von Basha
Die Braut und ich
Da. Da war sie wieder. Diese unerklärliche Spannung zwischen uns, die mich verblüffte und die es knistern ließ. Sie schaute verlegen zur Seite. Ich merkte, daß sie verwirrt war. Also spürte sie es auch.
„Merkwürdig“, dachte ich, „jetzt kennen wir uns schon so lange. Tanzten Nächte durch, lachten im Kino, weinten uns aus in den Armen der anderen. Sie wußte, daß ich Frauen liebte. Von Anfang an. Und es störte sie nicht.
Sie holte sich bei mir Rat, wenn sie Streß mit einem ihrer Lover hatte und ich klagte ihr mein Leid, wenn ich nicht klar kam mit Eva, oder Maria, oder Carmen. Ich kannte sie in- und auswendig. Sie war meine beste Freundin. Und nun sowas!
Wir waren beide etwas befangen, guckten uns hin und wieder beschämt in die Augen um sofort wieder wegzuschauen, uns ertappt zu fühlen und doch nicht zu wissen wobei.
Unser Gespräch drehte sich, und das war das Paradoxe, um ihre Hochzeit. Sie wollte ihn nun doch heiraten. Ihn, mit dem sie nun zwei Jahre zusammen war; ihn, der sie zwar betrogen hatte, aber reumütig zurückgekehrt war; ihn, den sie liebte. Wie sie behauptete.
Ich gab zu bedenken: „Liebst du ihn genug, um dich für immer an ihn zu binden?“ Sie lachte und sagte: „Na sicher, was denkst du denn?“ Aber ihr Lachen klang unsicher und ihre Augen stellten es infrage. „Na ja,“ dachte ich „wenn sie das will. Sie ist alt genug. Sie muß es wissen.“
Ich mochte ihn, ihren Freund. Außer dieser einen Geschichte vor acht Monaten, ein One-Night-Stand wie er hoch und heilig schwor, war nichts Alarmierendes passiert.
Er war nett. Punkt. Nicht mehr, fand ich. Aber ich mußte ihn ja auch nicht heiraten.
Sie schaute wieder hoch von ihrer Hochzeitsliste und holte mich in die Wirklichkeit zurück. „Haben wir jemanden vergessen?“ fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. “Glaube nicht.“
„OK, dann laß uns über die Tischdekoration sprechen.“ Ich fand das alles albern. Aber es gehörte wohl dazu. Diese Rituale, dieser Heckmeck, dieses Sich-präsentieren-müssen, dieses ganze Gefummel und Gewurstel - alles für einen blöden Tag. OK, man sagte es sei der schönste Tag des Lebens. Was wußte ich schon. Ich würde wohl niemals heiraten dürfen. Frauen heiraten sich nicht. Das war so und das würde wohl auch so bleiben.
Wir sprachen also über die Tischdekorationen und über den ganzen anderen Kram, der zu bedenken und zu planen war und irgendwie störte es mich, daß ich mitentscheiden mußte und nicht er, der Bräutigam, der auf einer Geschäftsreise war und sie gestern mit einem flüchtigen Kuß und einem „Du machst das schon, Schatz“ zurückgelassen hatte.
Ich wollte nicht helfen. Ich wollte nicht mitentscheiden für den Tag, der sie von mir entfremden würde. Denn ich liebte sie. Als Freundin - und mehr.
„OK, alles geschafft“, sagte sie. Sie sah mich wieder an. Diesmal wich ich ihrem Blick nicht aus. Wir sahen uns lange an, ohne wegzugucken, ohne etwas zu sagen.
„Ich hoffe, du tust das Richtige“, sagte ich. Sie sagte nichts.
Fünf Tage später sahen wir uns wieder. Ich hatte die ganze Zeit an dieses Gefühl gedacht, das sich in mir für sie regte und mit dem ich nicht umzugehen wußte. Sie würde heiraten. Ich konnte nichts dagegen tun. Wollte ich denn etwas dagegen tun? Ich war mir nicht sicher.
Sie rief mich an und bat mich um sieben Uhr abends bei ihr zu sein. Sie wollte mir „was Tolles“ zeigen. Punkt sieben war ich vor ihrem Haus. Ich hatte Blumen dabei. Margeriten. Das hatte ich noch nie getan, außer an ihrem Geburtstag, doch an diesem Tag war mir danach.
