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Der Brief

von circushead


Da sitzt sie nun. Vor ihr liegen Feder und Papier. Doch das Papier ist weiß. Noch nichts hat sie geschrieben. Sie starrt auf das Blatt. Immer noch ist es unbeschrieben. Diese Leere des Blattes macht sie verrückt. Sie steht auf, läuft einmal um den Tisch herum, rauft in den Haaren, um sich wieder vor das Leere Stück Papier zu setzen. Sie denkt an die Zeilen, die schon längst hätten geschrieben sein sollen.
Sie ergreift den Füller und taucht diesen in das Tintenfass. Hoffnung schöpfend setzt sie an:

„Liebe…“.

Wütend wirft sie den Füller an die Wand. Die blaue Farbe erzeugt Flecken. Die Tintenflecke erblickend, lässt sie ihren Kopf auf den Tischen sinken. Wären doch nur so viele Wörter auf dem Blatt, wie Flecken an der Wand. Verzweiflung macht sich breit. Sie wusste genau, sie könnte noch Stunden so da sitzen, und nichts würde sich ändern. Mit einem Seufzen kann sie sich doch noch dazu bewegen, aufzustehen, um den Stift aufzuheben. Als sie vor der befleckten Wand steht, scheint es ihr, als würden die Flecken zu Gesichtern mutieren, die sie ausdruckslos ansehen. Es liegt also an ihr, Motivation zu finden.

„Liebe Sonja,“

Wenigstens etwas, der Name steht schon einmal da. Der Name, der völlig für sich spricht. Sonja – der Mensch, von dem sie am Meisten geliebt wird. Doch auch all ihre Liebe, all ihre Zuneigung und Stärke erscheinen ihr wie die Tintenflecke auf der Wand: Ohne Ausdruck.

„Liebe Sonja,
Bitte entschuldige, dass ich mich so lange nicht bei dir gemeldet habe. Du musst wissen, ich habe hier im Moment viele Probleme…“

Der Stift fällt ihr aus der Hand. Sie weiß nicht wie sie beginnen oder enden soll. Zu der Verzweiflung, macht sich nun auch noch Hoffnungslosigkeit breit. Doch sie weiß, sie muss diesen Brief schreiben. Ihr bleibt keine andere Wahl. Sie kommt nicht drum herum.

„[…] Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es haben sich Begebenheiten verändert, und auf diese Veränderungen war ich nicht vorbereitet. Es ist alles so anders. Er weiß von uns. Ich weiß nicht mehr, wie ich ihm gegenüber reagieren soll. ..“

Sie wirft sich zurück in den Stuhl, fixiert die Tintenflecke. Sie sind doch größer, als sie dachte.
Es kostet sie so viel Kraft, den Brief fortzusetzen. Was ist ihr damals überhaupt in den Sinn gekommen, sie zu küssen? Warum musste sie Sonja unbedingt wieder sehen? Wieso konnte sie nicht einfach ohne sie leben? Vorher war alles in Ordnung, doch nun droht die Apokalypse.

„[…] Ich weiß, du hast dir eine Zusage für unser Treffen erhofft, so gerne ich dir diese auch auszusprechen vermag, ich kann einfach nicht. Es geht nicht…“

Jetzt war es draußen. Die Worte, die beiden am Meisten verletzen. Sie will diesen Brief so schnell wie möglich beenden, greift hektisch zum Tintenfass und stößt es um. Die Tinte läuft über ihren Schreibtisch, schlängelt sich wie ein Bach zur Kante und tropft herunter, wie ein kleiner Wasserfall. Doch nicht nur die Tinte beginnt zu laufen, auch ihre Tränen. Selbst diese suchen sich einen Weg auf das Papier.
Sie tunkt den Füller in die Pfütze der Tinte auf ihren Schreibtisch.

„[…] Ich hoffe du versteht, bitte melde dich nicht bei mir. Ruf nicht an und schicke bitte auch keinen Brief. Wer weiß, vielleicht kommt irgendwann eine Zeit, in der wir uns wieder sehen können.
Deine Susanne“

Ihre Tränen lassen die Tinte auf dem Papier verlaufen. Doch sie kann diesen Brief nicht noch einmal schreiben. Behutsam knickt Susanne den Brief und steckt ihn in einen Briefumschlag. Sofort will sie sich auf den Weg zum Briefkasten machen.
Sie geht an das andere Ende des Zimmers um einen Blick in den Spiegel zu werfen. Im Spiegelbild kann sie die Flecken an der Wand erblicken und kann beobachten, wie die Tinte von der Schreibtischkante tropft und sich auf dem Fußboden einen Weg bahnt.
Die Tinte mag es leicht haben, doch die Tränen auf ihrem Gesicht müssen einen Weg durch Schrammen und Kratzern finden. Doch eine Gemeinsamkeit lässt sich finden: Die Flecken an der Wand sind genau so blau, wie ihr Augenlied.

„Ich hoffe du verstehst, ich halte es nicht mehr aus…“




copyright © by circushead. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


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Richtig gut Kleines! *drück*
oOCryingAngelOo - 28.01.2008 14:35
hammer
Mausalex - 28.01.2008 01:29
Sehr Gut,
wiccajuno - 27.01.2008 23:56
traurig
beebop - 27.01.2008 18:55

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