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Eine haarige Geschichte

von earthdancer


Als kleines Kind hatte ich einen sehr niedlichen Lockenkopf, muss einen ausgesprochenen Charme gehabt haben und war sehr lebhaft. Später gab es dann längere Haare, zu Zöpfen geflochten oder – fast pubertierend – offen um das Gesicht herum, es verdeckend, versteckend. Auf Fotos aus dieser Zeit ist das neugierige Strahlen der älteren Fotos nicht mehr zu sehen, ich sehe ernst aus, schamhaft, irgendwie unbehaglich. Als wäre ich lieber nicht auf diesen Fotos, lieber nicht auf dieser Welt.

Mit 15, 16 hatte ich schulterlange Haare. Durch meine leichte Naturwelle sah es so aus, als hätte ich eine Dauerwelle, was mich als geäußerte Vermutung immer sehr empört hat. Ich hatte doch keine Dauerwelle! Aber auch wenn es tatsächlich keine war, es hätte schon gepasst. Ich war „erwachsen“: vernünftig, gut in der Schule, Klassensprecherin, eine gute Zuhörerin für Freunde mit Problemen. Ich selber hatte keine, ich wusste überhaupt nicht, was das ist. Dass ich mich irgendwie als Außenseiterin fühlte, dass ich vor dem Spiegel mein Lächeln übte, bis es echt aussah und meine wirklichen Gefühle überdeckte – das waren auf jeden Fall keine. Die anderen, die mit den Problemen, sprachen über Liebesbeziehungen, über Schwierigkeiten in der Schule, Streit mit den Eltern. Eine fremde Welt für mich!

Kurz danach gab es eine Veränderung. Durch eine Jugendreise, die ich eigentlich überhaupt nicht machen wollte, kam ich in Kontakt mit Punks. Plötzlich fing ich an, meine Haare zu toupieren, mich wild zu schminken und mit Farbspray die ersten Farben in meine bis dahin braunen Haare zu bringen. Ich hörte The Cure, trug meinen ersten Nietengürtel und war total cool. Probleme hatte ich zwar immer noch nicht, dafür fing ich aber an, welche zu machen. Ich fing an zu trinken, von Anfang an bis zum Umfallen. Ich suchte mir Leute, die mit mir Kiffen wollten, und fand sie auch. Meinen bisherigen Freunden erzählte ich, dass ich es ja „nur mal ausprobieren“ wollte. Sie glaubten mir nicht, ich mir selbst auch nicht wirklich. Es fühlte sich an wie ein Aufbruch in eine neue Welt, eine aufregendere als bisher, eine lebendigere irgendwie.

In den Jahren danach änderte sich meine Haarfarbe oft. Zuerst war es tiefschwarz, immer noch wild toupiert und noch relativ lang. Ich war Gruftie, trug nur schwarz, hörte Dead Can Dance und fand das Leben sehr ermüdend. Und mich damit todschick.
Danach kam die Punkphase, in der meine Haare wahrscheinlich jede mögliche Farbschattierung erlebt haben. Bestimmt ein Jahr hatte ich einen zweigeteilten Kopf – eine Hälfte war knallrot gefärbt, die andere grasgrün. Bootskundige Menschen wiesen mich mehrfach darauf hin, dass ich „falsch rum“ sei, das Grün gehörte doch auf die rechte, das Rot auf die linke Seite! Bis dahin hatte ich mir über die Frage der Farb-Seiten-Verteilung auf Booten keinerlei Gedanken gemacht, seitdem weiß ich, wie’s richtig ist…
Auch nach den rot-grünen Haaren (die übrigens genauso wenig eine politische Aussage waren wie eine bootstechnische) ging es bunt weiter. Die kleinen Farbtöpfe von Directions waren mir die liebsten. Erst wurde blondiert, dann die schönsten Farben ins Haar gezaubert. Mein Leben bestand weitestgehend aus Partys und Konzerten. Ich hörte Exploited und Slime und gröhlte „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“, ging auf Demos, war in besetzten Häusern und sah generell zu, dass ich möglichst schnell möglichst breit war.

