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Aus,vorbei!

von Artemis1983


Aus, vorbei!

Ich klappte das Buch zu, und schaute nachdenklich durch das Fenster, in die dunkle Nacht heraus. Feine Spritzer, die sich schon nach Sekunden, plötzlich in klatschende Wasserbomben große Regentropfen verwandelten, trommelten gegen die Scheibe. Ich war lange durch die Stadt geschlendert, allein. Als die Bahn den Untergrund verließ, war es schon Nacht geworden. Wieder musste ich an das denken, was mich schon die ganze erste Ferienwoche beschäftigt hatte. An die „Sache“. Aus, vorbei!, flüsterte ich in mich hinein. Es war ein Fehler, es zu erzählen. Es war ein Fehler, überhaupt daran gedacht zu haben.

Ich klappte das Buch wieder auf, las ungefähr dreitausend mal das, was sie auf die erste unbedruckte Seite geschrieben hatte. „Für Beatrice, an einem besonderen Tag ein besonderes Buch!!! Alles liebe deine Melissa-“ Ein besonderer Tag ist es wahrlich gewesen. Meine beste Freundin hat mir, aus lauter Freude, dass ich die Versetzung geschafft hatte, einen schrecklich teuren Gedichtband, von meinem Lieblingsschriftsteller gekauft. Und genau an diesem besonderen Tag, habe ich meiner besten Freundin erzählt...Ja, was erzählt man denn normalerweise seiner besten Freundin?

Zum Beispiel so was wie: Ich bin in deinen älteren Bruder verknallt. Oder: Die Bettwäsche, die mir meine Oma geschenkt hat, die mit den Tele-Tubbies, die find ich eigentlich irgendwie richtig klasse...Nein, dass ist dann doch schon zu peinlich! Wie wär’s denn mit: Jedes mal, wenn du deine ausgeblichene Lieblingsjeans trägst, die, die dir so eng auf den Hüften sitzt, wird mir ganz anders. Wenn du dich beim Geschäftebummeln bei mir unterhakst, oder meine Hand nimmst, läuft mir ein angenehmer Schauer über den Rücken.

Ich kenne Deine Augen in und auswendig, kann aber meine Blicke nicht von ihnen reißen. Ich bin ganz hin und weg von ihnen, besonders wenn du mich so spitzbübisch angrinst, deine Augen lachen immer mit. Ein Zeichen von Ehrlichkeit! Also bin ich ehrlich zu ihnen gewesen, und plötzlich hatten ihre Augen einen Ausdruck, den ich so gar nicht kannte. Wir haben dann nicht mehr viel gesagt, an diesem Nachmittag. Irgendwann sagte sie mir, dass sie nach Hause müsse. Ich begleitete sie nach unten in unsere Diele, und sie war so durcheinander, dass sie jeweils die Schnürsenkel des linken und rechten Schuhs zusammenknotete. Wir betrachteten ihr Werk und lachten darüber, aber so unbefangen wie immer, war es nicht gewesen.

Seitdem hatten wir nur ein paar mal telefoniert. Die Woche hatte ich mit Grübeln und Gedichte lesen verbracht. Besonders aber die erste Seite...

Und nun saß ich da, wusste nicht was ich tun sollte, wie ich das jemals wieder in Ordnung bringen konnte. Eine Woche, die wir uns schon nicht mehr gesehen hatten! Das war Ewigkeiten nicht mehr vorgekommen. Und beide waren wir Zuhause, oder schlenderten allein durch die Stadt, trafen Bekannte...nur uns nicht. Der Regen lief in Bächen über die Scheibe, die paar Lichter die grell aus der Schwärze der Nacht herausstachen, konnte man nur noch verschwommen erkennen.

Irgendwann erreichte die Bahn auch die Haltestelle, an der ich aussteigen musste. Zwei Schritte, und ich war unter der Überdachung des Bahnsteiges, schon fast total durchnässt. Normalerweise hätte es mich wütend, nein, zum Tosen gebracht, ohne Schirm die zehn Minuten durch das Unwetter nach Hause zu laufen. Aber ich lief nicht, ich war nicht mal wütend, und am wenigsten spürte ich den Regen. Höchstens ein angenehmes prasseln auf meiner Haut. Der Regen bildete endlose kleine Lachen auf den Straßen und Bürgersteigen, die Straßenleuchten verliehen ihnen das Aussehen von kleinen Seen, mit einer schimmernden Oberfläche. Was Melissa jetzt wohl macht? Ich hätte weitere zehn Minuten gehen müssen, um sie zu besuchen. Der Regen war mir egal, aber ich wollte sie ja auch gar nicht besuchen. Was hätte ich denn sagen sollen? Nichts ist jetzt mehr wie früher.

