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Das Kaufmannsgrab

von Mammalia


Ich schüttelte sie. " Simone, steh doch auf! Warum sagst du denn nichts mehr? Sag doch was!! " Meine Augen wurden nass und meine Stimme immer brüchiger. Trotzdem schrie ich weiter. Ich schrie Simones Namen bis mein Hals anfing kratzig zu werden. Simone schwieg. Sie lag auf dem kleinen, weißbetuchten Bett, die Hände zu einem Schiff gefalten. Ihre Augen waren geschlossen aber wirkten trotzdem wie leer. Meine Lippen suchten ihre und als ich deren kälte spürte, wusste ich entgültig, dass es zu spät war. Mir blieb der Atem stehen und ich rannte los. Ich rannte aus der kleinen Wohnung, die ich jahrelang liebevoll im Landhausstil zusammen mit Simone eingerichtet hatte. Ich rannte durch das Treppenhaus, in dem wir uns das erste mal liebten! Ich lief ohne Rücksicht auf mir im Weg stehende Passanten oder das Hupen der Autos, die meinetwegen anhalten mussten. Ich rannte bis mir der Atem brannte. Als ich realisierte wohin mich meine Beine getragen hatten, fing ich, ohne es zu wollen, an zu lachen.
Simone zeigte mir diesen Ort schon vor Jahren. Es war ihr geheimer Ort, ein kleiner Friedhof, etwas außerhalb der Stadt. Doch hier wurde schon lange niemand mehr begraben. 1960 wurde hier das letzte mal ein Loch ausgehoben und es schien, als hätte seit damals niemand mehr diesen Ort betreten. Außer Simone und mir.

Als sie mich das erste mal an ihren geheimen Ort führte, herrschten frühlingshafte Temperaturen und die Sonne schien freundlich. Die alten, mit Moos bewachsenen Steingräber, strahlten ungewollt eine wohlige Atmosphäre aus. Simone war Photografin. Ihr Lieblingsmotiv war das Grab eines 1840 verstorbenen Kaufmannes, dessen riesiges Steinkreuz unter einer 100 Jahre alten Eiche stand. Dieses Grab hatte sie bestimmt schon 150 mal aus allen Perspektiven festgehalten. Ich fragte sie damals: ,,Schatz, wieso immer dieses eine Grab. Hier gibt es mindestens 70 schöne alte Gräber "! Belustigt antwortete sie mir: " Weil genau in so einem Grab auch ich irgendwann liegen möchte." Die Vorstellung daran ließ mir das Herz höher schlagen. Niemals im Leben könnte ich auch nur einen Tag, eine Suekunde ohne Simone verbingen. Als ich ihr das sagte, lächelte sie nur. Sie lächelte, küsste mich auf die Stirn - und sie verführte mich nach allen Regeln der Kunst.

Ich schlug die Augen auf. Das alles sollte jetzt der Vergangenheit angehören? Endlich alleine und in völliger Stille konnte ich meinen Tränen den Weg ans Licht nicht mehr länger verwehren. Ich weinte. Mir schien es, als weine ich stundenlang den Schmerz der Vergangenen 2 Stunden aus meiner Seele. Warum?
"Warum", schrie ich die laut zwitschernden Vögel an, die darauf hin erschrocken weg flogen. Sie war doch erst 26...

Ein Herzfehler, so hieß es bei ihrer Geburt. Doch bis vor 4 Wochen sah weder der Arzt oder sonst noch jemand Anlass zu handeln. Erst als sie an einem Sonntag morgen, nachdem ich ihr das Frühstück ans Bett brachte, klagte sie das erste mal über starke Schmerzen in der Brust. Ich rief den Arzt noch am selben Morgen und innerhalb 10 Minuten war er da. Er verschrieb Simone starke Tabletten. Simone hat Medikamnete gehasst, schon immer. Deswegen weigerte sie sich auch der Einnahme von Pillen, deren Nebenwirkungsliste länger als die Chinesische Mauer war. So klagte sie im stillen über die Schmerzen im Brustraum, die wir beide für eine vorübergehende Phase hielten. Wie dumm wir doch waren...!
Stunden bevor ich Simone tot im Bett fand, legte sie sich nur kurz aufs Ohr. Eine kleine Müdigkeit erfasse sie, so hatte sie es immer genannt. Ich ging einkaufen - so wie immer Montags - und als ich wieder nach Hause kam, die Tüten voll mit leckeren Dingen um Simone zu bekochen, lag sie da und regte sich nicht mehr...!

