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Aus zwei verschiedenen Welten (3)

von Moon84


Aus zwei verschiedenen Welten (3)

Da standen sich nun zwei scheinbar grundverschiedene Frauen wie erstarrt auf dem Rathausvorplatz in einiger Entfernung gegenüber. Sie sahen einander so tief in die Augen, dass sie ihre Umwelt für wenige Atemzüge beinahe vergaßen. Die Beiden ließen sich vom ohrenbetäubenden Lärm, der von den zahlreichen Demonstrationsteilnehmern ausging, nicht stören. Vielmehr knisterte die Luft vor Spannung. Alex und Julia konnten und wollten ihre Blicke nicht voneinander abwenden.

Doch plötzlich wurde Alex durch einen Ruf über das Funkgerät aus ihrer Benommenheit geweckt: „Einsatzkräfte werden im hinteren Teil des Demo-Zugs mit Steinen und Flaschen beworfen! Wir brauchen Unterstützung!!!“ Alex und unzählige andere Polizeibeamte liefen im Eiltempo zum Ende des Aufzugs. Alex' Herz ratterte wie eine Nähmaschine, ihre Muskeln waren zum Zerreißen gespannt und alle Gedanken kreisten nur um die eine Frage „Was wird mich gleich erwarten?“.
Der Anblick, welcher sich ihnen bot, war voller Aggressionen und Gewalt. Es hagelten Steine und Flaschen vom Himmel, Müllcontainer brannten bereits. Alex kam sich vor wie auf einem Schlachtfeld. Durch den dichten Qualm, welcher sowohl von den angezündeten Gegenständen als auch von abgefeuerten Tränengaspatronen stammte, sah sie nur bruchstückhaft menschliche Körper, die entweder verletzt waren oder flohen oder mit anderen Menschen zu einem sich windenden Knäuel verschwammen. Welcher Arm oder welches Bein zu welchem Körper gehörte, konnte sie nicht sagen.
Diese Frage war jedoch auch völlig unwichtig. Alex wollte helfen und ohne groß darüber nachzudenken, lief sie zu den Beamten, die unmittelbar in ihrer Nähe standen. Diese versuchten gerade, einige der ersten Steinewerfer von verletzten Demonstrationsteilnehmern weg zu reißen und abzuführen. Dabei wurden sie jedoch durch zahlreiche vermummte Personen beschimpft und mit Gegenständen attackiert. Um sie herum schlugen unzählige Steine, Flaschen und andere brennende Gegenstände ein, so dass es ihnen nur mit viel Mühe gelang, das Transportfahrzeug zu erreichen. Bevor die ersten Täter abtransportiert werden konnten, sprangen von hinten weitere Vermummte auf sie zu und griffen sie schreiend und johlend an. Wie viele es waren, konnte Alex nicht erkennen. Sie kam auch nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, da sie innerhalb weniger Sekundenbruchteile plötzlich einen brennenden Schmerz über ihrem rechten Auge spürte und wahrnahm, wie eine warme Flüssigkeit an diesem vorbei die Wange hinunter lief. Sie wischte sich über ihr Gesicht und musste voll Erschrecken feststellen, dass es Blut war. Ihr Blut??? Wo kam es her? Es blieb ihr keine Zeit, weiter über dessen Ursprung nach zu grübeln. Mit letzter Kraft sprang sie mitsamt ihren Kollegen zu den festgenommenen Tätern in das Fahrzeug und raste davon...

Julia hatte Alex zuvor verwirrt hinterher geschaut, doch durch den beißenden und immer dichter werdenden Qualm war es ihr nicht möglich, zu sehen, wohin Alex lief und was dort geschah. Alles, was sie wahrnehmen konnte, waren lediglich schrille Schreie, herannahende Sirenen und das wilde Gejohle der vermummten Angreifer. Erst nach vielen quälenden Minuten entspannte sich die Lage soweit, dass die gewalttätigen Ausschreitungen beendet, die Müllcontainer gelöscht waren und die friedlichen Teilnehmer ihren Demonstrationszug fortsetzen konnten. Doch von Alex war nichts mehr zu sehen.

