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Die plötzliche Geborgenheit

von Sari94


Menschenmassen strömen durch die engen Straßen der Stadt. Sich einzuordnen fällt schwer, sich treiben zu lassen, sinnlos. Sie steht am Rand und lässt das Treiben an sich vorüber ziehen, ohne es wirklich wahrzunehmen. Ihr Blick geht ins Leere, ihre Haltung steif und ihr Ausdruck traurig. Es scheint eine Seele in einem Körper gefangen zu sein ohne die Möglichkeit zu haben, sich vollkommen zu entfalten. Die Menschenmassen stören sie nicht. Nein, im Gegenteil, sie scheint sie zu lieben und in ihnen aufzugehen. Denn dort ist sie wie jeder andere und genauso unbedeutend. Niemand würde sie hier zurückweisen oder fragen wer sie ist.
Ob sie gekommen ist, um sich Treiben zu lassen oder sich bewusst einzuordnen, das weiß sie selbst nicht. Immer noch am Rand stehend, beobachtet sie die verschiedenen Leute. Versucht sie einzuschätzen und zu charakterisieren, geht in Gedanken ihre Geschichten durch. Vielleicht auch einfach nur in der Hoffnung, jemanden zu finden, der sie versteht. Jemandem die Hand zu geben, der sie nimmt wie sie ist. Eine warme, raue Stimme tönt durch die Straßen und erfüllt die Masse mit Staunen. Es ist wie ein Befehl, in dem sich alle in die eine Richtung bewegen sollen. Jetzt gibt es weder ein Rechts, Links oder Zurück, nur noch ein nach Vorne. Eine Massenbewegung, die einem Angst machen könnte. Der Stimme lauschend, ordnet sich auch dieses Mädchen ein und diesmal lässt sie sich treiben und zwar ganz bewusst. Die Worte werden verständlicher, die Stimme beeindruckender. Angekommen an einem großen Platz mit einer Bühne und noch mehr Menschen, ist der Gedanke anscheinend falsch gewesen, zu meinen, sich jetzt schon unter einer großen Menschenmasse zu befinden. Es war so gut wie unmöglich die Farbe des Bodens unter den Füßen zu erkennen, es wimmelte einfach nur von ihnen. Jede einzelne Person stand an einem Platz und schaute Richtung Bühne. Nur eine Person drängelte sich durch die Reihen immer weiter vor. Bis sie am Zaungitter stand und die Klänge der Musik durch die großen Boxen ihr Inneres berührten. Auf der Bühne stand eine Frau mit einer knallroten Perücke. Ihre Stimme war nahezu verwechselbar mit der eines Mannes und dennoch einzigartig. Ihre Ausstrahlung war so vielsagend und umwerfend, dass das Herz einer der vielen Personen plötzlich viel schneller schlug. Sie selbst war so gefesselt vom Gesang und vergaß die vielen Menschen um sich herum. Es vergingen Sekunden und sogar Minuten, als der Klang verebbte und die Massen auseinander strömten. Nur vorne am Gitter stand das Mädchen und blickte suchend auf die Bühne. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Herz aufhörte zu schlagen, als die Boxen keinen Laut mehr von sich gaben. Und genau deshalb war sie anders, genau deshalb suchte sie jemanden, der sie verstand. Und in dem Moment hatte sie unerklärlicher Weise diesen einen Menschen gefunden.