Irgendwann fühlte sich das alles nicht mehr richtig an. Ich fing an, über das Thema Sucht nachzudenken und auf Partys mein Umfeld damit zu nerven. Frisurmäßig gab es eine radikale Veränderung: Ich rasierte mir den Kopf, hatte bis auf eine kleine Strähne ein Glatze. Diese Strähne war grün gefärbt, geflochten und gerade so lang, dass ich sie mir über das rechte Ohr stecken konnte. Kurz nach der Glatzenrasur zog ich nach Bremen, hatte noch einige Monate, in denen ich drauf war und wurde dann clean. Eine wahrhaftig radikale Änderung in meinem Leben! Ich gab meine alten Freunde auf, auch die Directions-Töpfchen gab es nicht mehr. Meine Haare wuchsen wieder, und zwar braun. Und lang, denn ich ging die nächsten 6 Jahre nicht mehr zum Friseur. Gemeinsam mit meinen Haaren wuchs mein Körper, und zwar in die Breite. Innerhalb von 2 Jahren nahm ich geschätzte 50 bis 60 kg zu. Als die Haare eine gewisse Länge erreicht hatten, flocht ich sie mir zum Zopf, den ich einfach den Rücken herunterfallen ließ. Zusammen mit meiner runden Nickelbrille und meinem alten Poncho, den ich noch von früher behalten hatte, sah ich aus wie ein Hippie. Irgendwann gab es einen Punkt, da hätte ich sie gerne kürzer gehabt, aber eine Freundin sagte: „Dein Kopf ist sowieso schon so klein, wenn jetzt noch deine Haare kurz sind, passen die Proportionen überhaupt nicht mehr.“ Ich habe auf sie gehört, leider, heute würde ich eher nach meinem Gefühl gehen. Meine Proportionen stimmen wahrscheinlich immer noch nicht, auch wenn ich heute schlanker bin als damals, aber inzwischen lasse ich mich nicht mehr so leicht von außen bestimmen :-).

So kam es dann, dass die Haare schließlich bis an meinen Po reichten. Das war 1998 und es war das Jahr, in dem ich nach Southampton, England ging. Ein weiterer riesiger Schritt für mich! Ich lernte total viel über mich und das Leben, veränderte mich und beschloss, dass sich das auch äußerlich zeigen sollte. Ich ging zum Friseur, die ganze Pracht kam ab. So fühlte es sich jedenfalls an, dabei waren meine Haare immer noch gut schulterlang. Der Weg zurück vom Friseur war grausam, ich fühlte mich verstümmelt, fand die Frisur furchtbar – so wie die von meiner Tante Hilda (für mich der Inbegriff von Spießigkeit) – und bereute zutiefst meinen Entschluss. Es dauerte aber nicht lange und ich gewöhnte mich an die kürzeren Haare, wollte sie sogar noch kürzer. Ein paar Jahre später war ich dann bei einer richtigen Kurzhaarfrisur gelandet.

Farbe gab es die ganzen Jahre aber nicht mehr, das fing erst wieder an, als ich in Amerika war. Da hatte ich mein Studium gerade hinter mir, war in meiner ersten lesbischen Beziehung und fand mich selbst und mein Leben ziemlich prima. Die Farbe war ein extra Ausdruck meiner Lebensfreude. Schwarz mal wieder, aber diesmal mit einem lila Grundton, der jedes Mal aufleuchtete, wenn die Sonne drauf schien. Und in California scheint oft die Sonne! Die Farbe mag ich immer noch sehr gerne, sie erinnert mich an das Gefieder von Saatkrähen. Schön fände ich auch ein blau-schwarz, wie das von Elstern.
Leider scheine ich sehr gesunde, widerstandsfähige Haare zu haben, die die Farbe immer sehr schnell wieder loswerden wollen. Relativ schnell verblasste mein Schwarz-Lila zu einem Allerwelts-Rot und das gefiel mir gar nicht. Das häufige Nachfärben wiederum gefiel meinen Haaren gar nicht, sie fingen an zu streiken und auszufallen. „Nur weg hier“, haben sie vermutlich gedacht. Daher der Abschied von der Farbe und eine Wiederannäherung an meine Naturfarbe. Die hatte sich inzwischen verändert, die ersten grauen Haare sind mit dabei… Das ist ok, manchmal finde ich es sogar schön. Aktuell sind meine Haare dabei, aus ihrem letzten Schnitt rauszuwachsen. Es sieht eher bescheiden aus, aber ich möchte da durch. Wieder einmal habe ich das Gefühl, dass eine Veränderung ansteht und dass sich diese Veränderung auch nach außen zeigen soll. Diesmal in der Form von längeren Haaren! Neulich hatte ich einen Traum, in dem flocht ich mir die Haare. Sie waren nicht so lang wie vor meinem Englandjahr, aber gut flechtbar.

Wachstum außen und innen… Wie diese Veränderung genau aussehen wird und wohin sie mich führen wird, weiß ich noch nicht. Ich bin gespannt – auf in ein neues haariges Abenteuer!




copyright © by earthdancer. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Genial..
Das ist total schön geschrieben, gefällt mir sehr gut, Kompliment an die Autorin!!
Tallisis - 23.05.2008 16:18
Echt..
Lill - 04.05.2008 19:52
Wow...
wiccajuno - 04.05.2008 01:33

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