Sie öffnete die Tür in Jeans und einem ausgewaschenen T-Shirt und strahlte mich an. Dann umarmte sie mich. Etwas länger als sonst, aber nur so wenig länger, daß es mir fast nicht aufgefallen wäre. Die Blumen gefielen ihr. Sie sagte: „Was ist los mit dir? Das tust du doch sonst nicht.“
Ich sagte nichts. Sie stellte die Blumen in die Vase und schaute mich hin und wieder prüfend von der Seite an. Es war wieder da. Mein Gefühl. Dieses Grummeln im Bauch, dieses Rauschen in den Ohren. Ich wußte was es war, aber redete mir ein, daß es vom Kreislauf käme. Er war nicht da. Mal wieder. „Er mußte heute überraschend nach London“, sagte sie.
„Findest du das toll?„ fragte ich, „ständig Strohwitwe zu sein?“ „Na ja, damit muß ich mich wohl abfinden“, meinte sie. Es klang aber nicht sehr überzeugt. „Warte mal einen Moment“, bat sie mich „ich habe eine Überraschung für dich.“
Ich sah sie an. Unsere Blicke trafen sich und für einen Augenblick war ich unfähig mich zu bewegen.
„Oh Gott“, dachte ich, „bitte laß es den Kreislauf sein.“
Sie zögerte kurz, dann verschwand sie im Schlafzimmer.
Ich ging zur Stereoanlage, suchte eine CD von Sarah Vaughan heraus und legte sie auf. Ruhige Klänge füllten den Raum.
Ich liebte Sarah Vaughan. Ihre Stimme hatte etwas Wollendes und etwas Gebendes - und etwas sehr Erotisches. Am Fenster stehend sah ich hinaus in die Dämmerung.
„Jetzt wird es schon wieder so früh dunkel und ich habe niemanden mit dem ich die Abende teilen kann“, dachte ich. Ich haßte Selbstmitleid, aber ich wußte, daß ich nicht nur um meine Einsamkeit trauerte. Hinter mir hörte ich ein Geräusch. Sie kam ins Zimmer. Ich blieb reglos am Fenster stehen und sah auf die Stadt.
„Dreh dich um“, sagte sie. Ihre Stimme klang ganz sanft und lockend und ich wollte mich nicht umdrehen. „Dreh dich um und sieh mich an“, wiederholte sie. Ich drehte mich um - und mir stockte der Atem.
Sie stand vor mir; einen knappen Meter entfernt. Ich konnte ihre Augen nur durch einen Schleier sehen. Sie trug ihr Brautkleid.
Ihre Arme steckten in ellenbogenlangen weißen Spitzenhandschuhen. Das Kleid war schulterfrei, mit schmaler Taille und einem halblangen Rock, der etwas bauschig abstand.
Ich spürte einen Kloß im Hals und schluckte schwer. Ich sah, daß sie es sah und ich wußte, daß sie wußte warum. Ich ging einen Schritt auf sie zu und faßte sie um die Taille.
„Du bist wunderschön“, flüsterte ich. „Findest du?“ fragte sie mit leiser zarter Stimme.
Ich nickte und sah ihre Augen hinter dem Schleier feucht werden. Sarah Vaughan sang gerade „Night and day - you are the one“. „Ja,“ dachte ich, „you are the one“.
Auf einmal war mir alles egal. Mir war egal, daß sie bald heiraten wollte, mir war wurscht, daß ich unsere Freundschaft aufs Spiel setzte, ich mußte es einfach tun.
Ich sah sie unverwandt an, hob ganz langsam ihren Schleier und legte ihn sanft zurück, so daß ich ihre warmen, braunen, tränenerfüllten Augen sehen konnte.
Dann hob ich die Hand und streichelte ganz zärtlich eine Träne von ihrer Wange.
„Warum ist das so?“ fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Was denn, mein Schatz?“ fragte ich leise.
„Eigentlich müßte ich doch glücklich sein, aber ich bin es nicht. Weißt du warum?“
Ich sah sie lange an, streichelte ihre Wange und wischte die Tränen fort. Dann sagte ich: „Vielleicht darum.“ Mein Gesicht näherte sich ihrem. Ich erwartete, daß sie zurückweichen würde, aber sie tat es nicht. Ganz langsam und ganz sacht berührte mein Mund den ihren in einem kurzen Kuß. Ich trat ein Stück zurück und erwartete in ihren Augen Angst zu lesen, oder zumindest Verwirrtheit, aber ich sah nur Erstaunen, und Wollen, und Liebe.