Diese erreichte zwischenzeitlich die Dienststelle, von wo aus zum Einen die Täter weiter transportiert, zum Anderen die verletzten Demoteilnehmer und Beamten ärztlich versorgt werden konnten. Alex hatte Mühe geradeaus zu laufen, ihr Kopf dröhnte und ihr rechtes Auge brannte durch das hinein gelaufene Blut. Mehrere Notärzte kümmerten sich bereits um die Verletzten.
Kurz bevor Alex das Gefühl hatte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, kam ein älterer Arzt auf sie zu und half ihr auf eine provisorische Liege. Durch seine Ruhe ausstrahlende, väterliche Art vertraute sie ihm sofort. Der Doktor nahm sich trotz der aufkommenden Hektik Zeit für sie, untersuchte den Ursprung der Blutung sorgfältig und meinte dann: „Sie haben Glück gehabt. Irgendein scharfkantiger Gegenstand hat Ihr rechtes Auge nur um wenige Zentimeter verfehlt. Ich werde das Ganze nähen müssen. Falls Ihnen jedoch innerhalb der nächsten Stunden schlecht werden oder Sie sich übergeben sollten, müssen Sie unbedingt einen Arzt aufsuchen. Ansonsten muss der Faden in etwa einer Woche gezogen werden. Wenn Sie wollen, können Sie in meine Praxis auch während des Dienstes kommen. Sie brauchen keinen Termin und werden sofort dran genommen. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“ Da Alex noch immer leicht benommen war, konnte sie dem Gesagten nur schwer folgen. Sie gab sich aber auch keine große Mühe, den gemachten Ausführungen des Arztes aufmerksam zu zuhören und diese zu begreifen. Vielmehr wollte sie nur noch nach Hause gehen, sich in ihr Bett kuscheln und die immer schwerer werdenden Augen schließen.

Nach der Untersuchung trottete Alex schwer fällig in die Umkleidekabine und setzte sich auf die dortige Bank. Während sie an die gegenüberliegende Wand starrte, zog sie ihr Blut durchtränktes Uniformhemd aus. Sie grübelte darüber nach, was vorhin eigentlich passiert war. Erst verlief alles so wie immer, doch dann entdeckte sie die schöne Unbekannte in der Menschenmenge, wie sie kampflustig und energisch ihr Schild hoch hielt und gegen die Polizei demonstrierte, tja und nur wenige Wimpernschläge später kam es zu diesen brutalen Ausschreitungen. Was für ein Tag?!? Nun hatte Alex schon das Glück gehabt, der jungen Frau aus der Diskothek erneut zu begegnen und dann kam sie wieder nicht dazu, auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln, geschweige denn den Moment länger und vor allem intensiver auskosten zu können. Das einzige, was ihr blieb, war nur der liebliche und wohlklingende Name „Julia“...

Alex war für eine Woche krank geschrieben worden – genügend Zeit, um über das Erlebte in aller Ruhe nachzudenken. Was hatte der Doktor zu ihr gesagt? „... haben Glück gehabt... Gegenstand hat ihr rechtes Auge nur um wenige Zentimeter verfehlt...“ Verdammt! Jetzt wurde ihr erst klar, wie knapp es für sie doch gewesen war. Was hätte noch alles passieren können? Hatte sie vielleicht irgendetwas falsch gemacht? Alex zerbrach sich nun nicht mehr ausschließlich den Kopf wegen der jüngsten Ereignisse, sondern stellte unbewusst ihr gesamtes bisheriges Leben in Frage...
War sie mit ihrem Leben so, wie sie es bis jetzt geführt hatte, zufrieden? Hätte sie etwas anders machen sollen? Was erwartete sie eigentlich vom Leben? Wenn sie bisher an ihre Zukunft dachte, dann sah sie sich mit einem treu sorgenden Ehemann, zwei wundervollen Kindern und ihrem absoluten Traumhaus, in dem sie alt werden wollte. In diese Vorstellung passten die Gefühle zu einer Frau einfach nicht hinein! Doch stopp – was waren das überhaupt für Gefühle? Sympathie? Schwärmerei? Verliebtheit? War sie denn verliebt? In eine Frau, die sie nicht kannte und die scheinbar ein enormes Problem mit der Polizei hatte? Das konnte ganz einfach nicht funktionieren! Davon mal abgesehen, dass sie Julia wohl 'eh nie wieder sehen würde. Warum also noch darüber nachdenken?! Das Thema war für Alex abgehakt... und zwar endgültig.
Nachdem sie sich zu Hause erholt hatte und ausgesprochen fit fühlte, befand sich Alex endlich wieder im Dienst. Es wurde auch allmählich wieder Zeit... Daheim dachte sie einfach viel zu viel über alles Mögliche und vor allem Unmögliche nach. Das konnte ihr auf Arbeit nicht passieren. Da kam sie glücklicherweise nicht zum Grübeln.

