Das Kind in meiner Freundin

von sensitivemind


„Wir machen ein Spiel darum“, sagte Tina plötzlich und unvermittelt. Ich sah völlig irritiert von meinem Buch auf und fragte sie, „Liebelein, worum machen wir ein Spiel?“ wieder einmal konnte ich ihr überhaupt nicht folgen. In den Jahren hatte ich mich immer mehr daran gewöhnt, dass ihre Gedankengänge mir so völlig fremd waren. Ich liebte auch diesen Teil an ihr, aber heute hatte sie mich total überrascht. Als ich gerade noch für den Bruchteil einer Sekunde überlegte, was sie um Himmels willen meinen könnte, unterbrach mich jäh ihre Antwort. „Du sagtest doch gerade, du weißt noch nicht, ob du am Wochenende mit mir auf die Frauenfete gehen willst und deswegen hatte ich mir gerade überlegt, dass wir doch ein Spiel darum machen können.“ Mit großen leuchtenden Augen, ja man könnte sagen, wie Kinderaugen, sah sie mich an. Als hätte sie gerade das Menschheitsproblem schlecht hin gelöst.
„Also das ist doch nun völlig kindisch“, warf ich ein. Tina antwortete verständnislos, „Aber wie so? Je höher der Gewinn, bei einem Spiel umso größer ist doch der Spaßfaktor.“ Man sah Tina an, dass sie nicht verstehen konnte, was mich daran störte. Ich kannte sie zu gut, um zu wissen, dass sie mich jetzt für spießig und zickig hielt. Tinas eben noch so gute Laune, begann sich aufzulösen.

„Aber wir können doch nicht darum spielen, ob wir überhaupt hingehen, Schatz.“ „Ach ja, und warum nicht?“ wand Tina schnippisch ein. Oh ich begann zu verstehen, meine Freundin, war mal wieder in ihre kindliche Phase gerutscht. Jetzt musste ich vorsichtig mit meiner Wortwahl sein. Eindeutig kam ihre Borderline-Persönlichkeitsstör ung wieder einmal zum tragen.
„Tina“, begann ich, „wir können um den Eintritt spielen, also d.h. die Verliererin muss den Eintritt der anderen bezahlen, oder wer von uns beiden die Andere den Abend freihalten muss, aber wir können nicht darum spielen, ob wir generell Lust haben dort hin zu gehen.“ Einen Augenblick der Ruhe, dann „Aber dann bräuchten wir doch gar nicht mehr überlegen, ob wir Lust haben, dann würden wir einfach hingehen.“ Oh Gott, diese Logik, brachte mich mal wieder an den Rand der Verzweiflung.
„Pass mal auf“, Tina rollte die Augen, was hieß sie fühlte sich belehrt, „Stell dir einmal vor, ich gewinne und du hast dann keine Lust hinzugehen, dann müsste ich dich, laut unserer Spielvereinbarung zwingen dort hin zu gehen.“ Nun machte sie ein Gesicht, als könnte sie die Bedeutung meiner Worte nicht erfassen, deshalb fügte ich hinzu, „Oder wir spielen demnächst, ob du mit zu Gabi kommst.“ Tina entsetztes Gesicht bewies mir, dass ich sie erreicht hatte. „Das ist etwas ganz anderes, du weißt, dass ich mit Gabi nicht zu Recht komme“, regte sie sich auf, „Du könntest mich nicht zwingen, mit zu Gabi zu gehen, wenn ich verlieren würde. Das gäbe eine Katastrophe!“ sagte sie sehr schnell und aufgebracht. „Eben“, sagte ich. Verständnislos sah mich Tina an, also sagte ich, „Und eine von uns beiden, soll also dann die Andere dazu zwingen, zur Fete zu gehen, obwohl die Andere keine Lust hat? Wie sagtest du eben so schön? Das gäbe eine Katastrophe.“ Ich konnte Tina ansehen, das sie am überlegen war und wahrscheinlich noch gerne etwas erwidert hätte, aber es kam nur noch ein trauriges „Ja du hast Recht“, von ihr.
Ich ging zu ihr rüber, nahm sie in den Arm und streichelte ihr durchs Haar. Liebte ich doch auch dieses Kind in meiner Freundin. Schließlich wusste ich nur zu gut, wie sehr sie selber oft unter ihrer Störung lit. Ich lächelte sie an und sagte mit einem Augenzwinkern, „spielen können wir trotzdem!“