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Blindheit

von Kirschkernverknoteri


Es krachte laut. Der Airbag platzte. Ich wurde nach vorne geschleudert. Ich merkte nichts von einem Schmerz der mich eigendlich überkommen sollte. Mein Körper war nur ein lebloses Objekt. Vor meinen Augen breiteten sich Schleier aus. Zusammengesunken lag ich da. Unfähig mich zu bewegen. Von irgendwo hörte ich Stimmen. Aufgeregte Stimmen. Mein Radio funktionierte noch und ein letztes mal lief unser Lied. Ich schloss die Augen. Ich wollte nicht mehr. Langsam ließ ich mich in das große Schwarz gleiten. Es empfing mich mit seinen starken Armen und barg mich sicher und für immer. Das Lied hatte noch nicht geendet und das Schwarz mich noch nicht ganz eingenommen, da wurde ich hochgerissen. Meine Nicht-wollenden Augen wurden geöffnet. Auf der Anzeige meines Radios lief noch einmal der Name durch und meine Windschutzscheibe war in ein tiefes rot getaucht und in tausende Splitter gesprungen. Das Blut der Sterne. Es sah schön aus. Ich sah zu wie mein Körper aus dem Auto gezogen wurde, das einst mir gehört haben musste. Ich sah Menschen. Viele Menschen. Ich wollte nie wieder Menschen sehen. Ich merkte wie ich angeguckt wurde und langsam Schritt ich zu meinem Körper zurück. Das Schwarz wollte mich nicht. Ich fiel - tief.

