von freshkiss
-Das rote Tagebuch-
"Ich wäre gerne wie die Bäume.", sagte das kleine, kluge Mädchen mit den einstschwarzen, langen Haaren zu ihrem Vater. Der verstand nicht, lächelte sie nur anund merkte dabei gar nicht die Enttäuschung auf dem Gesicht seiner kleinenTochter, als sie merkte, das er sie nicht verstand.
Am nächsten Tag, fast zur selben Zeit, besuchten das kleine Mädchen ihreGroßeltern. Die Großmutter lächelte ihr ermutigend zu. Der Großvater saß nurstumm in der Ecke und konnte sein besorgtes Gesicht kaum unterdrücken. An diesemTag meinte das kleine Mädchen mit dem ernsten Gesicht zu ihnen: "Ich wäre gernewie die Sterne." und blickte dabei verträumt und recht zufrieden aus demFenster. Auch ihre beiden Großeltern verstanden sie nicht.
Sie konnten sie nichtverstehen, weil sie genügend andere Sorgen und Probleme hatten, weil sie Angsthatten. Den darauf folgenden Tag spielte das kleine Mädchen in der Kinderklinik fürKrebskranke Kinder. Als die Erzieherin sie fragte, was sie gerne wäre,antwortete das Mädchen mit den Worten: "Ich wäre gerne wie die Luft." Die Fraulächelte nur leicht nervös und stellte die selbe Frage einem kleinen 5 jährigenJungen der begeistert antwortete, dass er gerne Feuerwehrmann werden würde.
Menschenleben retten! -Er wusste nicht, das er nicht einmal in die erste Klassekommen sollte.
Als dann am Abend ihr Vater sie noch einmal auf der Station besuchte, fand erseine Tochter mit den traurigen Augen und dem ernsten kleinen Gesicht vor demFenster wieder. Er hatte ihr etwas mitgebracht. Es war das Tagebuch ihrerMutter, welche bei der Geburt von ihr gestorben war. Ihre Augen leuchteten auf,als sie das hektisch eingepackte Buch mit dem roten Ledereinband und dem kleinenSchloss, aus der Verpackung befreite. Sie war das erste mal seit langem wiederwirklich glücklich. Sie steckte aufgeregt den kleinen Schlüssel ins Loch. IhrVater beobachtete sie dabei und war gerührt von den vorsichtigen Bemühungenseiner 9jährigen Tochter ja nicht das Buch zu beschädigen.
Sie fing an zu lesenund es schien, als würde sie alles um sich herum vergessen. Als der Vater ging,blickte das Mädchen kurz auf, lächelte ihn strahlend an und sagte: "Heute wäreich gerne bei Mama."
Der Vater meinte zu verstehen, nickte kurz und war fast schon den Tränen nah,als er ihr steriles Einzelzimmer verließ.
In der Nacht um 24.ooUhr ging plötzlich im Schwesternzimmer der Station, dieWarnanlage an. Die Schwestern rückten aus, doch als sie ankamen war es schon zuspät. Das Mädchen lag lächelnd in ihrem viel zu großen, weißen Bett, das roteLederbuch immer noch fest in ihren Händen.
Der Vater wurde angerufen, welcher sich wie betäubt auf den Boden fallen ließ.
Er hörte nicht mehr die gut gemeinten Worte, dass alles getan wurde um sie zuretten, das aber letzt endlich der Krebs gesiegt hatte.
Das wusste er ohnehinselbst. Aber er konnte es einfach nicht glauben, nein, er wollte es nichtglauben. Kurz darauf fuhr er ins Krankenhaus. Eine Krankenschwester, welche ihmauf dem Flur begegnete, schüttelte nur traurig den Kopf und reichte ihm wortlosdas kleine rote Buch, aber es fiel ihm aus der zitternden Hand. Als er es aufhobwar es nicht die schöne, geschwungene Schrift seiner Frau, welche ihm entgegenprangte, sondern die sauber-bemühte Schrift seiner kleinen Tochter.