Das Gitter an dem sie stand, führte ein Mal um die ganze Bühne herum. So folgte sie, die Hände am Zaun entlangfahrend, dem Weg um die Bühne. Auf der anderen Seite stand ein weißes Zelt, wo sich, nach den Stimmen zu urteilen, Menschen aufhielten. Sie wartete, sie lauschte und sie dachte an diese eine Frau. Ein Mann trat aus dem Zelt hervor und sie konnte ihn als Bassspieler identifizieren. Ohne genauer darüber nachzudenken, sprach sie ihn an und bat ihn, die Sängerin doch noch einmal hinauszuschicken. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen verschwand er wieder. Erst in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie gar nicht wusste was sie sagen sollte. Sie hatte sich nur von ihrem Gefühl leiten lassen. Von einem Gefühl, dass viele Leute an ihr so verachteten. Wie oft hatte sie sich selbst damit auseinandergesetzt, warum ausgerechnet sie. Warum sie selbst nicht so sein kann, wie jedes andere Mädchen in ihrem Alter. Warum sie sich früher immer nur mit den Jungs abgab und nie wirklich einen Unterschied zwischen ihnen sah. Warum sie mit einem Jungen zusammen war und glaubte verliebt zu sein und dann doch in die Wirklichkeit des Lebens zurückgeholt wurde. Manchmal gibt es einfach Dinge im Leben, die sich gar nicht bestimmen und entscheiden lassen. Sie entscheiden ohne unser Einverständnis und sind dann auch unveränderlich. Sie selbst hatte gelernt, dass man mit seinen Gefühlen vorsichtig umgehen sollte. Es sind nicht immer diejenigen deine Freunde, die es vorgeben zu sein. Was Schmerz und Verlust bedeutet, hat sie selbst erfahren müssen und somit festgestellt, dass es eigentlich relativ wenige Gründe zum Lachen gibt. In ihren Gedanken versunken stand sie am Zaun, wie immer, einsam und verlassen. Bis eine Stimme sie ins Leben zurückholte und sie freundlich begrüßte. Dort vor ihr stand sie, abgesehen von dem Zaun dazwischen, und lächelte sie an. Ihre Haare waren nun nicht mehr durch die Perücke verdeckt und erstrahlten dennoch in einem glänzenden Braun. Ihr breites Lächeln zeigte dem Mädchen endlich wieder, was es hieß zu Lachen. Es strömte solch eine wunderbare Wärme aus, dass sie selbst nicht anders konnte. Und diesmal war es ein Lächeln, dass von Herzen kam. Ein Lächeln, dass auch einen Grund hatte.
Sich immer noch anlächelnd, standen die beiden sich gegenüber. Ohne ein Wort zu sagen, schauten sie sich in die Augen. Bis das Mädchen die Stille brach und die für sie eigentlich wildfremde Frau ansprach. Sie bat sie um ein Autogramm, weil ihr in dem Moment nichts Besseres einfiel, wie sie dieses Gespräch beginnen sollte. Und wieder dieses breite Lachen und die raue, warme Stimme. Die Sängerin zog eine Autogrammkarte aus ihrer Tasche und schrieb auf die Rückseite: Alles Liebe, Fiona.
Sie überreichte ihr die Karte und für einen kurzen Moment, spürte das Mädchen die warmen, fremden Hände. Sie bedankte sich schnell und lächelte noch einmal zum Abschied. Doch irgendwie wusste sie genau, dass sie sich bald wiedersehen würden.
Zuhause angekommen, setzte sie sich an ihren PC und recherchierte nach Fiona. Sie stieß auf mehrere Seiten und sog jede einzelne Information in sich auf. Hätte man sie in diesem Moment angesprochen, wäre wohl keine Antwort gekommen. Der Blick des Mädchens wurde plötzlich interessierter und sie klickte auf eine E-Mail Adresse, die auf der Seite von ihr zu finden war. Hoffnung beschlich sie, vielleicht so in Kontakt mit Fiona treten zu können. Sie schrieb ihr ein paar Worte und klickte auf senden. Ein gewisser Herr Beder antwortete ihr und erklärte, dass dies nicht Fiona persönliche Adresse sei, das Mädchen sie aber haben können. So kam es, dass sie doch die Mailadresse hatte und ihr schrieb. Mit dem Herrn Beder blieb sie ebenfalls in Kontakt und auch Fiona ließ nicht lange auf eine Antwort warten. Das sonst so traurige Mädchen lief jetzt immer öfter mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch die Straßen. Doch sie hatte einen großen Wunsch. Sie wollte zu ihr. Sie wollte Fiona besuchen und in ihre Welt eintauchen, die ihr so viel gerechter und freundlicher erschien. Auch wenn sie selbst schon viele Dinge vollkommen aufgegeben hatte, war dies doch eine Sache für die sie kämpfte. Und 3 Monate später stand sie am Bahnhof von Berlin und wartete auf Herr Beder. Er gewährte ihr, 2 Nächte bei ihm zu übernachten und sie mit zu