von lostheart85
Wir feierten unseren Abschluss von der Handelsschule mit unserer Klasse bei Steffi, die in “Kevelear“ wohnt. Sie wohnte außerhalb aber es war in 20 Minuten für mich mit dem Fahrrad zu erreichen. Es war eine laue Sommernacht. Wir grillten draußen und manche tranken Alkohol. Gegen 1 Uhr verließen die ersten die Party. Sie wollte mich mitnehmen. Aber ich war mit dem Fahrrad da, außerdem ist es herrlich warm. Ich verneinte aber bedankte mich.
Gegen 2 Uhr verließ ich, als fast letzte, die Party.
Mir kam der Weg noch nie so weit vor. Ich war anscheinend schon zu müde, deshalb machte ich eine Pause, auf einem kleinen Parkplatz und setzte mich auf die Bank und rauchte in Ruhe eine.
Wie aus dem nichts kam ein Auto auf den Parkplatz. Ich schreckte hoch aber dachte mir, dass es nur welche aus meiner Klasse waren. Ich konnte nichts sehen, denn der Scheinwerfer blendete mich.
Der Fahrer, Beifahrer und vom Rücksitz stieg jemand aus und fragten mit tiefer Stimme, ob ich eine Zigarette für sie hätte. Ich bekam Angst. Ich erkannte die Stimme nicht, sie gehörte zu keinem aus meiner Klasse. Ich drehte mich um und huschte zum Fahrrad.
Bevor ich das Fahrrad erreichte, packte mich jemand von hinten. Er schmiss mich auf die heiße Motorhaube. Er lachte. Ich wollte aufstehen und wegrennen. Doch jemand hielt meine Arme fest. Zwei weitere hielten meine Beine Fest und auseinander. Sie zogen mich ein Stück runter und ich spürte nur noch, wie man mir meine Unterhose wegriss und er sich an meinen Schmerzen vergnügte. Danach drehten sie mich gewaltsam auf den Bauch und man vergnügte sich weiter mit mir. Ich schrie. Ich schrie während ich weinte. Doch keiner hörte mich. Meine schreie blieben unerhört. Nur die Männer, sie hörten mich und lachten.
Irgendwann ließen sie mich los und ich viel auf den Boden.
Ich hörte Türenknallen und schmeckte den Sand, den sie beim wegfahren hoch wirbelten.
Zitternd kroch ich zur der Bank wo ich eben noch saß. Ich wimmerte vor mir hin doch es kam keiner um zu helfen. Ich hatte nicht genug Kraft um mich hochzuziehen.
Ich saß eine kurze weile da und weinte vor mich hin. Dann nahm ich alle meine Kraft zusammen und schrie. Ich schrie alles aus mir heraus. Die Wut, die Angst, den Hass. Anschließend zog ich mich hoch und stieg aufs Fahrrad. Ich bewegte mich, ohne zu wissen wie.
Zu Hause angekommen zog meinen blutverschmierten Rock und mein Zerrissenes Oberteil aus und stopfte es hastig in eine Tüte. Dann stellte ich mich unter die Dusche. Ich wimmerte leise, ich wollte meinen Vater nicht wecken. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich drunter stand. Irgendwann war der sichtbare Dreck von mir ab. Aber ich fühlte mich noch immer schmutzig. Ich blieb noch eine weile stehen und weinte. Als ich aus der Dusche kam, sah ich Schrammen in meinem Gesicht. Die müssen beim runterfallen gekommen sein.
Ich legte mich ins Bett und kauerte mich zusammen. Irgendwann, als es schon hell war, schlief ich ein.
Es klopfte an der Türe und ich schreckte auf. Es war mein Vater. Er weckte mich freudestrahlend, aber als er mich ansah, verschwand sein lächeln: “Was hast du denn mit deinem Gesicht gemacht?“. Ich schaute an ihm vorbei und sagte mechanisch: “Ich bin gegen einen Baum gefahren.“. Dann drehte ich mich um und hoffte dass er ging. Er schloss wirklich leise die Türe und stellte keine weiteren Fragen. Das konnte er auch kaum, da ich ihn in den kommenden Wochen aus dem Weg ging.
In dem halben Jahr, bis zum Dezember, lernte ich viele Frauen im Internet kennen. Ich suchte nichts Ernstes. Doch keine durfte mich berühren, ich berührte nur sie. Ich wollte das nicht und sie hatten nichts dagegen.