Aus, vorbei! Das dachte ich übrigens auch, als ich merkte, dass ich meinen Hausschlüssel auf der Küchenablage liegen gelassen hatte. Meine Mutter war auf Geschäftsreise in Paris, aber Gott sei Dank gab es ja noch meinen Paps, der es vorzog, den ganzen Tag Zuhause zu sein, so wie es freiberufliche Informatiker eben tun. Computerzombies, nannte ich sie nur. Aber, irgendwie fand ich es toll, dass immer jemand da war, mit dem man reden konnte, einfach das Gefühl zu haben, dass man nicht allein ist. Als ich den Klingelknopf drückte, wanderte mein Blick automatisch zur offen stehenden Garage, in der kein Auto stand. Mein Finger erstarrte auf der Klingel. -Allein- Wo war mein Vater? Ein Blitz, der die Nacht erhellte, und der gleich darauffolgende Donner sagten mir, dass das Gewitter ziemlich nah war. Panik stieg in mir auf. Ich blickte auf die Uhr, die letzte Bahn war gerade gefahren und der erste Nachtbus kam erst in zwei Stunden. Ich triefte vor Nässe, die Turnschuhe hatten sich mittlerweile vollgesogen, so dass sie bei jedem Schritt schmatzende Geräusche von sich gaben. Wieder ein helles Aufleuchten des Himmels, der von blauen Gewitterbalken durchzogen wurde. Mir fiel dieses Lied ein: Thunderstorm is like....Oder war es Rock you like a hurricaine?

Ich war gerade am überlegen, ob ich in der Garage übernachten müsste, als ich plötzlich eine Stimme hinter mir hörte. „Trisshy? Was stehst du denn hier in der Gegend rum, komm doch rein. Oder brauchst du erst eine schriftliche Einladung?“ Ich drehte mich um, mein Herz blieb fast stehen. Da stand Melissa, in meiner Haustür, trocken! Als ich meinen Unterkiefer wieder eingeklappt hatte, stotterte ich: „Wwas machst ddu, duuu denn hier?“ War das etwa wieder ihr spitzbübisches Grinsen, was ich dort in ihrem, vom Flurlicht erleuchteten Gesicht sah? -„Na was wohl, auf dich warten. Hast ganz schön lange gebraucht, war’s so interessant in der Stadt?“ „Ich, ich...Wie kamst du rein, und überhaupt, wo ist mein Paps hin?“ Ich hätte da wahrscheinlich gestanden, staunend und Fragen stellend, bis der Regen aufgehört hätte, wenn mich Melissa nicht ins Haus gezogen hätte. Wir standen im Vorbau, ich bückte mich um die Turnschuhe aufzuknoten, was ganz schön schwer war. Meine Hände zitterten, weiß der Himmel warum, und die nassen Schnürsenkel machten mein Vorhaben, diese Unterwasserboote auszuziehen, noch schwerer. Endlich war es geschafft und ich richtete mich mit einem Ruck wieder auf. Wir standen ganz dicht voreinander, sie sagte nichts und ich tropfte nur so vor mich hin. Ich traute mich, in ihren Augen zu suchen, was sie wohl jetzt gerade dachte. Hoffentlich dachte sie nicht darüber nach, was ich jetzt gerade denke, dachte ich. Schon wieder war ich bis aufs äußerste irritiert und verwirrt, sie brauchte nur in meine Nähe zu kommen und...