Wieder näherte ich mich ihr langsam und plötzlich war sie es, die mich in ihre Arme riß, ihren Mund auf meinen preßte und mich küßte, wie ich noch nie geküßt worden war. Alle Leidenschaft, alle Glut derer sie fähig war, lagen in diesem Kuß und ich dachte nicht weiter sondern erwiderte ihn voller Hingabe und Verlangen.
Als wir uns endlich voneinander lösten, sah sie mich an und sagte „Was denkst du jetzt von mir?“
Ich sagte: „Was soll ich denken? Ich weiß nicht was ich denken soll. Ich bin total durcheinander.“ Sie küßte mich noch mal kurz auf den Mund und sagte:
„Ich glaube jetzt weiß ich, was nicht gestimmt hat. Ich will ihn nicht heiraten. Ihn nicht und auch keinen anderen. Ich glaub... ich will dich.“
Mir ging das zu schnell. „Überleg dir das gut. Alles ist geplant, wenn du jetzt alles absagst, kannst Du es nicht mehr rückgängig machen.“
Mein Kopf dachte vernünftig, aber mein Herz hüpfte vor Freude.
Sie sah mich an und dachte nach. Dann kam sie wieder in meine Arme, legte den Kopf an meine Schulter und sagte: „OK, berechtigter Einwand. Ich werde heute Nacht darüber schlafen.“
Wir verabschiedeten uns mit einem Kuß, der so ganz anders war als die freundschaftlichen Küsse, die wir früher getauscht hatten.
Ich hatte wieder Herzklopfen und Magengrummeln und wußte diesmal genau, daß es nicht der Kreislauf war.
Am nächsten Nachmittag rief sie an. „Ich habe ihn in London aus einer Konferenz geholt und ihm gesagt, daß ich ihn nicht heiraten werde.“ „Du hast WAS?“ rief ich, konnte es aber innerlich vor Freude kaum glauben. „Komm vorbei“, sagte sie.
Eine halbe Stunde später war ich bei ihr. Sie öffnete die Tür, und kaum hatte sie sie geschlossen, lag sie in meinen Armen. Wir küßten uns leidenschaftlich und ich war überrascht, wie wild sie sein konnte. „Ich glaube ich liebe dich“, flüsterte sie.
„Ich liebe dich schon lange“, sagte ich.
„Warum hast du nie etwas gesagt?“ fragte sie erstaunt.
„Ich dachte, daß du es auch so merkst - und außerdem warst du hetero.“
„Wohl doch nicht“, grinste sie und gab mir wieder einen Kuß, der mich von den Socken haute und mich mit ihr auf den weichen Teppich sinken ließ.
An diesem Abend haben wir das erste Mal miteinander geschlafen und es war wie ein Traum.
Irgendwann in einer der vielen folgenden Nächte, als sie erhitzt und glücklich in meinen Armen lag, fragte ich sie: „Willst du mich heiraten?“ Sie setzte sich halb auf, sah mir in die Augen und streichelte über mein Gesicht. Dann fing sie an zu weinen. „Ja. Oh ja, ich will dich heiraten. Ich glaube, ich habe immer nur dich gewollt.“ Ich küßte sie und ich glaubte ihr.
Jetzt sind wir fünf Jahre zusammen. Wir haben in einer kleinen Wanderkapelle „geheiratet“. Ohne Gäste und ohne Tischdekoration. Ich war ganz schlicht gekleidet und sie trug ihr Brautkleid, als wir uns Ringe an den Finger steckten und uns Liebe, Vertrauen und Treue versprachen. Pfeif auf das Klischée; es war der schönste Tag in meinem Leben.
Heute passiert es noch manchmal, daß sie nachdenklich auf ihre Hand blickt, an dem schmalen goldenen Reif dreht und sagt:
„Weißt du noch? Ich hätte damals fast...“, dann lacht sie und sagt: „Sowas Dummes. Dabei bist du doch mein Glücksstern.“
Und wenn sie mir dann in die Augen sieht, weiß ich, daß sie es ehrlich meint - und dafür liebe ich sie.
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Basha. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.