Dann wurde es Dezember. Es war eine sehr schwerwiegende Operation. Sie mussten meine Lendenwirbel richten. Denn nach meiner Geburt hat keiner Meine Wirbelsäule abgetastet, wodurch das Wirbelgleiten übersehen wurde. Ich hatte oft Bauchweh und meine Beine wurden ständig taub, weil die Nerven eingeklemmt waren. Der Chefarzt sagte mir: “Entweder sie operieren nicht und landen in ca. 7 Jahren im Rollstuhl, weil der Wirbel dann raus geschoben wurde und sie zusammensacken oder sie operieren und die Chance steht 60 zu 40. Entweder Rollstuhl (60) oder alles geht glatt (40) nach der Operation. Und ich musste das entscheiden, denn ich bin im Sommer 18 geworden.
Es war eine sehr schwierige Entscheidung. Aber ich entschied mich für die Operation.
Sie nahmen ein Stück Hüftknochen, ersetzten den Wirbel, schraubten mir eine Platte rein (die ich noch heute drin habe) und machten alles wieder zu. Ich habe am Rücken eine lange Narbe, am Bauch eine kleinere und an der Hüfte eine Narbe, die aussieht, wie vom Blinddarm, nur auf der falschen Seite davongetragen. Ich musste das laufen neu erlernen. Ich fühlte mich dabei wie ein kleines Kind.
Während ich da lag, verstarb mein Opa. Es nahm meinen Vater sehr mit, denn seine Mutter war schon lange tot. Ich wollte mit zur Beerdigung, aber ich durfte nicht. Ich konnte noch nicht richtig laufen und es war zu kalt um mich mit dem Rücken schon draußen aufzuhalten. Meine Eltern und der Arzt befahlen mir im Bett zu bleiben.
Mein Opa wurde am 18.12. beerdigt. Am 24.12. brüllte ich den Chefarzt an, das ich hier raus muss, das ich meinen Dad nicht über Weihnachten alleine lassen kann. Nicht nach dieser schlimmen Zeit. Wie ein wunder, ich durfte gehen.
Ich schlief zwar fast den ganzen Tag, aber ich war bei ihm zu Hause. Ich durfte täglich nur eine Stunde sitzen, also gingen wir, warm eingepackt, spazieren. Wir gingen zum Friedhof und ich weinte.
Noch heute kann ich nicht am Grab stehen, ohne zu weinen. Denn ich konnte mich nicht von ihm verabschieden.
Mit dem Rücken habe ich heute noch Probleme. Leider ist das Steißbein steif geworden und so habe ich spätestens jedes halbe Jahr heftige Schmerzen. Ich kann auch nicht lange auf einer Seite liegen. Wie bei einer 70 Jährigen eben.
Im Januar lernte ich dann Nina kennen. Nina ist die Cousine der Freundin meines Bruders. Nina war eine attraktive junge Frau. Ich fühlte mich wohl bei ihr. Ich war ihre zweite Freundin. Wir heirateten genau ein Jahr, nachdem wir uns kennen gelernt haben.
In dem Jahr machte ich auch mein zweites Handelschuljahr zu Ende. Und meldete mich für das Abitur an.
Nach drei Monaten Ehe reichten wir gemeinsam die Scheidung ein.
Die Heirat war auch ein Bruch mit Nadine. Ich habe sie nicht zur Trauzeugin beannt. Das machte sie traurig. Sie fand sich als was besseres, weil sie bald Abitur habe. Das machte mich wütend. Unsere Wege trennten sich und wir haben uns bis heute nicht wieder gesehen.
Es war eine Schnapsidee von Nina und mir. Wir waren jung und hatten nichts zu verlieren. Außer uns selbst. Wir lernten beide, kurz nach der Hochzeit, jemand anderen kennen. Wir trennten uns im Guten. Wir hatten einen Anwalt. Keiner musste was zahlen.
Ich lernte Melanie in dieser Zeit kennen. Sie steckte in einer Beziehung. Ich fuhr zu ihr, als der Kölner CSD war. Wir redeten unheimlich viel. Sie fühlte sich nicht mehr wohl in der Beziehung. Sie passten nicht mehr zusammen, meinte sie. Ich war eine Woche bei ihnen und merkte was sie meinte. Die beiden waren grundverschieden. Melanie stand mitten im Leben und ihre Freundin hing irgendwo daneben.