Das erste was ich dachte war wohl, du denkst noch. Oder schon wieder? Meine Augen sahen blind durch einen Raum. Ich schloss sie sogleich wieder. Es ist gut blind zu sein. Ich wollte es genießen solange ich konnte. Bald würde wieder Klarheit kommen. So sicher wie der Tot. Der Tot, ja er war ein freundlicher Geselle viele verstanden ihn nur nicht.
Tagelang lag ich wach in einem Bett und merkte, wie man versuchte mich am Leben zu erhalten und mich wach zu kriegen. Ich wollte nicht. Wenn es still wurde ließ ich meinen Tränen freien lauf. Ich ließ sie die alten Feuerfurchen wieder aufflammen. Man ernährte mich wohl über einen Tropf. Manchmal wechselte man einen Zugang. Es tat nicht weh, aber es brachte ein angenehmes dumpfes Pochen. Dann wurde es wieder still. Meine Tränen fielen wieder in Stille. "Wie lange wollen sie das durchhalten?" Eine Stimme zerriss die Stille. Es war keine schöne Stimme. Sie war neutral, kühl ,aber sie erfüllte den Raum. Die Worte schweben durch Nebelschwaden und trafen mich immer wieder. "Ich sitze hier schon seid einigen Tagen und immer wenn es still wird weinen sie. Sie regen sich nicht und schlagen nie die Augen auf. Warum?" Diesesmal war die Stimme anders. Oder stellte ich mir nur einen anderen Ton vor. Einen kurzen Moment erwog ich meine Augenlieder zu öffnen -Nein!- mein Inneres schrie so laut auf, dass ich zusammenzuckte. "Draussen scheint die Sonne.Wollen sie sie nie wieder sehen?" -Sie nie wieder sehen...Nie wieder sehen .... Nie wieder- Die Tränen liefen unaufhaltsam. Ich spürte einen Luftzug und eine Hand Strich mir meine Feuerspuren weg. "Ich denke es bringt nichts sie Dinge zu fragen.Ich erzähle ihnen einfach ein bisschen. Vielleicht wollen sie ja irgendwann auch erzählen."
Es war wie ein kaltes Tuch, dass sich über mein Gesicht legte.
"Ich weiß nicht, ob sie ihr Gedächtnis verloren haben. Aber das ist auch egal." Die Stimme wurde wieder kühl. "Sie hatten vor zwei Wochen einen schweren Autounfall. Dabei wurde eine Person getötet. Ich denke es bringt nichts sie davor zu verschonen. Irgendwann würden sie es so und so erfahren..." Ihre Stimme ging unter lauten, harten und trockenen Schluchzen unter. Ich realisierte erst das es von mir kam, als mir wieder Tränen über das Gesicht liefen. Was viel dieser Stimme ein, einfach so meine Stille zu durchbrechen. "Ich werde sie nun in Ruhe lassen." Ein weiterer Luftzug verriet mir, dass diese schreckliche Stimme fort war. Ich fiel wieder in meinen dämmrigen Halbschlaf, in dem man so gut vergessen konnte.
Eine Woche oder fünf Minuten später kam die Stimme zurück. "Hallo." Die Stimme war diesesmal weicher und schmerzte nicht in meinen Ohren. Aus einem Impuls heraus öffnete ich meine Lippen und krächzte ein jämmerliches "Hallo".Erschrocken über meine Stimme fuhr ich zusammen. Die Stimme schwieg ein überraschtes Schweigen. "Möchten sie heute etwas erzählen?" Ich antwortete nicht. "Nun gut. Ich erzähle ihnen wieder etwas. Sie leben in einer kleinen Wohnung. Ihre Eltern leben nicht mehr. Sie haben keine Geschwister und auch keinen Ehemann oder Kinder." Ich hörte ruhig zu, wie diese fremde Stimme ein Leben einer Frau erzählte, die ich einmal gut gekannt hatte.
"Sie haben in einem kleinen Cafè gearbeitet." Die Stimme schwieg wieder. "Ich lasse Sie nun in Ruhe nachdenken."
Wieder legte sihc die Stille über mich. Keine trügerische sondern die Richtige.
"Ich heiße Franziska Welsch. Ich arbeite hier im Krankenhaus." Die Stimme war wiedergekommen, ohne das ich es bemerkt hatte. "Möchten Sie mir etwas erzählen?" Ich dachte nach. Wollte ich? "Wir haben den Vögeln das fliegen beigebracht." Meine Stimme war klar, aber ich konnte sie nicht lenken. "Sie hat mich bei sich aufgenommen, als meine Eltern mich rauswarfen. Sie hat eine kleine Narbe auf der Stirn. Sie ist als kleines Kind einmal die Treppe herunter gefallen." Erschöpft schloss ich meinen Mund und wollte wieder in meinen Halbschlaf sinken, als mir etwas wichtiges einfiel:"Ich liebe sie" -Dunkel-
Ich atmete tief ein. Da war etwas neues. Ein Duft. "Ich habe ihnen eine Blume mitgebracht." Das war alles. Die Stimme verschwand mit ihrem Luftzug. Ich genoß den Duft der sich im Raum ausbreitete und war das erste mal wach. Ich überlegte meine Augen zu öffnen, doch was würde es mir bringen? Das unheil und die vergangenheit. Ein Luftzug strich an meinem Gesicht vorbei."Ich habe sie getötet." Eine kühle Hand erfasste meine. "Ich habe sie mit voller absicht und bei vollem Bewusstsein überfahren. Sperren sie mich weg." Die kühle Hand streichelt langsam meinen Arm. "Mich interessiert nicht was sie gemacht haben. Aber wenn sie davon erzählen wollen höre ich ihnen zu."
Einige Wochen, Tage oder Minuten später hatte ich ihr alles aus meinem Leben erzählt. Alles, ausser von Ihr. Sie brachte mir immer Blumen mit. An einem Tag der wie jeder andere war fragte ich sie etwas, das diesen Tag zu einem besonderen machen würde:"Hilfst du mir?Ich will den Regen spüren." Das erste mal seid langem richtete ich mich auf. Die Schwestern hatten mich schon öfters umgebettet, aber bis jetzt wusste immer noch keiner, dass ich bei Sinnen war, ausser dieser Stimme und mir. Eine Hand hielt mich fest und stützte mich. Meine Beine gaben nach und ich sank langsam auf mein Bett zurück. Lautlos kamen meinen Tränen wieder. Da war ein Luftzug. Direkt vor mir. Die Stimme kannte ich bis jetzt nur als Luftzug, Hand und Stimme. Nun lernte ich etwas neues kennen. Ihren Körper. Sie umarmte mich und setzt sich neben mich auf dieses Bett. Leise weinend lag ich in ihren Armen. Es war als würde ein Stöpsel gezogen, der mein Gefühle und Erinnerungen der letzten Tage hervor ließ. "Sie hatte Krebs im Enstadium. Sie wollte nicht mehr leben. Ich hätte das nicht tun dürfen." Ihre sanften Hände rückten mich ein Stück zurück. Sie küsste mich auf meinen Mund sanft und bestimmend. Sie löste sich wieder und ging hinaus. Langsam kroch ich durch den Raum. Ich fand tastend einen Fenstergriff und öffnete ihn. Langsam zog ich mich an ihm hoch und setzt mich auf das Fensterbrett. In meinem Kopf begann unser Lied zu spielen. Hinter mir wurde irgendwo eine Tür aufgerissen und es kamen viele Menschen herein. "Wir müssen sie leider mitnehmen...wegen Mordes..." Ich hörte nichts mehr als das dröhnende Lied in meinen Ohren. Langsam kippte ich nach hinten über und öffnete ein letztes mal meine Augen und sah einen Vogelschwarm erschrocken aus einem Baum flattern. Der Regen fiel.



copyright © by Kirschkernverknoteri. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Wow!!!
Liebe Hannah, wenn Du mit 16 schon so genial schreibst, was kommt dann noch? - Bitte, mach unbedingt weiter so!!! Ich bin jetzt schon ein Fan von Dir
Sanna2 - 10.05.2009 00:34

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