um sich warf. Fremdwörter, sie konnte sie nicht mehr verstehen. Ihr fielen die Augen zu und sie schlief ein.
“Hallo? Bleiben Sie bei uns! Wissen Sie wer sie sind? Können sie mir Ihren Namen sagen?”, fragte Dr. Haaß, als sie sie wieder bei Bewusstsein hatten. Von ihr war kaum eine Bewegung wahrzunehmen.
“Ihr Name ist Gilian Liets. Sie ist 23 Jahre alt. Ihr Blutgruppe ist Null resus positiv”, antwortete eine junge Frau. Sie hatte aufgrund der roten Ampel angehalten und das Fahrrad auf dem Boden erkannt. Ihr eigenes rücksichtslos in fallen gelassen und sie durch die Menschenmasse gezwängt.
“Und wer sind Sie?”, fragte die Ärztin.
“Ich bin Rebecca Mann”, antwortete die Junge Frau. “Ich bin ihre Mitbewohnerin und bete Freundin.” Was ist denn mit Gilli?”
Sie ist angefahren worden.” Der Blick des Sanitäters ging in Richtung eines LKWs. Der Fahrer stand davor und schien vollkommen aufgewühlt. Vielleicht hatte er Schuld. Die Polizei stand bei ihm. “Können Sie die Familie benachrichtigen?”, fragte er weiter.
“Ja, natürlich. In welches Krankenhaus fahren Sie sie denn?”
“Uniklinikum”, antwortete der Sanitäter knapp, verriegelte die Tür der Ladeklappe des Krankenwagens und stieg vorne an der Seite selbst ein. “Das wird schon wieder”, entgegnete er noch, bevor er die Tür zuzog.
“Mensch Gilli”, flüsterte Rebecca und sah auf das kaputte Fahrrad auf der Straße, als ein Polizist an ihr vorbeiging. “Entschuldigung?”, fragte Rebecca zaghaft.
“Ja?”
“Kann ich ihre Sachen mitnehmen?”
“Das Fahrrad muss hier bleiben”, antwortete er.
So schlau war Rebecca selbst. “Ich meinte auch ihren Rucksack und ihren Schuh.”
“Darum muss sich die Familie kümmern. Ihre Habseligkeiten werden in die Klinik gebracht.”
Rebecca sagte nichts mehr. Offensichtlich war er zu inkompetent. Die Menschen standen immer noch um die Stelle herum, an der vorher noch Gilian gelegen hatte. Als hätten sie nichts Besseres zu tun. Die Polizei konnte nicht mehr tun, als sie zu bitten den Platz zu räumen, aber kaum jemand befolgte diese Anweisung. Rebecca suchte sich ihren Weg durch die Menge zu ihrem Fahrrad. Genervt schwang sie sich hinauf und fuhr los. >Hätte er auch gleich sagen können<, dachte sie sich.
‘gut, du bist online’, begrüßte sie Nele, Gillis Freundin über ihren icq- Account, nachdem sie schon Gillis Eltern nicht erreichen konnte.
‘was ist denn los schatz?’, fragte Nele. Es war seltsam, sobald man chattete oder eine SMS schrieb, war die Fähigkeit für Groß- und Kleinschreibung wie ausgelöscht. Alle machten das so. Alle schwammen mit dem Strom. Ob Nomen oder Name, alles wurde einfach klein getippt.
‘ich bin nicht Gilli. ich bins, rebecca. gilli hatte einen Unfall.’ Sie tippte schnell. Zu schnell. Sie war immer noch aufgebracht wegen diesem Idiot von Polizeibeamten, dass sich einige Tippfehler einschlichen.
‘was? wo? was ist passiert? wieso?’ Noch während sie tippte, versuchte sie Gilian auf dem Handy zu erreichen.
‘pass auf: ich weiß nicht genau wie. ich weiß nur, dass es ein lkw gewesen sein muss. ich war grad erst da, als sie schon fast im krankenwagen lag’ Erneut versuchte sie Gilians Eltern anzurufen, aber wieder nahm, niemand den Hörer ab.
‘ich komme sofort! ich nehm den zug in einer stunden. holst du mich am bahnhof ab?’, fragte Nele.
Rebecca missfiel der Gedanke. Nele und sie wurden einfach nicht richtig warm miteinander. ‘ja’, tippte sie. Es ging hier um Gilli. Sie stand im Vordergrund.
‘danke’, antwortete Nele noch, dann war sie auch schon offline
>Na toll<, dachte Rebecca, >das jetzt auch noch!<
Noch einmal wählte sie die Nummer von Gilians altem Zuhause. Wieder ging niemand ans Telefon. Irgendwo hatte Gilli ihr mal die Handynummer ihrer Mama notiert, schoss es Rebecca durch den Kopf. Nur wo? Wie vom Teufel gejagt sprang sie auf und verwüstete ihr Zimmer. Spardose- nein! Pinnwand- Fehlanzeige. Sie durchwühlte ihren kleinen grünen Container, der unter ihrem Schreibtisch stand. Jede Schublade räumte sie aus um sie anschließend wieder einzuräumen. Aber auch da war kein roter Zettel auf dem in Großbuchstaben “NOTFALL” stand zu finden. Sie sah sich in ihrem Zimmer um. Das reinste Chaos! Dabei hatte sie gestern erst aufgeräumt, geputzt und gewischt. Alles für die Katz’. wütend ging sie in die Küche und machte sich einen Nutellatoast. als sie die Kühlschranktür zuschmiss bemerkte sie etwas Rotes in ihrem Augenwinkel. Da fiel es ihr wieder ein. Sie selbst hatte ihn dorthin geklebt. Den Zettel, den sie gerade so verzweifelt gesucht hatte. “Damit ich ihn immer finde”, hatte sie zu Gilli gesagt, die sie daraufhin ausgelacht hatte. “Wenn es soweit ist, hast du es eh vergessen”, hatte Gilli damals geantwortet. Und sie hatte Recht behalten. “Du blöde Kuh!”, sagte Rebecca laut in Richtung Zettel. “Immer hast du Recht!”
Ihr Toast sprang aus dem Toaster. Ihr Magen knurrte. Beides musste noch einen Augenblick Geduld haben. Sie stürzte in ihr Zimmer auf ihr Bett wo ihr Handy lag.
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Preya. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.