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Einmalig

von iamamiwhoami


Langsam stiefelte ich durch den Park. Es nieselte ein bisschen, aber die Sonne hatte sich trotz dessen ein Loch in der Wolkendecke gesucht, um mich anstrahlen zu können. Ich kam mir vor wie ein kleiner Engel. Ein kleiner Engel mit Musik in den Ohren und einer schweren Tasche, deren Riemen seine kleinen Flügel drückte.
Der kleine Engel lief auf dem knirschenden Schotterweg entlang und besah sich die einzelnen Tropfen auf den Gräsern der welken Grünflächen und die große Weide, die sich in sein Blickfeld rückte. Wunderschön sah sie aus, wie eine kleine grüne Hütte, die schützend ihr Dach um ihr Inneres spannte. Ich hatte ja Zeit. Ich konnte gehen wohin ich wollte. Nichts hielt mich mehr. War eh alles verloren, geschmeidig entwichen, leise und dann auf einmal scheppernd davongeschlichen. Alles.
Ich bückte mich und strich über die nassen Gräser, hockte da inmitten des großen Parks. Belustigt schaute ich meine Hände an, die das Grüne gestreichelt hatten und nun von Nässe erfüllt waren. Sanft strich ich mir über die Wange und fühlte das angenehm Kühle. Lächelnd stand ich wieder auf und schritt auf dem weichen Untergrund zu der großen Weide. Langsam teilte das Engelchen den vom Regen schweren Vorhang und trat ein in die wohlige Geborgenheit, die nur ein Baum von solcher Größe an so einem Tag schenken konnte.
Anheimelnd. Der Innenraum war leer, keine wartende Prinzessin...
Der Stamm sah mich einladend an mit seinem dunkel gebräunten, furchigen Gesicht. Ich nahm die Einladung dankend an und suchte mir meinen Weg in den Wipfel. Die kleinen Flügel zur Balance ausgestreckt kletterte ich von einer Stelle zu anderen. Meine Hände würden ihren Weg schon finden. Ganz oben angekommen suchte ich mir ein sonniges, trockenes Fleckchen auf der großen Fläche der dicken Äste des großen Baumes.
Damals hätte man ein Baumhaus hier oben bauen können. Wir hätten sicher Spaß daran gehabt. Ganz bestimmt.
Aber wie schnell die Zeit vergeht, das weiß kaum einer. Zu schnell. Sie stutzte mir die Flügel, knickte sie. In den Himmel konnte ich nicht mehr zurück, dafür hier zu leben, das ist schon manchmal hart.
Liebevoll sah ich den alten Baum unter mir an, noch halb geschützt von den hängenden Ästen mit ihren Blättern.Das Dach lichtete sich erst oben ganz. Dafür reichten aber die Kräfte des kleinen Engels nicht mehr. Die hatte er aufbrauchen müssen. Die würden erst ganz langsam wieder wachsen. Vorsichtig würden sie aus ihren Verstecken lugen und schauen, ob es sich wieder lohnen würde, sich breit zu machen.
Ich reckte mich ein bisschen und rutschte höher, so konnte ich alles überblicken. Den großen, großen Park mit seinem vielen Grün und den vielen Menschen. Wie sie da in ihrer Welt dahinjoggten, den Hund mitzerrend an einer viel zu kurzen Leine, oder auf ihrem Fahrrad, mit erhitzten Gesichtern. Ja, so kannte ich sie. Gehetzt, grob, nur auf sich achtend. So waren doch alle. Niemand ausgeschlossen. Nicht mal kleine Engel. Die sind dann wohl die schlimmsten. Die, die von ihrem Schein geblendet durch alle Parks der Welt rammelten und weder nach links noch nach rechts schauten.
Ich wusste sie zu nehmen, konnte sehen, wie sie wirklich waren. Waren kleine Menschen mit Flügeln doch so sensibilisiert.
Waren sie das? Sind sie das? Daran glauben wollte ich nicht mehr.
Gedanken sind doch manchmal schon was Unschönes. Ich ließ meine schwere Tasche in’s Gras fallen und fühlte mich gleich um einiges leichter. Ganz luftig.
Ich wollte gerade höher rutschen, versuchte Halt zu finden an meinem groben braunen Freund, schaute runter, wo mein Bein sich abstützen könnte und, und da standst du. Einfach so da, als würdest du jeden letzten Tag des Monats in einem Park unter einer großen Weide stehen und Menschen dabei zu beobachten, wie sie auf Bäumen sitzend Gedanken nachhängen. Aber ich sah deine Flügel und das verband uns, ich wusste einfach irgendwie, dass du so warst, wie ich.Leichthin streckte ich meine Hand zu dir aus, ein bisschen erschrocken wegen meiner Geste zitterte sie, aber du nahmst sie, versuchtest mit einem Fuß Halt zu finden und schwangst dich hoch zu mir.