Als Alex dann doch mal ein paar freie Minuten während ihres Dienstes fand, suchte sie den netten älteren Notarzt auf, der sie so gut zusammengeflickt hatte. In der Praxis angekommen, meldete sie sich am Empfang und stellte erfreut fest, dass der Doc recht behielt. Die Sprechstundenhilfe telefonierte erst kurz, um daraufhin gleich auf ein Behandlungszimmer zu weisen, in dem Alex auf den Arzt warten sollte.
Alex öffnete die Tür. In Mitten des Behandlungszimmers sah sie eine junge Frau hinter einem großen, antik wirkenden Schreibtisch stehen, die scheinbar ebenfalls zum Praxispersonal gehörte. Sie hatte ihr jedoch den Rücken zugedreht und sortierte konzentriert Medikamente in den dafür vorgesehenen Schrank ein. Alex musterte die scheinbar junge Frau eingehend. Das weiße T – Shirt und die weiße Stoffhose lagen eng an deren schlanken Körper an, sie umschmeichelten die sportliche Figur und den knackigen Po der Schwester sehr. Irgendetwas an ihr kam Alex bekannt vor. Doch ehe sie sagen konnte, was das war, forderte die Arzthelferin Alex über ihre Schulter hinweg auf, sich zu setzen.
Alex hatte gerade in dem bequemen Ledersessel, welcher direkt vor dem Schreibtisch stand, Platz genommen und wartete auf den Arzt, als sich die Sprechstundenhilfe zu ihr umdrehte. „DU ?!?!?!?!?“ Drang es gleichzeitig einerseits überrascht, aber anderseits auch sehr erfreut aus beiden Kehlen. Vor Alex stand die Frau, wegen der sie unzählige Nächte nur äußerst schlecht hatte schlafen können und die ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte – Julia.
Alex wusste nicht, wie ihr geschah. Wie sollte sie sich jetzt verhalten? Was erwartete Julia von ihr? Sie war einfach nicht im Stande auch nur ein Wort über ihre Lippen zu bringen. Aber auch Julia fühlte sich von dieser Situation völlig überfordert. Und so konnten beide Frauen gar nicht anders, als sich lediglich sowohl entgeistert als auch fasziniert an zu starren.
Von beiden unbemerkt öffnete sich derweil die Tür zum Untersuchungszimmer und die herrschende, beinahe lähmende Stille wurde durch das Eintreten des Arztes unterbrochen. Nachdem sich der Doc nach dem Befinden von Alex erkundigt hatte, widmete er seine gesamte Aufmerksamkeit der Naht und der bis dahin sehr gut verheilten Verletzung. Er war mit dem Heilungsprozess äußerst zufrieden, erklärte Alex, wie sie die Narbe am besten zu pflegen hätte und bat Julia im Anschluss darum, den Faden zu ziehen. So schnell und überraschend wie der Arzt vor wenigen Minuten zur Tür herein kam, verabschiedete er sich auch wieder und eilte in das nächste Behandlungszimmer.
Nun waren Alex und Julia wieder allein. Sie sahen einander tief in die Augen und glaubten ganz genau zu wissen, was die Andere in diesem Moment dachte. Niemand würde in der nächsten Zeit in diesen Raum kommen. Sie waren vollkommen ungestört. Alex schluckte. Das war genau die Situation, in der sie sich nie wieder befinden wollte. Ihr Herz raste. Am liebsten wäre Alex geflohen, doch ihre Beine wollten ihr partout nicht gehorchen. Jetzt lag es an Julia, die sich zuerst aus ihrer inneren Benommenheit löste. Sie machte einen Schritt auf Alex zu, so dass sie einander so nah gegenüber standen, dass sie den Atem der jeweils Anderen auf der Haut spüren konnten. Julia berührte ganz vorsichtig mit ihren Fingerspitzen das Gesicht von Alex und drehte deren Kopf behutsam in Richtung der Lampe. Während sie das tat, durchfuhr Alex ein Kribbeln vom Kopf bis zu den Zehen. Sie wagte es kaum, zu atmen und schloss ihre Augen.
Mit viel Gefühl löste Julia die Naht und zog den Faden aus der rechten Augenbraue von Alex. Man konnte schon jetzt erkennen, dass dort eine Narbe zurückbleiben würde, die das Gesicht aber nicht entstellen, sondern vielmehr noch interessanter machen würde. Alex öffnete ihre Augen. Sie musste wissen, was vor ihr geschah. In ihrem Blick tauchten zwei braune Augen auf, die sie liebevoll, aber auch nachdenklich anstrahlten. Die beiden Frauen sahen einander sowohl verwirrt von der Situation als auch verträumt vor Glück in die Augen.
Julia hatte große Lust, ganz sacht über die noch zarte und empfindliche Stelle über Alex' Auge zu streichen und deren Mund zu küssen. Sie gab ihrem inneren Drang nach und beugte sich langsam nach vorn. Es fehlten nur noch wenige Zentimeter. Doch bevor sie die fremden und dennoch so vertrauten, weichen Lippen, von denen sie schon so viele Male geträumt hatte, berühren konnte, wich Alex zurück. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, griff Alex panisch nach ihrer Jacke und verließ beinahe fluchtartig das Behandlungszimmer. Zurück blieb eine völlig überraschte und zutiefst enttäuschte Julia...




copyright © by Moon84. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Schön....bitte schnell weiter!
...
snoopysfreundin - 07.05.2009 23:00
Ja bitte weiter!
Dance22 - 10.04.2009 00:16
Weiter!
ILY2304 - 07.04.2009 00:22

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