Der Friedhof war heute stiller wie sonst und das Grab des Kaufmanns schien mich auszulachen. Plötzlich erfasste mich eine starker, viel zu kalter Windzug. Fast schneidend zog mir die Kälte in die Knochen. Bei dieser Windstärke hätten sich sogar die Bäume bewegen müssen - doch der Friedhof lag völlig regungslos im Sonnenlicht. Wo, um Gottes Willen, kam der eisige Wind her?
So Plötzlich wie er kam, war er auch wieder weg. Und erleichtert schloss ich die Augen. Innerlich schien eine Welt in sich zusammenzubrechen.
Unerwartet legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich wagte es nicht die Augen zu öffnen, aus Angst was mich erwarten würde. "Clara, ich bins" , flüsterte Simones zarte Stimme in mein Ohr. Ein Traum. Das kann nicht sein. Vor 2 Stunden lag Simone doch noch tot in unserer Wohnung. " Ich bin hier um mich von dir und diesem Ort zu verabschieden", antwortete sie, als wenn sie meine Gedanken lesen könne. Vorsichtig öffnete ich die Augen und drehte mich um. Ich erblickte die toten Augen eines fast durchsichtigen Geistes, den ich über alles liebte. Simone versuchte zu lächeln und ich sah, dass es sie unheimlich viel Mühe kostete. "Aber Geister gibt es nicht. Wie kann das sein?" , schrie ich ihr ins Gesicht. Simone blickte traurig auf das Grab des Kaufmanns und flüsterte:" Weisst du noch, dass ich immer in so einem Grab liegen wollte - irgendwann. Jetzt ist irgendwann und ich hasse dieses Grab. Ich hasse es nicht für immer bei dir sein zu können, Clara. Ich hasse es, nicht jeden Morgen in dein Gesicht blicken zu können und dir zu sagen, dass ich dich über alles liebe!"
Nachdem Simone diese letzten Worte gesagt hatte, küsste sie mich auf die Stirn, sagte mir ein letztes mal, dass sie mich liebe und verschwand so unauffällig und schnell wieder, wie sie gekommen war.
Ich schlich eher nach Hause als das ich ging. Die Welt um mich herum schien unwirklich. Plötzlich fiel Schnee vom Himmel, obwohl wir 20 °C und Sonnenschein hatten.
Ein riesiger Lastwagen raste auf mich zu und ich bemerkte ihn nicht. Ich blieb stehen, mitten auf der Straße, unfähig mich zu bewegen. Der LKW kam immer näher und als er nur noch Meter von mir entfernt war, schloss ich die Augen, dachte daran, dass ich jetzt wieder bei Simone sein könne. Doch der erlösende Tod kam nicht. Wo war der LKW? Hat er angehalten?
Vorsichtig machte ich die Augen auf und Simone küsste mich auf die Stirn. "Gut geschlafen, Schatz? Du warst ziemlich Nachtaktiv heute! Ich hätte jetzt aber auch große Lust aktiv zu werden. Nacktaktiv!" Sagte sie lachend, küsste meinen Hals und wir liebten uns intensiver denn je.
Als sie 4 h später über ein komisches ziehen im Brustbereich klagte, zwang ich sie dazu die Tabletten, die sie von ihrem Arzt verschrieben bekommen hatte, zu schlucken! Als sie mich fragte, seit wann ich denn für Tabletten sei, antwortete ich niedergeschlagen, dass ich Sie niemals in dem Kaufmannsgrab sehen wölle...




copyright © by Mammalia. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


einfach wow
klasse geschrieben bin zu tränen gerührt
wildcat31les - 24.06.2009 15:42
Beeindruckend
schnuggelex - 21.06.2009 19:09
doppel und dreifach WOW...
Skywalker80 - 14.06.2009 11:18
doppel und dreifach WOW...
Skywalker80 - 14.06.2009 11:18
Auch von mir, WOW!
Lucy72 - 07.06.2009 00:57

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