von kleinerebellin
So oft unterhielten wir uns bereits im Chat und die Phantasie erarbeitete sich ein eigenes Phantombild des Gegenübers. Man versuchte sich Gestiken vorzustellen und Emotionen zu deuten. Die Vorstellung allein reichte mir nicht mehr. Ich wollte nur einmal ihre Stimme hören, doch dieses eine Mal veränderte alles.
In der linken Hand hielt ich das Telefon und mit der rechten Hand tippte ich ihre Nummer ein, die sie mir ein paar Tage zuvor gab. Meine Hände zitterten, meine Finger verfehlten die Tasten. Ich hatte Angst. Angst vor der Stimme, die ich nun gleich hören würde. Ich stellte mir vor wie sie sein könnte und dann nahm sie auch schon den Hörer ab. Als sie sich mit ihrem Namen meldete war ich gleich fasziniert von dieser Stimme. Diese weichen Töne, dieser zärtliche Klang. Innerhalb von Minuten verzauberte sie mich und ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Viele Telefonate folgten, viele Themenbereiche sprachen wir an. Ihre Art Dinge zu umschreiben, sich auszudrücken und ihr herzliches Lachen warfen mich aus der Bahn.
Die Steigerung vom Chat zum Telefon reichte mir schon bald nicht mehr aus und so vereinbarten wir ein Treffen. Meine Aufregung war nun kaum noch zu steigern. Mein Körper zitterte, während ich in einem kleinen Cafe auf sie wartete. Die Menschen, die um mich herumsaßen, nahm ich nicht wahr. Mein Blick war starr auf die Tür gerichtet und dann kam sie herein. Zuvor hatte ich sie nur auf Fotos gesehen, aber ich war mir gleich sicher, dass nur sie es sein konnte. Mit einem Lächeln im Gesicht setzte sie sich zu mir und bestellte sich einen Cappuccino. Es verging viel Zeit, die Stunden verflogen nur so und unsere Gespräche vertieften sich. Sympathie war auf beiden Seiten zu spüren. Ich fragte sie, ob sie Lust hätte, sich meine neue, gerade frisch eingerichtete Wohnung anzusehen und sie nickte. Wir zahlten die Rechnung und gingen zu unseren Fahrzeugen. Ich fuhr voraus und sie folgte mir. Das Wetter war herrlich. Die Sonne stand sehr tief, daher setzte ich mir eine Sonnenbrille auf. An jeder Ampel beobachtete ich sie unauffällig in ihrem Auto hinter mir. Sie sah aus dem Fenster und strich sich mit ihrer Hand durch die Haare.
Nach einigen Minuten trafen wir bei mir ein. Wir gingen zur Haustür und ich öffnete sie ihr. In der Wohnung angekommen sah sie sich die Räume an, während ich uns einen leckeren Antialkoholischen Cocktail aus Bananen, Milch und ein paar anderen Zutaten zauberte. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und ich schaltete die Musik ein. Weitere Stunden vergingen und wir unterhielten uns und unterhielten uns. Obwohl wir nicht besonders viel von dem anderen wussten, war das Vertrauen gleich sehr groß.
Es wurde Abend, die Musik lief noch immer und auch die Gesprächsthemen gingen uns nicht aus. Da ich nicht viel im Haus hatte, schmiss ich uns einfach eine Pizza in den Ofen. Zum Nachtisch gab es leckeren Pudding. Wenn sie nicht zu mir sah, beobachtete ich, wie sie den Löffel mit dem Pudding zu ihren süßen Lippen führte. Diese Lippen, so schön geformt und blutrot zogen mich förmlich an. Ich sah ihr tief in die Augen und sagte keinen Ton. Sie wusste was ich mir wünschte und sie erfüllte mir diesen Wunsch. Wir küssten uns sehr zärtlich und ich streichelte mit meinen Händen über ihr Gesicht. Selbst dieser Kuss schien Stunden anzudauern. Ich wollte nicht mehr von ihr lassen. Völlig erschöpft von den vielen Gesprächen schliefen wir Arm in Arm auf der Couch ein. Erst am nächsten Morgen wachte ich auf. Es war kein Traum. Sie war noch immer da.
Vorsichtig nahm ich meinen Arm von ihr und stand auf. Ich ging in die Küche und machte uns Rühreier. Da sie noch sehr tief zu schlafen schien, lief ich schnell runter zum Bäcker und holte uns frische Brötchen. Sie bekam nichts mit, hat tief und fest geschlafen. Leise deckte ich den Tisch, kniete mich zu ihr und streichelte durch ihr Haar. Etwas zerknautscht drehte sie sich zu mir und öffnete ihre Augen einen Spalt. Gleich war ein Lächeln in ihrem so süßen Gesicht zu sehen. Als sie bemerkte, dass schon Frühstück auf dem Tisch stand, war sie kaum noch zu halten. Der Geruch der frischen Brötchen und des Kaffees ließen ihren Magen knurren.
Wir frühstückten gemeinsam. Danach ging sie duschen. Ich räumte in der Zeit schon mal auf und machte ihr noch einen kleinen Vitamindrink. Während ich auf sie wartete, schaute ich verträumt aus dem Fenster. In vielen Dingen waren wir so verschieden und mir ging ein Satz immer wieder durch den Kopf, den sie Tage zu vor am Telefon sagte: „Wir sollten uns nicht so sehr darein steigern, denn Zukunft haben wir beide höchstwahrscheinlich nicht!“ Ich hätte ihr so gern widersprochen, doch ich konnte nicht. Sie wusste schon sehr viel von mir. Ich war offen und ehrlich und musste daher mit dieser verständlichen Reaktion rechnen. Menschen ändern sich nicht über Nacht auch ich nicht, aber diese Nacht, dieser Kuss, bleibt mir immer in Erinnerung, egal was noch kommt oder auch nicht.
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kleinerebellin. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.