Wir schauten uns nicht an. Als wüssten wir, wer wir wären und würden uns schon ewig kennen. Du bist einfach neben mich gerutscht, hast mich kurz angeschaut und hast dich so gesetzt, dass wir uns beide gegenseitig gehalten haben.
Was hörst du?, hast du gefragt und ich konnte nur mit den Schultern zucken und habe die Musik lauter gedreht, damit wir beide hören konnten, wie eine kratzige Frauenstimme, nur mit der Gitarre bewaffnet `Good bye to you` sang.Du bist noch näher gerutscht und hast mir in meine traurigen Augen geschaut. Jetzt war es unser Reich und du warst irgendwie da für mich.
Wir saßen eine ganze Weile da, mir wurde kalt und du hast einen Arm um mich gelegt. Das Lied lief im Wiederholmodus und ich ließ es so. Es war wohl die einzige Musik, das einzige Geräusch was ich jetzt ertragen konnte.
Hinter uns ging die Sonne unter und hielt unsere Rücken warm.
Sehen konnten wir immer noch was und lächelten gleichzeitig als zwei Kinder Hand in Hand erst laufend und dann lachend rennend über den Schottweg stürzten, um der Sonne einen Streich zu spielen. Als wollten sie ihren Schatten überspringen. Mit aller Kraft und Schnelligkeit.
Aber gemeinsam. Gemeinsam kann man alles schaffen. Sogar über seinen Schatten zu springen. Plötzlich musste ich weinen. Verdammtes assoziieren. Aber ich sah, dass es dir nicht anders ging und dir auch die Trauer in kleinen Tropfen die Wange runterperlte.
Ich konnte einfach nicht anders und fing sie auf. Machte sie kaputt und trocknete deine Wangen. Wir hielten uns noch fester und lachten gleichzeitig auf, als ein viel zu dicker Mann mitten im Joggen beim Würstchenstand ein paar Meter weiter Halt machte.
Irgendwie war dann alles gut. Für diesen kleinen Moment. In unserem kleinen Reich, in unserem imaginären Baumhaus, was du dir sicher auch vorgestellt hast. Ich wusste es. Irgendwie.
Irgendwie warst du ich und ich war du. Zumindest für diese Zeit.
Ich fröstelte, die Sonne ließ ihre letzten Strahlen hell leuchten und würde erst morgen früh wieder ihre Guten Morgen- Klänge erklingen lassen. Ich war mir bewusst, dass auch dir die sich schnell verbreitende Dunkelheit aufgefallen war.
Ich drehte die noch immer gleiche Musik leiser und stöpselte sie mir wieder ein. Langsam kletterte ich über dich drüber, meine Füße fanden ihren Weg und ich kam, dank meiner sanft schwingenden Flügel, wieder auf dem Boden auf. Ganz sanft.
Ich habe nicht aufgeschaut und ich habe nichts gesagt.
Dann bin ich aus der anderen Welt wieder ausgetaucht, einfach so, ohne dass es irgendwie wehtat. Irgendwie. Irgendwie war alles wieder gut. Meine Schuhe hinterließen mit jedem Schritt ein knirschendes Geräusch und einen kleinen Abdruck. Es hatte wieder angefangen zu nieseln. Und kalt war es.
Ich drehte mich noch mal um und sah dich aus dem Baumwipfel schauen. Ganz sanft lächelte ich dich an und du lächeltest zurück. Du warst mir nicht böse, das meine Zeit für dort oben abgelaufen war und ich schenkte dir dafür meine Flügel. Ich konnte sie jetzt abnehmen, brauchte sie nicht mehr, öffnete meine Arme, spreizte meine Finger und gab sie dir. Du hast mich mit einem traurigen Ausdruck in deinen Augen angeschaut, aber trotzdem gelächelt und hast sie dankbar entgegengenommen. Ich wusste, dass sie dir besser stehen würden.
Ich bin gegangen. Einfach so. Wieder gesehen habe ich dich nicht.
Aber manchmal ist das so. Manchmal tauchen Engel nur dann auf, wenn man sie wirklich braucht. Auch an den unmöglichsten Stellen, zu den unmöglichsten Zeiten.



copyright © by iamamiwhoami. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


hmm...
sehr schön. es erinnert mich an eigene geschichten. mit dem unterschied, daß ich nicht "einfach so" gegangen bin... ein sehr schöner text, wirklich. mail mir doch mal, wenn du magst!
kissed-a-girl - 23.10.2004 16:51

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