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von Lorina
Der Bahnsteig
Der Müll am Bahnhof quillt schon über. Eine McDonaldtüte liegt zerknüllt in einer Ecke. Grafitti verziert die grauen, kalten Wände des Untergrunds. Der Boden ist an einigen Stellen feucht vom letzten Regen. Leute drängen sich am Bahnsteig um die besten Pätze in der hoffnungslos überfüllten Bahn. Wie Soldaten im Gleichschritt öffnen sich die schweren eisernen Türen und schließen sich wieder,nachdem sie ihre Beute verschlungen haben mit einem dumpfen Poltern. Die Bahn fährt los und rauscht mit steigendem Tampo an den ausgestiegenen Menschen vorbei. Das Licht blitzt auf ihrer silbernen Oberfläche bis der dunkle Tunnel die stählerne Schlange verschluckt. Langsam leert sich der Bahnsteig. Eine kurze Ruhe bevor erneut weitere Massen in die Tiefe rollen. Ein gehen und kommen, wie der Wechsel der Gezeiten nur bunter, lauter und auf eine menschliche Weise schmutziger. In all dem Trubel steht sie. Sie ist überall, wo dies Atmosphäre vorherrscht. In jeder Stadt dieser Welt steht sie Tag ein Tag aus an einer der grauen Wände. Sei sieht den Schmutz nicht, denn er gehört zu ihr. Ihr Blick ist starr und konzentriert. Er wirkt kalt und verachtend. Ihr Lachen verwirrt. Sie will erschrecken und schockieren, so wie die Welt sie erschreckt und schockiert hat bis ihre Augen schwarz wurden. Sie reitet einen stählernen Drachen, dessen Panzer im Mondlicht schimmert. Doch unter der Eisenschicht sind tiefe Narben, deren Blut bereits geronnen ist. Sie hat ihn sich selbst gebaut aus Wut und Trotz bis sie irgendwann darunter erstickt. Diesen Moment sehnt sie sich herbei, wenn der Schmerz zurückkehrt, sich seinen Weg in ihr Bewusstsein bahnt. Niemand will sie sehen. Jeder geht an ihr vorbei. Vielleicht mit einem Kopfschütteln, erwachsenen nutzlosen Sätzen, die man ihr vor die Füße wirft. Es gibt ihrem Trotz Nahrung und Bestätigung. Auch ich begegne ihr als sich der Bahnhof bereits wieder füllt und sie in den Massen zu verschwinden droht. Ich will sie ansehen. Ich seh ihre Seele, wie sie gekrümmt in einer grauen Ecke kauert. Ihr Lachen klingt Schrill in meinen Ohren. Mein Herz wird schwer unter ihrem Blick. Ich will ihr die Beachtung schenken, die sie verdient, die sie nicht will, weil sie meine Schwäche kennt, die ihrer gleicht. So gehen auch wir aneinander vorüber, als bereits der Wind der nächsten heranrauschenden Bahn ihr schwarzes Haar verweht. Bis zum nächsten Mal an einem anderen Tag, zu neuer Zeit, in einem anderen Eck dieser Welt.
copyright © by
Lorina. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.
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Sehr sehr schöner Text. Dickes Lob.
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