Verwirrt las er die Zeilen eines kleinen Mädchens, welches niemals ein Kind seindurfte.
Ich weiß, ich darf eigentlich nicht in dieses Buch schreiben, da es dein Buchist, aber ich glaube du bist die einzigste, welche mich vielleicht versteht.
Weißt du, ich wäre manchmal gerne wie die Bäume, Eine starke Wurzel, welcheeinen hält und dafür sorgt, das einen nichts ins wanken bringt. Blätter, welchein der Sonne strahlen und den Wind in all seinen Bewegungen begleiten. Bäume!
Sie sind so wunderschön. Im Herbst lassen sie dann ihre bunten Blätter einfachfallen, um dann zu schlafen und die schweren Tage mit der eisigen Kälte hintersich zu lassen. Mit den ersten lockenden Sonnenstrahlen jedoch, erwachen siewieder zu neuem Leben. Ich würde auch gerne meine Blätter einfach fallen lassenum zu schlafen, denn ich bin so schrecklich müde. Nun ja, meine Blätter hab ichzwar nicht fallen lassen, dafür aber meine Haare. Kommt dem doch ganz nahe,oder? Aber wann werde ich endlich schlafen können?
Manchmal jedoch wäre ich auch lieber wie die Sterne. Papa hatte mir mal erzählt,dass wenn wir in den Himmel blicken, wir eigentlich nur die Vergangenheiterkennen. Das hatte mich verwirrt und wahrscheinlich habe ich es auch nichtrichtig verstanden, jedoch finde ich es schön, dass obwohl vielleicht der eineoder andere Stern gar nicht mehr lebt, wir uns ja doch noch an ihnen erfreuenkönnen. Ob sich die anderen später auch noch an mich erinnern können, wenn icheinmal nicht mehr da bin?
An manchen Tagen wäre ich jedoch lieber wie die Luft.
Niemand sieht sie und dochwissen wir alle, das sie da ist, weil ohne, das hat jedenfalls Opa gesagt,könnten wir Menschen ja gar nicht leben.
Nein, vielleicht ist es besser wenn ich mir nicht wünsche wie die Luft zu sein!
Ich mein, vielleicht bin ich irgendwann mal nicht mehr da und was würde dann ausmeinem Vater und meinen Großeltern werden?
Oma hat gesagt, gehen müssen wir alle mal, darum bist auch du gegangen. Als ichnoch kleiner war, habe ich sie dann immer gefragt, wann du wieder kommst, Omahat dann aber nur gemeint, dass nicht du zu mir, sondern irgendwann einmal ichzu dir komme. Mittlerweile weiß ich was sie damit meinte.
Ich glaube, irgendetwas in mir ist schon auf den Weg zu dir, Aber ich weiß, ichwerde glücklich sein, wenn ich erst einmal bei dir bin.
Glücklichsein. Mit dem gleichen, unbegreiflichen Wort hatte auch seine Frauaufgehört in ihr Tagebuch zuschreiben. Der Vater weinte entsetzlich bis einkleiner Junge vorsichtig an seiner Jacke zupfte und ihn mit großen, traurigenKinderaugen fragte, warum er so traurig sei. Es war der Junge der Feuerwehrmannwerden wollte. Der Junge konnte nicht wissen, dass er durch diese Geste einMenschenleben rettete und das dies zugleich das letzte sein sollte, welches ernoch retten konnte.
Der Vater von dem Mädchen lächelte ihn unglücklich an.
Auf dem Grabstein, des kleinen Mädchens, stand geschrieben:
Du bist wie ein Baum.
-standhaft und jegliche Kälte überstehend.
Du bist wie die Sterne.
-so fern, und doch für uns sichtbar.
Du bist wie die Luft.
-unsichtbar, und doch immer bei uns.
Du bist wie ein Engel.
-denn wahre Engel brauchen keine Flügel.
Nun bist du bei deiner Mutter.
- und wir wissen, das du glücklich bist.
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freshkiss. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.