Melissa trat zwei Schritte an mich heran und hob den Arm. Oh Gott, sie kann doch Gedanken lesen!!! „Ich mach mal das Flurlicht aus, sonst werden noch zuviel Blutsauger angelockt .“ Ein heftiges Niesen meinerseits, war die Antwort. Prompt schob sie mich durch den Flur zur Treppe. „Geh du warm duschen und dir trockene Klamotten anziehen, ich mach uns inzwischen einen Tee.“ Ohne Widerworte ging ich duschen. Nachdem ich mir Pyjama und Morgenmantel in meinem Zimmer angezogen hatte, blitzte es wieder, und zwar in meinem Kopf. Meine Eltern weg, allein...allein mit Melissa. Hatten wir das Thema nicht? Schimpfte ich mit mir selber, aber auch das heftigste auf und abgehen nützte nichts, ich musste irgendwann ja wieder hinunter zu Melissa, in die Küche. Ich atmete tief ein, schließlich wollte ich wissen, wieso ich plötzlich Kevin allein zu Haus war!

Die Küche war dunkel, aber die Wohnzimmertür angelehnt. Ein flackerndes Leuchten, deutete daraufhin, dass Melissa den Kamin angemacht haben musste. Beklommen betrat ich unser Wohnzimmer. Da saß sie, die Beine auf dem Sofa angewinkelt, blätterte sie in dem Gedichtband, dass sie mir beim Schuhe ausziehen aus der Hand genommen hatte. „Irgendwie sind die Liedtexte von den Chartschnulzen romantischer, als dieser Kram hier.“ Sie trug ihre Haare offen, dunkle dichte, teils gelockte Haare, die ihr ins Gesicht fielen. Tee! Ja, den brauchte ich jetzt. Ich goss den herrlich duftenden Kräutertee in die zwei Teegläser. „Dein Vater hat gesehen, dass Du zerstreuter Professor deinen Schlüsselbund liegengelassen hast, ich wollte dich besuchen, er kam gerade aus der Haustür geeilt, fragte, ob ich die Schlüssel nehmen könnte, so dass du sie bei mir abholen könntest. Ich wollte aber auf dich warten...“ -„Was ist passiert, er verschwindet doch nicht so ohne Grund...“ „Deshalb wollte ich auf dich warten, es...“ Sie griff nach meiner Hand, schaute ins Feuer, so als ob sie sich dort die nötige Kraft holen wollte, um mir zu sagen, dass... „Es tut mir leid, dein Großvater ist heute Nachmittag gestorben. Deine Oma hat angerufen, dein Vater ist sofort losgefahren, um....“ Aber sie kannte mich zu gut, sie brauchte gar nicht weiter zu reden, es wäre sowieso nicht bei mir angekommen. Stumm, starrte ich nun ins Feuer. „Aus, vorbei!“, sagte ich tonlos und eine Träne lief leise über mein Gesicht.

Melissa wusste, wie ich über Trostreden dachte, also streichelte sie nur meinen Rücken, mir den ganzen Beileidskram ersparend. Lange Zeit schwiegen wir so vor uns hin, dann raffte ich mich auf. „Habe ich dich auch verloren?“, fragte ich Melissa mit heißerer Stimme. Ich sah unentwegt ins Feuer, ich wollte sie dabei nicht ansehen müssen. „Mich kannst du nicht verlieren, niemals!!!“, ihre Stimme klang nun sanft und zärtlich. Sie spielte an der Freundschaftskette an ihrem Hals, die wir beide trugen und nur selten abnahmen. „Das ist vielleicht der Grund, warum...“, sie konnte den Satz nicht beenden, weil ich ihn beendete: -„Warum ich mich in dich verliebt habe?“ „Warum ich so durcheinander gewesen bin, an dem Abend, als du es mir gesagt hast. Da ist mir zum ersten mal klar geworden, wie nah wir uns eigentlich stehen.“

Die Kälte in mir, die ich nach der Nachricht von Großvaters Tod in mir verspürt hatte, wich langsam einer vertrauten Wärme. Aus, vorbei! Nichts war mehr so, wie es einmal gewesen ist. Es war kein Fehler gewesen, es ihr zu erzählen, und noch weniger ein Fehler daran zu denken...Apropos denken: „Bleibst du heut Nacht bei mir?“



copyright © by Artemis1983. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


wundervoll
Ist echt eine tolle Geschichte!

Dein Schreibstil ist super schön hat mir sehr gefallen
Silvaa - 17.06.2012 21:48
traumhaft
Olina1991 - 19.04.2012 00:47
aus,vorbei
LadyDi - 20.03.2002 17:28
Mein Kommentar...
gigi - 03.02.2002 21:40
aus,vorbei
nonbinaryBear - 13.12.2001 19:05

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