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von Atum
Meine Pause ist vorbei und ich traue mich in die unbeugsame Wildnis – den Laden.
Vorsichtig begebe ich mich aus dem Aufenthaltsraum in Richtung Kühlung. Dort wo sich die Milch, der Joghurt und der Aufschnitt gewöhnlich aufhalten.
Links und rechts bekomme ich Deckung von zwei Regalreihen. Langsam bewege ich mich vorwärts. Jetzt wird es kritisch, mein Rücken ist frei und vor mir fehlt jede Möglichkeit mich zu verstecken. Plötzlich und völlig unerwartet taucht vor mir ein Kunde auf. Ich habe schon viel von diesen freilaufenden Kreaturen gehört, allerdings sind sie in Wahrheit noch viel furchteinflössender. Das kann ich Ihnen sagen. Mein ganzes Leben habe ich für diesen Ernstfall geübt – jetzt ist es so weit. Angstschweiß läuft mir die Stirn hinunter. Ich werde keinen Rückzieher machen, wie so viele Verkäuferinnen vor mir. Genau wie im Probelauf senke ich meinen Kopf, meine Augen stur auf den Fußboden gerichtet. „NIEMALS AUGENKONTAKT AUFNEHMEN!", dröhnt es in meinem Kopf. Angestrengten Schrittes bewege ich mich vorwärts, gerade so, als hätte ich noch jede Menge Arbeit vor mir und hätte es eilig, keine Zeit um aufgehalten zu werden. Schließlich habe ich eine Mission zu erfüllen.
Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass der Kunde kurzfristig seinen Mund öffnet. Er will doch nicht etwa eine Frage stellen ... doch dann bin ich schon vorbei, raus aus dem Gefahrenfeld. Den Kunden weit hinter mir gelassen überkommt mich ein wahre Woge des Glücksgefühls. Ich bin der König der Welt – ich habe es geschafft ... und überlebt. **Yeehaw**
Doch dann, wie aus dem Nichts, erscheint vor mir eine neue Art der Herausforderung. Eine Kundin mit Prospekt in der Hand baut sich vor mir auf. Ich atme tief ein, um all meine Kraft zu sammeln. Jetzt gibt es kein zurück mehr und eine Kollegin ist auch nicht in Sicht. Schon legt sie los: „Jetzt habe ich schon überall gesucht, aber ich kann den Sonnenschirm nirgends finden. Immer das Gleiche. SIE machen Werbung für etwas und dann ist es nicht da!" ... Noch einmal atme ich tief ein – kurz überlege ich, wann ICH das letzte Mal, oder überhaupt einmal in meinem Leben eine Werbung erstellt habe – dann setze ich mein freundlichstes Lächeln auf – schließlich habe ich auch diese Situation schon tausendfach geprobt. „Schönen guten Tag", starte ich meinen Monolog. „Diese Woche haben wir Artikel Rund um "Bayern" im Angebot – Sonnenschirme sind leider nicht dabei.", entschuldige ich mich. Jetzt wird die Kundin energischer – sie möchte doch soooo gerne einen Sonnenschirm erwerben. Es scheint wirklich lebenswichtig zu sein. Mit ihrem Zeigefinger hämmert sie auf den abgebildeten Sonnenschirm im Prospekt.
„Kommen sie mir jetzt nicht so.", die Kundin wirkt erregt, ihre dunkelrote Gesichtsfarbe unterstreicht ihre Verfassung noch einmal drastisch. „... ich will ihre Geschäftsleitung sprechen."
„Kein Problem.", antworte ich.
„Ich begleite sie gerne zum Chef, aber vorher möchte ich sie noch gerne darauf hinweisen, das sie ein Prospekt von einem Baumarkt in der Hand halten und sie befinden sich hier in einem Lebensmittelladen." Verwirrt schaut sich die Kundin ihr Prospekt an und erkennt noch irritierter ihren Fehler. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber ihre Gesichtsfarbe verändert sich tatsächlich noch einmal um zwei Nuancen, dann löst sie sich ohne einen weiteren Ton in Luft auf und verlässt den Laden auf dem kürzesten Weg.
... und ich brauche erst einmal einen Kaffee.
Bis zum nächsten Mal.
copyright © by
Atum. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.
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