Als wir einmal alleine waren, küssten wir uns. Es war so ein Kuss, der einen betäubt, wo man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Es blieb bei dem Kuss.
Nach dem CSD fuhr sie mit zu mir und sie verliebte sich in der Zeit in mich. Ich ging mit ihr nach Köln zurück und sie sprach mit ihrer Freundin. Sie sah das genauso, aber sie wusste nicht, wie sie es hätte sagen sollen.
Ich packte meine Sachen bei Dad ein und zog nach Köln. Natürlich machte ich mein Abitur nicht. Ich ging arbeiten in irgendwelchen dubiosen Call Centern.
Es gab einen großen Haken an der Wohnung in Köln. Ihre Exfreundin lebte auch noch dort und schlief mit im Schlafzimmer auf einer Couch. Denn sie konnte sich eine eigene Wohnung nicht leisten. Und das machte mich fertig, da ich so eifersüchtig war.
Ich trieb Melanie mit der Eifersucht so in die Enge, dass sie mir fremdging. Nicht mit ihrer Ex Freundin sondern mit einer anderen. Mit einer fremden.
Ich zog zurück zu meiner Mutter. Warum nicht zu meinem Dad? Das weiß ich nicht. Aber ich lebte bei meiner Mutter. Die inzwischen wieder umgezogen war, wieder in eine völlig neue Stadt, mit einer neuen Wirtschaft und immer noch mit Heinz-Josef.
Ich schloss mich viel in meinem Zimmer ein. Ich wollte nur alleine sein.
Ein halbes Jahr später begann ich meine Ausbildung zur Gestaltungstechnischen Assistentin in Köln auf einer Privatschule. Der morgendliche Weg dauerte über 3 Stunden und abends wieder zurück. Das war sehr mühselig. Also zog ich bei einer alten Bekannten von Melanie in eine winziges WG Zimmer ein.
Ich war viel allein in dieser Zeit. Ich dachte zuviel nach. Ich hatte keinen zum reden. Ich war sehr sehr einsam. Ich wollte mir sogar das Leben mit Tabletten nehmen. 2 Tage schlief ich am Stück aber erwachte wider.
Ich traf Claudia im Netz wieder und wir schrieben viel. Bis sie sagte, sie würde gerne für eine Woche nach Köln kommen. Sie kam in den Sommerferien runter zu mir.
Ich freute mich wie ein Schneekönig darüber. Als ich sie sah, war mir wie früher. Ich fühlte mich gleich wieder geborgen und beschützt. Es war eine sehr schöne Woche. Doch leider zu kurz.
Als sie wieder weg war, löste sich auch die WG auf. Ich merkte, dass ich für den bisher bezahlten Preis kein anderes Zimmer bekam. Deshalb entschloss ich mich die Schule aufzugeben und meinem Herzen zu folgen.
Ich zog zwei Wochen, nachdem Claudia weg war, nach Berlin.
Der Abschied von meinem Vater tat mir sehr weh und ich weinte fast die vollen sechs Stunden im Zug. Doch als ich Claudia sah, ging es mir gleich besser. Wir fuhren zu ihr in die Wohnung. Es war eine kleine Wohnung. Doch ich wusste schon, das wir nicht lange bleiben würden, denn sie hatte die Wohnung schon lange gekündigt und wir zogen gemeinsam kurzerhand in die WG ihrer Freunde.
Es war Anfangs sehr schwierig für mich. So war ich doch stets die Stille gewohnt. Die Ruhe auf den Straßen und daheim. Alles war abrupt weg. Es war laut und dreckig. Ständig war jemand in der Wohnung. Ich war kaum noch allein und für mich.
Die Wohnung wurde für vier Personen bald zu klein und wir zogen nach einem Jahr in eine viel größere Wohnung um. Leider hielt das ganze nur drei Monate, denn die Freundschaft ging aus vielen Gründen in die Brüche.
Claudia und ich suchten unsere eigene Wohnung. Die wir auch sehr schnell fanden. Mit einer Menge Glück bekamen wir sie auch zugesprochen. Wir waren froh, dort raus zu sein. Mittlerweile leben wir schon über ein Jahr hier und sind seit zwei Jahren zusammen.
In ihr habe ich die Liebe meines Lebens gefunden. Ich möchte sie nicht mehr verlieren.
Doch in mir drin stelle ich mir immer wieder die Frage: “Warum ich und nicht mein Bruder?“
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lostheart85. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.