von CJParker
„Herr Doktor, SIE brauchen gar nicht mehr anfangen, ich muss sowieso sterben!“ sagte SIE bei ihrem dritten Herzinfarkt. Ein leichter zugegeben, doch für SIE reichte es. „Ich werde da jetzt nicht mit Ihnen diskutieren Frau K., SIE kommen mit in die Klinik und da werden SIE noch einmal gründlich durchgecheckt!“. SIE sagte nichts dazu, SIE wusste ja was kommt: zigtausend Schläuche, die aus allen Körperöffnungen herausragen, Unmengen an Untersuchungen, wie CT, Langzeit-EKG, Belastungs-EKG, die ganze unnütze lange Prozedur.
Ja, SIE wollte nicht mehr leben, SIE hatte buchstäblich die Schnauze voll. SIE hatte 5 Kinder in die Welt gesetzt und 4 Enkel und 3 Urenkel, aus denen allesamt, dank Ihrer guten Erziehung, was gutes geworden ist. Frau K. war jahrelang Hausfrau aber auch jahrelang in einer Fabrik für Waschmaschinen. Trotzdem hat SIE ihr Leben gelebt, fand SIE. SIE hatte immerhin schon ein stattliches Alter von 87 Jahren erreicht, SIE fand, dass SIE lange genug auf der Welt war. Außerdem hatte SIE schon zwei Bypässe und einen Herzschrittmacher. SIE wurde an der Schilddrüse operiert, hatte sich einmal bei einem Sturz den Oberschenkelknochen gebrochen, konnte seit dem nie wieder richtig laufen und leidet an schlimmer Diabetes. Von den zwei, nein jetzt drei Herzinfarkten ganz zu schweigen. Der erste war vor 10 Jahren, das ging noch gut, die Ärzte hatten schnell reagiert und SIE wieder fit gemacht, der Technik sei dank. Beim zweiten wäre SIE beinahe nicht mehr wieder gekommen, anscheinend wollte sie irgendjemand nicht gehen lassen. Und nun DAS……Nicht mal sterben konnte man in Ruhe.
Aber das interessierte niemanden, als SIE in den Rettungswagen geschoben wurde. „Das EKG sieht den Umständen entsprechend gut aus, wir nehmen Ihnen jetzt noch Blut ab und spritzen ein Medikament gegen die Schmerzen“. Lächelnd sagte der Doktor das. SIE antwortete nicht, nur ein Seufzer war zu vernehmen.
Die Fahrt in die Klinik schien diesmal Stunden zu dauern. SIE dachte an ihre Kindheit, was SIE so alles getan hatte, eigentlich hatte SIE es immer gut gehabt. SIE überlegte sich, was für ein Segen es doch für die Menschen war, als es noch keine fortgeschrittene, medizinische Technik gab, als es noch keine Medikamente für jeden Husten gab. Damals war man krank, nahm irgendein Hausmittel und ging trotzdem arbeiten. Das härtete ab. Heute rennen alle bei jedem Nieser zum Arzt. Früher wusste man wann es soweit war und das Leben vorbei war. Man schloss die Augen und schlief einfach ein. Naja, manchmal fiel man auch einfach um. Auf jeden Fall hatte man es hinter sich. Man war halt einfach tot und das war auch gut so. Dies ist ja schließlich der Lauf der Dinge. Heute wird krampfhaft versucht in einem ausgelaugten Körper jeden Tropfen Leben hinein zu quetschen. Ja man wird gezwungen zu Leben. Ein Zwang, der einen dazu verdammt immer älter und kränker zu werden. Die Qual des Alters wird einem sozusagen auferlegt und die Erlösung so lange hinaus gezögert, bis jemand entscheidet, da kann man nichts mehr machen, obwohl doch schon längst alles vorbei war.
Frau K. ließ alles über sich ergehen, was sollte SIE auch sonst tun? Die Schläuche, die Piekser, die Leuchten, die Geräusche von den Untersuchungsgeräten und die nervigen Stimmen der Schwestern und Pfleger, wenn der Arzt gerade mal seinen Mund hielt.
Dann wurde es plötzlich schwarz…“jetzt“ dachte SIE, „jetzt ist es wohl so weit“. Dann schlug SIE die Augen auf und fand sich in einem Bett im Krankenzimmer wieder. „Wenn das der Himmel ist, dann will ich wieder zurück“, dachte SIE. Ihre Bettnachbarin schnarchte. „Na toll, kann ich nicht einfach meine Ruhe haben?“ sagte SIE bestimmt.
„Guten Morgen, wie geht es Ihnen heute Frau K.?“ Die junge Krankenschwester hatte ein breites Lächeln auf dem Gesicht, warum auch nicht, sie hatte ja Ihr Leben noch vor sich. Doch bei Frau K. war es ja anders, SIE hatte ihr Leben schon lange hinter sich, deswegen war Ihr auch nicht nach einem Guten Morgen. So tat Sie das, was die meisten alten Leute tun, SIE grummelte rum und beschwerte sich über den Krankhausservice und die Unerfahrenheit der Schwestern.
Nun wie es so üblich war bei Ihr, gesundete SIE recht rasch und wurde nach Hause entlassen, das heißt in dieses muffelige Altenheim, wo man nicht einen Schritt ohne Aufsicht machen konnte, sogar das Essen mussten die einem in den Mund glotzen!
Laut Arzt war SIE gesund, doch SIE fühlte sich krank, traurig, einsam. Sogar Ihre Katze durfte in Ruhe sterben, und das auch noch eher als SIE selbst. SIE fühlte sich ziemlich verarscht jetzt so gegen Ende Ihres Lebens. SIE hoffte jeden Abend wenn SIE ins Bett ging, dass SIE einfach die Augen schließt und nicht mehr aufwacht. Es passierte nicht, SIE wachte immer wieder auf und fühlte sich mit jedem Tag schwächer. Nun hatte SIE auch noch Kopfschmerzen. Zum Pfleger wollte SIE nicht gehen. SIE hatte keine Lust auf Medikamente und Ärzte und womöglich wieder ein Krankenhausaufenthalt, also lies SIE es so wie es war und wartete…
Eines Morgens stand SIE auf und begab sich zum Frühstück. SIE hatte heut ein so beflügelndes Gefühl. Es duftete im ganzen Haus nach frischen Brötchen, das gab es selten. Auch durfte man sich heute sein Getränk mal selber aussuchen. SIE nahm sich einen richtig starken Bohnenkaffee, normalerweise durfte sie ja nur Tee trinken. „Es muss heut wohl ein Feiertag sein“, dachte SIE so bei sich. SIE ließ es sich schmecken und genoss diesen Morgen. Nun würde SIE in Ihr Zimmer gehen und ein gutes Buch lesen. Dann als SIE aufstand, passierte es, SIE fiel um…
SIE fühlte es, irgendetwas war anders heute. Es war als würde SIE schweben, alles drehte sich, aber Schmerzen hatte SIE keine. Sie hörte nur noch einen Arzt sagen: „Da kann man nichts mehr machen“ und SIE verstand: „Endlich kann ich sterben…“
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CJParker. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.