Um LESARION optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern verwenden wir zur Auswertung Cookies. Mehr Informationen über Cookies findest du in unseren Datenschutzbestimmungen. Wenn du LESARION nutzst erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.




Stories » Detail

Das rote Kleid

von Anticipo23


Das rote Kleid
Es beginnt eher mit einem Klopfen, keine Melodie, eher ein leises Klopfen, als würde der Bogen die Geige wecken. Dann die ersten Striche, sie beginnen hektisch, atemberaubend schnell. So als wäre der Puls zu hoch, nicht wegen Krankheit, sondern, weil das Herz manchmal schneller sein will, als es das Leben zulassen möchte. Die Frequenz schwillt an, ein paar der Geigen übernehmen das Pochen weiter, die Melodie, mit hartem Bogen aufgesetzt, setzt ein. Das Ohr merkt, es paßt, das Herz reagiert, der Puls geht schneller. Das Stück dauert nur knapp vier Minuten, es schwillt unaufhörlich an, der geneigte Hörer fühlt nach sechs Takten, wohin es führen wird, er muß mitgehen, er braucht Mut, seinen Herzschlag auszuhalten und die Zuversicht eines connaisseurs, daß auch dieses Stück sich auflösen wird, er muß der Harmonielehre vertrauen.
Sie sieht alles wissenschaftlich, sie hat gern Beweise. Sie sieht alles mit dem Herz, sie hat auch da gern Beweise.
Wie gut, daß sie auch mit der Harmonielehre bestens vertraut ist, die niläugige medica.
Die Harmonielehre, diese Architektur der Musik, verläßlich, stark. Eine Musik kann demnach also auch kathedralengleich oder mandalahaft konstruiert sein. Arabesk zuweilen. Wie das genannte Stück. Der Bogen fängt an, sich auf den Saiten auszutoben, Stakkato, die Melodie nur zwischen den Aussetzern, die das Herz macht, wahrnehmbar, nicht wissend, ob geatmet wird oder stumm-staunend der Atem angehalten wird.
Sie hat ein langes rotes Kleid, bodenlang. Kein vordringliches, lautes Rot, tiefdunkelgeheimnisvollkirschr ot, mit nachtblauem Anteil. Sie trägt keine Schuhe, das Kleid ist aus glattem, glänzenden Stoff. Es schmiegt sich nicht an, wiewohl es fließend ist. Es paßt ihr genau, es hat Stoffrosen aus eben dem Stoff und Farbe, die das Decolletée umfließen und einrahmen, die das sehr geneigte Auge ihrer Betrachter nach unten lenken. Folgt Achatauge dieser Aufforderung, sinkt sie ein in den Ansatz aus so weicher, ungebräunter Haut, die keine Sonne will und auch nicht braucht. Ihr Teint zum Kleid ergänzt sich aufs Perfekte. Eine einfache Perle, keine ganze Kette, ein Schmuck, der wie für sie gemacht und sicher auch gesucht ist, krönt den Anblick. Das rote Kleid umfließt sie, wirbt um sie, buhlt um sie, wie eine Katze die andere auf dem Feld in der Sommernacht.
Der geneigte Hörer hat inzwischen erkannt, daß er dem fordernden, wilden Bogen nicht entkommen wird. SIE wird ihm nicht entrinnen wollen, das ist der Unterschied.
Sie kennt ihn, hat ihn oft genug selbst zu Höhen getrieben, so sinnlich. Sie weiß. Sie steht da in ihrem roten Kleid, streift eine widerspenstige Strähne hinters Ohr, lächelt ihr Prinzessin-Diana-Lächeln, rafft die Röcke um nicht zu stolpern und läuft los. Ihr Puls mindestens 140 Schläge. Aber was soll ihr passieren?
Sie kennt das Ende des Stücks!
Sie läuft und findet es großartig. Ein paar Marienkäfer krabbeln über ihren Weg – mehr Zierde, als daß es sie aufhalten kann. Die Melodie nimmt ihren Lauf, sie schraubt sich schwindelndhoch. Doch der Baß bleibt am Boden, das Fundament. Im Laufen dreht sie sich um, eine Hand hält das Kleid gerafft, die andere ist ausgestreckt, ein Komm-Mit. Die Musik hebt zum letzten Mal an, alle Sinne in Ekstase, eine Sternenexplosion. Sie lächelt, ihr rotes Kleid ist über und über mit Sternenstaub bedeckt.




copyright © by Anticipo23. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





>>> Laufband-Message ab nur 5,95 € für 3 Tage! <<<