Fiona zu nehmen. Noch am gleichen Abend stand sie vor ihrer Haustür und klingelte. Und da war es wieder. Dieses schnelle Herzrasen, dieses Lächeln auf ihrem Gesicht und dieses Gefühl von Wärme. Sie kamen in den Flur und die Tür wurde geöffnet. Dort stand sie, kein Zaun trennte sie und hielt sie auf. Fiona war es, die dieses, in dem Moment so zerbrechlich wirkende Mädchen in den Arm nahm und sie festhielt. Das Mädchen selbst dachte in dem Moment an ihre Freunde, die nicht ihre Freunde waren. Denn jetzt wusste sie, was es hieß, eine Freundin zu haben. Und mit dieser so verbunden zu sein, dass Worte keine Rolle spielten. Eine Freundschaft die noch viele Jahre halten sollte. Auch über den Tag hinaus, wo das Mädchen sich ihrer selbst annahm.
Es war ein schöner Sommertag. Wieder in der kleinen, alten Stadt zurück, dachte sie über Fine nach und über all das, was sie in nur 2 Tagen von ihr gelernt hatte. Zwischen ihnen gab es eine Verbindung, die niemand trennen konnte. Die beiden hätten gut und gerne Mutter und Tochter sein können, doch das spielte für beide keine Rolle. Für Fine war dieses wunderbare Mädchen ein geschlossenes Buch. Doch wusste sie, dass sich jeden Tag eine Seite öffnen würde, um sie weiter zu verstehen. Sie stellte den Vergleich an, dass dieses Kind einer Orchidee glich. Denn wenn sie einen Raum betritt, zieht sie alle Blicke auf sich. In diesem Moment würde niemand sehen, dass sie tief im Herzen eigentlich unglücklich ist. Außer sie selbst. Und da sie dieses Mädchen vom ersten Tag an in ihr Herz geschlossen hatte, wurden die Besuche regelmäßig. Und spätestens alle drei Monate kam sie, um für einige Tage bei ihr zu wohnen und dann wieder zu gehen. Und dieser Abschied ließ das Mädchen innerlich immer wieder tausend Tode sterben. Es war so als würde man sich von seinem eigenen Herzen trennen und es sich aus der Brust reißen, um dann schnell fortzugehen um nicht zu verbluten. Doch dieses Gefühl legte sich mit jedem Besuch etwas mehr. Dieses Mädchen war immer noch dasselbe, was damals in der Menschenmasse stand und in die Leere starrte. Doch wenn sie bei Fiona war, dann war sie jemand ganz anderes. Dann war sie sie selbst. Und niemand konnte ihr das verwähren und niemand nagte mit der Wahrheit an ihr. Nicht einmal Fiona. Und als wieder ein Berlinbesuch anstand, war das Mädchen sich bewusst, dass sie nun mit Fine darüber reden würde. Sie selbst hatte Angst. So hatte sie sich doch ewig davor versteckt und dennoch versucht sie selbst zu sein. Aber da sie ihr inneres Ich nicht zeigen konnte, konnte sie nicht sie selbst sein. Und genau das hatte Fine sie gelehrt. Sie sollte sie selbst sein, um glücklich zu sein. Doch wusste sie genau, dass sie den Mut nicht wirklich aufbringen können würde. Doch sie erinnerte sich an die Vielzahl ihrer Besuche. An die vielen Gespräche, die sie geführt hatten und an die vielen Konzerten, die sie von Fiona besucht hatte. Es waren alles die Art der Momente gewesen, die man sein ganzes Leben lang in Erinnerung behält und immer wieder lächelnd an sie denken wird. Und genau deshalb wollte sie Fine erzählen, wer sie wirklich war. Das sie in eine falsche Richtung gegangen war, ohne es beeinflussen zu können. Das es viel zu spät war um umzukehren und das es sowieso gar nicht möglich gewesen wäre. Das sie selbst sich viel zu lange damit versteckt hatte und dadurch unglücklich bliebe. Das es dadurch viele schmerzliche Erfahrungen gegeben hat, denen sie gerne entgangen wäre. Dennoch hatte sie Angst. Sie hatte Angst, dass Fine sie verstoßen und anders behandeln würde. Trotzdem wollte sie ihr alles erklären. Und so saßen sie im Auto. Es war schon wieder Ende des Besuches und Fine fuhr sie gerade zum Bahnhof. Bis jetzt gab es an dem Wochenende noch kein Gespräch, dass auf das eigentliche hinaus laufen sollte. Und die letzte Chance war jetzt in diesem Auto. Die letzte Chance bevor sie es wieder aufschieben und sich nicht trauen würde. Der Moment, zu erklären warum sie Fine von Anfang an gemocht hatte, war nun gekommen. Und es war dieser eine Satz, der die Stille im Auto brach: „Fine? Ich habe dich geliebt.“




copyright © by Sari94. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


.....
wunderschön....
Shadowofthedark - 08.06.2010 17:58
Wie gehts weiter?
connyuandrea - 01.06.2010 17:23

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