von Mary_Ann
Als ich wieder nach Hause kam, war es nicht mehr das gleiche. Ich will nicht sagen, dass andere Möbel da waren. Sie standen sogar an ihren alten Plätzen. Auch dieser Tisch, den wir anscheinend haben müssen. Er ist mir zu schwer.
Elvira hängt sehr an ihm, das weiß ich. Aber ich kann ihn einfach nicht mehr ertragen. Habe mich noch nie getraut, diesen Unmut in seinem ganzen Ausmaß zuzulassen. Bis heute. Ich hasse diesen Tisch, je öfter ich ihn sehe. Er passt nicht in unsere Wohnung, verdirbt unserer gemütliches Wohnzimmer. Indem er einfach nur dasteht und viel zu viel Raum einnimmt. Seine Schwere erdrückt mich, ich mag nicht mehr mit ihm wohnen. Er oder ich. Heute abend werde ich es Elvira sagen. Und es ist mir egal, ob ihr das was ausmacht oder nicht. Ich werde keinen Tag mehr mit diesem Tisch unter einem Dach wohnen. Das schwöre ich.
Ich habe es gleich geahnt. Gleich am ersten Abend, als Elvira ihn in unsere kleine Dachwohnung schleppte. Ein Glücksfall war diese Wohnung. Ich wollte immer schon mal unter dem Dach wohnen, dem Himmel ganz nah und den Wolken und Sternen zuschauen können, wenn ich sitze. Und dann mit Elvira an meiner Seite. Es war auch schön am Anfang, die ersten zwei Jahre. Aber dann brachte Elvira plötzlich diesen bleischweren Marmortisch an. Von ihrer verstorbenen Mutter geerbt, angeblich ein Prachtstück. Weil Elvira noch sehr um ihrer Mutter trauerte, sagte ich nichts. Er kam und blieb, dieser Tisch. Ich hasste ihn von Anfang an und habe doch bis heute geschwiegen. Habe noch versucht zu retten, was zu retten war. Orangefarbene Vorhänge gekauft und einmal in der Woche frische Blumen auf den Tisch gestellt. Doch es hat alles nichts geholfen, unsere alte Leichtigkeit war dahin. Seitdem der Tisch in unserer Mitte ist, lachen wir kaum mehr.
Ich glaube Elvira ahnt was von meinem Hass. Ich hab ihn lange Zeit versucht zu unterdrücken. Bis gestern dachte ich, ich schaff’s auch. Zumindest ihn vor ihr zu verbergen. Doch es geht nicht. Ich halte das nicht mehr aus. Ich werde wahnsinnig, wenn der Tisch nicht sofort hier rauskommt.
Und wenn ich Elvira dann für immer verliere? Ich liebe sie sehr. Es ist schön, mit ihr zu wohnen. Gemeinsam zu essen. Ich bestehe darauf, dass wir immer in der Küche essen. Obwohl dort wenig Platz ist. Wir haben dort einen Holztisch aus Kiefer stehen, er ist warm und hell. Ich hab wirklich nichts gegen Tische im Allgemeinen. Und ich mag auch unser Wohnzimmer sehr. Sogar noch ein bisschen lieber als die Küche.
Unsere Bücher stehen im Wohnzimmer, die gebundene Ausgabe von Ingeborg Bachman. Wir haben eine hellbraune Lampe aus Ziegenleder an der Decke. Sie macht ein wunderschönes Licht. Früher hab ich dort stundenlang auf dem Sofa gelegen, gelesen, geträumt und mich entspannt. Manchmal mit Elvira in meinem Arm. Das geht nicht mehr. Ich hab angefangen, diesen Raum zu meiden. Schlimm genug, dass ich ihn täglich betreten muss. Es gibt keine andere Möglichkeit von meinem oder Elviras Zimmer aus, das Haus zu verlassen. Kein Weg führt an diesem Marmortisch vorbei.
Gleich, wenn sie kommt, sag ich’s ihr. Ich kann das nicht länger in mir behalten. Es geht ja auch nicht gegen ihre Mutter. Ich mochte sie übrigens, na ja – ich hab es zumindest versucht. Sie hat mich von Anfang an abgelehnt und war dagegen, dass Elvira und ich zusammenzogen. Ihre Homophobie war aber nur ein Teil ihrer Antipathie. Meine Art zu leben gefiel ihr nicht und an meiner Kleidung hatte sie ständig was auszusetzen. Sie hatte sich für ihr Kind einfach was Besseres vorgestellt. Einen Arzt oder Rechtsanwalt vielleicht. Ich war ein Nichtsnutz in ihren Augen, eine Träumerin und Versagerin. So war das und es war mir auch nicht so wichtig. Ich glaube Elvira auch nicht, aber ich habe sie nie danach gefragt. Dass ihre Mutter gestorben ist – an Lungenkrebs übrigens –, tat mir leid. Sie war noch nicht sehr alt. Elvira hat das sehr mitgenommen. Sie hat wenig darüber gesprochen. Nur diesen Tisch, den brachte sie plötzlich an.
Seitdem ist nichts mehr wie früher. Sicher, die Dinge verändern sich und das ist auch gut so. Nur dieser Tisch verändert sich nie. Er ist so schwer und starr und starrt mich immerzu an – mit so einem stummen Vorwurf. Als verhindere er, das wir in Bewegung bleiben. Als stehe er zwischen Elvira und mir. Nach und nach hat er unsere Leichtigkeit zerstört, auch die Lust ist dahin. Ich kann einfach nicht mehr.
Elvira ist noch nicht nach Hause gekommen. Ich habe Angst. Vielleicht bin ich nicht die einzige, die unter der Schwere leidet. Vielleicht wird Elvira mich verstehen. Sonst werde ich gehen.
copyright © by
Mary_Ann. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.